Die MotoGP zeigte sich im zweiten Rennen in Misano von ihrer dramatischen Seite. Während sich mit Aleix Espargaro, Franco Morbidelli, Valentino Rossi und Brad Binder schon in den ersten zwei Runden vier Fahrer verabschiedeten, brach Francesco Bagnaia sieben Runden vor Schluss den italienischen Fans die Herzen, als er einen sicher geglaubten MotoGP-Debütsieg mit einem Crash selber wegwarf. Das Rennwochenende von Misano in der GP-Analyse.

Bagnaia, der tragische Held

Nur eine Woche nach seinem ersten Podestplatz trumpfte Bagnaia erneut auf. Im 3. Training knackte er in 1:31,127 Minuten den Rundenrekord von Maverick Vinales, den dieser erst sieben Tage zuvor aufgestellt hatte. Im Qualifying setzte er in 1:30,973 sogar noch einen drauf, bekam diese Rundenzeit aber wegen eines Track-Limit-Vergehens ausgangs der letzten Kurve gestrichen. So musste Bagnaia vom 5. Rang statt von Pole Position ins Rennen gehen.

Doch gegen seine bärenstarke Pace konnten die Gegner am Sonntag ohnehin kaum etwas ausrichten. Er gewann auf der 1. Runde zwei Plätze, übernahm in Lap 2 die Verfolgung von Leader Vinales und überholte diesen schließlich im 6. Umlauf. Insgesamt dreimal konnte er sich die schnellste Rennrunde schnappen: Seine 1:32,219 aus der 5. Runde hielt sogar bis zum Ende.

Nur zwei Fahrer konnten im Rennen eine Umlaufzeit von 1:32,5 unterbieten: Vinales einmal, Bagnaia hingegen gleich fünfmal. Zum ersten Mal in der 5. Runde, zum letzten Mal in Lap 16.

Die 10 schnellsten Rennrunden in Misano

P Fahrer Zeit Runde
1. Francesco Bagnaia 1:32,319 Lap 5
2. Francesco Bagnaia 1:32,325 Lap 10
3. Francesco Bagnaia 1:32,423 Lap 11
4. Francesco Bagnaia 1:32,439 Lap 12
5. Maverick Vinales 1:32,484 Lap 13
6. Francesco Bagnaia 1:32,494 Lap 16
7. Maverick Vinales 1:32,533 Lap 12
8. Joan Mir 1:32,540 Lap 10
9. Maverick Vinales 1:32,543 Lap 5
10. Francesco Bagnaia 1:32,544 Lap 13

Insgesamt war Bagnaia in zehn seiner 20 absolvierten Runden der schnellste Mann im gesamten Feld. Sieger Vinales hingegen war nur in fünf Umläufen Schnellster, während die übrigen zwölf Runden an Joan Mir (5), Miguel Olveira (2), Taka Nakagami (2), Fabio Quartararo (2) und Pol Espargaro (1) gingen.

Bagnaia hatte in Runde 16 seinen höchsten Vorsprung des Rennens erarbeitet: 1,497 Sekunden lag er zu diesem Zeitpunkt vor Vinales. In den folgenden vier Umläufen sollte dieser Abstand auf 1,133 Sekunden schmelzen, ehe der Italiener in Turn 4 zu Boden ging. "Wie haben in den Daten nachgesehen: Mein Tempo, der Neigungswinkel und das Gas waren genau gleich wie in den Runden zuvor. Auch meine Linie war exakt dieselbe. Es sieht so aus, als hätte ich irgendetwas berührt. Vielleicht ein Abreißvisier oder irgendeinen Schmutz", erklärte er nach dem Rennen seinen Crash.

Die Pace von VInales

Vinales erbte zwar den Sieg, hatte aber die Pace auch so hoch gehalten, dass er Bagnaia keine Verschnaufpause gönnte. Dass er in den vier Runden vor dessen Crash permanent aufgeholt und insgesamt 0,364 Sekunden gutgemacht hatte, legt den Schluss nahe, dass es in den letzten sieben Runden noch einmal spannend geworden wäre. Denn Bagnaia, der auch an diesem Wochenende in der Box mit einer Krücke zu seinem Motorrad ging, gestand bereits nach seinem zweiten Platz vor einer Woche, dass ihm gegen Ende des Rennens die Kraft ausging.

Wie sehr auch Vinales am Limit war, zeigt der Umstand, dass seine Pace mit dem Ausfall von Bagnaia sofort einbrach. Von 1:32,8 sank seine Rundenzeit in Lap 21 auf 1:33,2 und in weiterer Folge bis auf 1:33,9 im vorletzten Umlauf. Von hinten drohte keine Gefahr, denn Fabio Quartararo und Pol Espargaro waren bereits zum Zeitpunkt des Bagnaia-Ausfalls keine Gefahr mehr für Vinales.

Quartararo war bis zur 20. Runde in nur einem einzigen Umlauf schneller als Vinales, Espargaro immerhin in vier Laps, allerdings sackten seine Zeiten ab Lap 16 deutlich ab. 4,156 Sekunden lag Vinales somit zum Zeitpunkt des Bagnaia-Ausfalls vor seinen Konkurrenten. Bei nur sieben zu fahrenden Runden konnte er im Finish somit einen soliden Vorsprung verwalten.

Der unglaubliche Joan Mir

Zumal der schnellste Mann der letzten Runden noch nicht einmal auf Podestkurs war, als Bagnaia ausfiel. Denn Joan Mir zündete wieder einmal gegen Ende des Rennens den Turbo. Der Spanier war in den sieben Runden nach Bagnaias Aus fünfmal der schnellste MotoGP-Pilot im gesamten Feld. Er fuhr selbst in der letzten Runde noch eine Zeit von 1:32,941.

Seine direkten Gegner konnten ihm nichts mehr entgegensetzen: Pol Espargaro hatte die 1:33,0 zum letzten Mal in Lap 17 unterboten, Quartararo in Runde 19. Binnen sieben Runden holte Mir so 4,3 Sekunden auf Espargaro und 3,0 auf Quartararo auf. Das genügte locker zum 2. Platz in Misano.

Einmal mehr verhinderte aber Mirs schlechter Startplatz (P11), dass er um den Sieg fahren konnte. Denn es dauerte im hart umkämpften Mittelfeld sechs Runden, eher er sich in die Top-5 gefahren hatte und seine Pace in den 1:32er-Bereich bringen konnte. Zu diesem Zeitpunkt lag er allerdings schon fünf Sekunden hinter Vinales. Von Runde 6 bis 20 verlor er nur 1,7 weitere Sekunden, ehe er am Ende noch aufholte.

Mirs zweiter Platz kam aber nicht unbedingt unerwartet, denn bereits in den letzten Wochen avancierte der Spanier zum festen Podestkandidaten. In zweiten Spielberg-Rennen wohl nur durch die Rote Flagge um den ersten MotoGP-Erfolg gebracht, landete Mir in drei der letzten vier Rennen auf dem Podest. In diesem Zeitraum holte er sogar mit Abstand die meisten Punkte aller MotoGP-Fahrer.

MotoGP-Punkte der letzten 4 Rennen:

P Fahrer Punkte
1. Joan Mir 69
2. Andrea Dovizioso 53
3. Jack Miller 44
4. Miguel Oliveira 41
Maverick Vinales 41
6. Pol Espargaro 39

Fazit: WM wird zum Krimi

Francesco Bagnaia ging in Misano ein sicherer Sieg durch die Lappen. Ob durch - wie von ihm vermutet - äußere Umstände oder vielleicht doch durch eine Kombination extrem hoher Pace samt Druck von Maverick Vinales, bleibt offen. Vinales selbst rehabilitierte sich mit der Leistung vom Sonntag für die verpatzten Rennen der vergangenen Wochen.

Fabio Quartararo verlor seinen Podestplatz nur durch eine Track-Limits-Strafe, die ihn letztlich sogar die Rückeroberung der WM-Führung kostete. So liegt weiter Dovizioso voran, der allerdings nur noch einen Punkt Vorsprung auf Vinales und Quartararo hat.

In deren Windschatten kristallisiert sich aber mit Joan Mir ein neues heißes MotoGP-Eisen heraus. Der spanische Suzuki-Fahrer glänzte zuletzt vor allem in den Endphasen der Rennen und holte seit Brünn die mit Abstand meisten Punkte aller MotoGP-Fahrer. Behält er diese Form bei, ohne dass einer seiner Rivalen zum Seriensieger avanciert, muss man Joan Mir 2020 definitiv auf der Titelrechnung haben.