MotoGP ist Prototypensport. Als solcher bekennt sie sich nicht nur zu einem Wettstreit der Fahrer auf der Strecke, sondern auch zu einem Kampf der besten Ingenieursleistungen. Ducati wurde hierbei in den letzten Jahren zum Klassenprimus. Seit Gigi Dall'Igna das Kommando in Borgo Panigale übernommen hat, stammen fast alle technischen Innovationen der MotoGP aus der Ducati-Fabrik.

Vor allem eine dieser Innovationen - die Winglets an der Front der Motorräder - lassen die Königsklasse aber aktuell in eine gefährliche Richtung driften. Gefährlich im wörtlichsten Sinn, weil sie unter gewissen Umständen unnötiges Risiko für die Fahrer bedeuten. Gefährlich aber auch für das Produkt MotoGP. Denn das Racing im Jahr 2022 ist weit von den spektakulären Rennen der vergangenen Jahre entfernt.

MotoGP diskutiert über Verbot! Sind Winglets noch tragbar? (07:29 Min.)

Was ist passiert? 2015 packte Ducati erstmals Winglets an die Front seiner Desmosedici. Mehr Stabilität beim Anbremsen, vor allem aber weniger Wheely in den Beschleunigungsphasen sollte die raffinierte Aerodynamik bringen. Der Plan ging auf und die Konkurrenz zog innerhalb kürzester Zeit nach. Heute sind Winglets aus der MotoGP kaum mehr wegzudenken.

Genau das, nämlich eine Entfernung dieser Karbonelemente, würde dem Sport aber guttun. Denn die Winglets sind mittlerweile zum unüberwindbaren Hindernis für gutes Racing geworden. Sie sorgen für mächtige Luftverwirbelungen hinter den Motorrädern, was ein knappes Hinterherfahren und somit auch Überholen extrem schwierig, ja teilweise fast unmöglich macht. Diese Beschwerden haben wir vor zwei Wochen nach dem langweiligen Rennen in Jerez von den Fahrern gehört. In Le Mans wurden sie nun wiederholt. 'Dirty Air' ist Gift für den Motorsport, die Formel 1 lässt grüßen.

Überholmanöver sind Mangelware, Hinterherfahren ist angesagt, Foto: LAT Images
Überholmanöver sind Mangelware, Hinterherfahren ist angesagt, Foto: LAT Images

Hersteller wie Ducati scheinen im Bereich der Aerodynamik immer noch deutliche Vorteile gegenüber der Konkurrenz zu haben. Deshalb lässt sich darüber diskutieren, ob ein Verbot der Winglets nicht unfair wäre. Ein Werk seiner Vorteile zu berauben, nur weil durch seine Entwicklung das Racing schlechter wurde, wirkt alles andere als gerecht. Wie gesagt: Es ist Prototypensport.

Ein Faktor muss im Motorsport aber stets alle anderen Überlegungen ausstechen - Sicherheit. Und genau die ist in gewissen Situationen durch die Winglets nicht mehr gegeben. Das Paradebeispiel dafür lieferten an diesem Wochenende die Kurven eins und zwei in Le Mans. Ein extrem schneller Doppelrechtsknick, der mit weit über 300 km/h angefahren wird. Dennoch eine Stelle, die selten für Probleme sorgte.

Ganz anders in diesem Jahr. Reihenweise verloren die MotoGP-Stars hier die Kontrolle über ihre Motorräder, rasten in den Kies und kamen in Turn 4 gefährlich auf die Strecke zurück. Johann Zarco am Freitag und Marco Bezzecchi am Samstag konnten sich noch retten, Alex Rins stürzte im Rennen hingegen zusammen mit seiner Suzuki zurück auf den Asphalt. Nicht auszudenken, was passieren hätte können, wenn sich an dieser Stelle einer seiner Rivalen befunden hätte.

Wie nach dem Rennen aus dem Suzuki-Lager zu hören war, identifizierte man Luftverwirbelungen der vorausfahrenden Ducatis als Unfallursache. Dass die Fahrer in Passagen wie dieser durch die Kombination aus Schräglage und hoher Geschwindigkeit ohnehin dagegen ankämpfen müssen, von ihren Winglets nach außen gedrückt zu werden, kommt verstärkend hinzu.

Ja, eine deutliche Beschneidung der Aerodynamik wäre ein massiver Eingriff in das Technische Reglement. Ein solcher bringt immer Gewinner und Verlierer mit sich. Fair ist das selten. Die MotoGP muss aber das große Ganze sehen. Dann kann sie nur zum Entschluss kommen, dass dies der richtige Schritt ist. Also: Verbietet endlich die Winglets - und nehmt die Ride-Height-Devices gleich mit.