Brad Binder sah im Juni 2019 wie einer der großen Absteiger der Moto2-Saison aus. Nach sieben Saisonrennen hatte der einstige Titelfavorit keinen einzigen Podestplatz auf dem Konto, von einem MotoGP-Aufstieg konnte er zu diesem Zeitpunkt nur träumen. Doch dann ging für den Moto3-Weltmeister von 2016 alles ganz schnell: P2 in Assen und am Sachsenring, MotoGP-Vertrag mit Tech3, erster Saisonsieg beim KTM-Heimrennen in Spielberg und im Oktober plötzlich sogar im Titelrennen und von seinem Arbeitgeber überraschend für 2020 ins MotoGP-Werksteam befördert. Aus einem potenziellen Absteiger wurde einer der ganz großen Aufsteiger des Jahres. Motorsport-Magazin.com traf Brad Binder zum Gespräch über die Achterbahnfahrt der vergangenen Monate.

MSM: Brad, du hast bereits im Juli deinen MotoGP-Vertrag unterschrieben - allerdings beim Tech3-Team. Wo und wann hast du von deiner Beförderung ins Werksteam erfahren?
BRAD BINDER: In Motegi hatte ich mein erstes Meeting mit Teamchef Mike Leitner. Dort hat er mich aufgeklärt, dass ich in der MotoGP direkt im Factory-Team eingesetzt werde. Als die Nachricht etwas gesackt ist, war ich völlig aus dem Häuschen. Das war ein sehr aufregender Moment für mich und ich möchte mich auf jeden Fall schon vorab bei KTM für diese große Chance bedanken. Das zeigt, dass sie mir voll vertrauen und glauben, dass ich gute Ergebnisse für sie einfahren kann.

Wurde dieser Schritt vorab mit dir besprochen? Oder wurdest du von Mike Leitner einfach vor vollendete Tatsachen gestellt?
Ich habe das überhaupt nicht erwartet, als ich zu dem Meeting geladen wurde. Das kam für mich völlig überraschend.

Hast du darauf gehofft, als die Trennung mit Johann Zarco nach dem Grand Prix von Österreich bekanntgegeben wurde?
Natürlich hoffst du darauf, dass du derjenige bist, der ihn ersetzt. Vor allem, wenn du deinen Vertrag für das Satellitenteam ohnehin schon in der Tasche hast. Erwarten konnte ich das aber natürlich nicht, denn ich komme ja als totaler Neuling in die MotoGP-Klasse und weiß überhaupt nicht, was mich dort erwartet. Einige Leute haben mir im Sommer zwar gesagt, dass die Möglichkeit besteht, direkt in das Werksteam aufzurücken, aber als es tatsächlich passiert ist, kam es dennoch überraschend für mich.

Verfolgst du die Aktivitäten von KTM in der MotoGP-Klasse stärker, seit du im Sommer deinen Vertrag unterschrieben hast?
Ja, ich verfolge das schon sehr genau. Sie haben sich gut entwickelt und ich habe volles Vertrauen in KTM. Sie haben mir in der Moto3 und in der Moto2 gute Motorräder gegeben und ich habe in beiden Klassen Rennen damit gewonnen. Ich bin mir sicher, dass KTM mir auch in der MotoGP erstklassiges Material zur Verfügung stellen wird.

Fühlst du dich ausreichend gewappnet für deine neuen Aufgaben in einem MotoGP-Werksteam?
Nein, ich habe absolut keine Ahnung was mich erwartet. Das wird ein völlig anderer Job als alles, was ich bisher in meinem Leben gemacht habe. In Brünn durfte ich beim Montags-Test kurz auf der RC16 Platz nehmen. Ich habe aber lediglich zwei Runden absolviert und war dabei auch noch verdammt langsam. [lacht] Ich bin mir aber sicher, dass ich in der MotoGP jede Menge Spaß haben werde.

Was erwartest du von deinem Job als offizieller Werksfahrer?
Dieser Job bedeutet für mich vor allem eine große Veränderung. Wie genau meine Aufgaben aussehen, werde ich wohl erst im Laufe der Monate begreifen. Im Moment will ich gar nicht zu viel über Erwartungen nachdenken, denn das belastet nur den Kopf. Ich nehme die Dinge in den kommenden Monaten einfach so, wie sie kommen.

Brad Binder fährt in seiner ersten MotoGP-Saison direkt im Werksteam von KTM, Foto: MotoGP
Brad Binder fährt in seiner ersten MotoGP-Saison direkt im Werksteam von KTM, Foto: MotoGP

Entspricht diese Lockerheit deiner generellen Mentalität als Rennfahrer?
[lacht] Ja, ich gehöre generell wohl eher zu den entspannteren Fahrern hier im Paddock. In der Box stresse ich nicht allzu sehr herum, sondern versuche einfach nur an jedem Tag, meinen Job so gut wie möglich zu erledigen.

Mit dieser Einstellung hast du es jetzt ja in die MotoGP geschafft. Eine Krönung deiner Karriere, die nicht jeder Motorradrennfahrer erreicht. Gab es bei dir jemals einen "Plan B"? Hast du dir darüber je Gedanken gemacht?
Nein, ich habe nie auch nur eine Sekunde über einen "Plan B" nachgedacht. Seit meinem 12. Lebensjahr, als ich noch in Südafrika gefahren bin, habe ich dem alles untergeordnet, was ich jetzt erreicht habe. Ich habe jeden einzelnen Tag hart dafür gearbeitet und ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ohne Motorradsport aus mir geworden wäre. Racing gibt dir so viele Möglichkeiten in deinem Leben. Man muss sich ja nur einmal ansehen, welche tollen Orte wir bereisen dürfen und wie viele tolle Leute wir kennenlernen können. Ohne Racing hätte ich keine Aufgabe in meinem Leben.

Kommen wir auf die abgelaufene Moto2-Saison zu sprechen. Du bist als einer der Top-Favoriten in die Saison gestartet, hattest zu Beginn große Probleme, warst dann aber der erfolgreichste Fahrer der zweiten Saisonhälfte und hast das Jahr als Vizeweltmeister abgeschlossen. Wie fällt dein Fazit aus?
Mein Fazit lautet, dass dieses Jahr leider viel zu schnell vorbei war. [lacht]

Du warst erst im achten Saisonrennen zum ersten Mal auf dem Podest. Warum ist KTM der Einstieg in die Saison mit den neuen Triumph-Motoren so schwergefallen?
Wir lagen zu Beginn ganz klar hinter unseren Konkurrenten. Wir waren leider nicht wirklich gut vorbereitet auf die Triumph-Motoren. Erst durch viel harte Arbeit von KTM konnte unser Package deutlich konkurrenzfähiger werden. Die Erfolge gegen Ende der Saison geben uns Recht.

Habt ihr bereits während der Testfahrten bemerkt, dass ihr gegenüber Kalex und SpeedUp im Nachteil seid?
Ich war schon nach dem ersten Test absolut unglücklich, denn ich konnte nicht das nötige Vertrauen in das Motorrad aufbauen. Jede Anpassung, die wir danach vorgenommen haben, hat wenig bis gar nicht geholfen. Die Basis des Bikes war einfach nicht gut. Erst als wir in Le Mans eine brandneue Konfiguration des Motorrads bekommen haben, wurden die Ergebnisse allmählich besser.

Mit seinem Aufstieg in die Königsklasse brauchte Brad Binder auch eine neue Startnummer, Foto: KTM
Mit seinem Aufstieg in die Königsklasse brauchte Brad Binder auch eine neue Startnummer, Foto: KTM

Wie hat dieser miserable Saisonstart deine mentale Einstellung beeinflusst?
Es war früh klar, dass ich nichts mehr zu verlieren habe und eigentlich ohne Bedenken in jedem Rennen Vollgas geben kann. Sozusagen konnte ich pures Rennfahren genießen, ohne irgendwelche WM-Stände im Hinterkopf zu haben. Das war ganz angenehm.

Dir hat die Rolle als Außenseiter also gefallen?
Ja, das war eine Erfahrung, die ich seit der Zeit vor meinem WM-Titel in der Moto3 nicht mehr so wirklich hatte.

Gegen Saisonende warst du der mit Abstand konstanteste Fahrer unter den Spitzenpiloten. Von den letzten sechs Rennen hast du vier gewonnen und ein weiteres auf dem zweiten Platz beendet. Wieso warst du so stark im Saisonfinish?
Es war eigentlich ganz schön krank, dass wir zu Beginn der Fernost-Tournee noch eine Chance auf den Titel hatten, wenn man bedenkt, dass wir erst in Assen zum ersten Mal auf dem Podest standen. Da die Chance aber noch intakt war, wollte ich alles versuchen, um es doch noch zu schaffen. Ich habe alles gegeben, um jedes einzelne dieser Rennen zu gewinnen. Denn das war die einzige Möglichkeit für mich. Ich hatte absolut nichts mehr zu verlieren, da ja der MotoGP-Deal auch schon lange durch war. Ich denke aber auch, dass die Strecken, die gegen Ende des Jahres auf dem Programm stehen, der KTM entgegenkommen. Denn schon in den beiden vorangegangenen Jahren waren unsere Ergebnisse dort sehr gut.

Letzten Endes musstest du dich aber in Sepang im Titelduell geschlagen geben und Alex Marquez zum Gesamtsieg gratulieren. Die Favoritenrolle wechselte im Laufe der Saison aber mehrfach. Zunächst war Lorenzo Baldassarri dominant, ist dann aber abgesackt. Dann hat Alex Marquez viele Rennen in Folge gewonnen, gegen Ende des Sommers sah aber Augusto Fernandez wie der stärkste Mann aus. Gegen Ende hin warst hingegen du der große Gejagte in den einzelnen Rennen. Woran lag es, dass in dieser Saison so viele Titelanwärter binnen weniger Rennen vom strahlenden Sieger zum biederen Mittelfeldfahrer mutierten?
Jeder von uns Fahrern ist unterschiedlich. Manchen liegen einfach spezifische Strecken mehr als andere. Mit ist das in diesem Jahr aber entgegengekommen, denn sonst hätte ich den WM-Kampf gar nicht so lange offenhalten können.

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