Mit Jorge Lorenzo verlässt am Sonntag einer der ganz Großen dieses Sports die MotoGP-Bühne. Ein 68-facher GP-Sieger und fünffacher Weltmeister, dem von der großen Öffentlichkeit bis zuletzt die Anerkennung verwehrt blieb, die er für seine Leistungen eigentlich verdient hätte. Selbst in der Stunde seines Rücktritts muss man in den sozialen Medien unzählige spöttische Kommentare lesen, für die sich die Verfasser schämen sollten.
Denn mit Lorenzo verlässt der eifrigste und akribischste Arbeiter des gesamten MotoGP-Starterfeldes das Fahrerlager. Ein Mann, der an sich selbst stets die höchsten Ansprüche stellte und das Gleiche auch von seinem Umfeld forderte. Ein Mann, der einst in Assen mit einem frisch operierten Schlüsselbein den heroischsten Ritt des vergangenen Jahrzehnts hinlegte. Und ein Mann, an dessen präzise Fahrweise bis heute kein anderer Fahrer heranreicht.
Bei seinem ehemaligen Lederkombi-Lieferanten verteufelt man ihn heute noch für die unzähligen Anpassungen, die er an seiner zweiten Haut vornehmen hatte lassen, wie man uns vor Jahren im entsprechenden Werk selbst erzählte. Die teils kuriosen Anbauteile und Abänderungen, die er in seinen zwei Jahren bei Ducati an der Desmosedici vornehmen ließ, stehen stellvertretend für die akribische Arbeit, mit der er stets versuchte, sich und sein Arbeitsgerät zu verbessern. Dass Yamaha ab Mitte 2017 im Vergleich zur Konkurrenz zurückfiel, machen nicht wenige bis heute an seinem Abgang fest.
Die Statistik spricht für ihn: Er verlässt die Motorrad-WM mit 68 Siegen als Nummer sechs der Ewigen Bestenliste und durfte über satte fünf Titel jubeln. Und dennoch konnte er nie eine annähernd große Fanbase aufbauen wie andere Mehrfach-Weltmeister. An Valentino Rossi kommt in dieser Kategorie ohnehin niemand heran, aber selbst die Fan-Fraktionen von Marc Marquez oder Casey Stoner waren auf den Rängen stets größer als das überschaubare Grüppchen mit der rot-weißen 99 auf den Bannern.
Nicht für das Rampenlicht geboren
Lorenzo liebt und lebt Motorsport von seinen jüngsten Jahren an. Er ordnete seinem großen Ziel, eines Tages Weltmeister zu werden, alles unter. Dabei vergaß er aber darauf, dass ein nettes Lächeln und ein flottes Witzchen vor den TV-Kameras den Marktwert von Siegen auf der Strecke verdoppeln kann. Wie er nicht zum Liebling der Fans wurde, so konnte er auch nicht zum Liebling der Sponsoren werden.
Ein besonderer Schlag ins Gesicht war dabei, dass Yamaha in den beiden Lorenzo-Jahren ohne Medienliebling Rossi an seiner Seite ohne Hauptsponsor antreten musste, da sich nach dem durch Rossi bedingten Fiat-Abgang kein Unternehmen fand, das eine entsprechende Summe für die Präsenz von Lorenzo und Ben Spies auf den Tisch legen wollte.
Der sportliche Aspekt ist eben nur einer von vielen im Business MotoGP. Lorenzo konnte nie auf Knopfdruck den Strahlemann im Scheinwerferlicht geben, wie das etwa ein Rossi oder ein Marquez perfektioniert haben. Ebenso wenig verkniff er sich verhängnisvolle Statements, die oftmals ein gefundenes Fressen für die Medien waren und ihm in einigen Fanlagern Spott, Hohn und den Status einer "Heulsuse" einbrachten. Weil er sich missverstanden und falsch zitiert fühlte, begann er in den letzten Jahren damit, Abschriften seiner Pressekonferenzen selbst in den sozialen Medien zu veröffentlichen. Verbessert hat das seinen Status bei den Fans nicht.
Dabei hatte man bei Jorge Lorenzo immer das Gefühl, dass er einer der letzten Fahrer im Paddock war, die tatsächlich authentisch waren. Marquez und Rossi spielen ihre Rollen ebenso wie ein Cal Crutchlow, der seine markigen Ansagen und provokanten Thesen beinahe schon zelebriert. Lorenzo hingegen trug sein Herz stets auf der Zunge, weshalb auch Einzel-Interviews mit ihm deutlich spannender und angenehmer waren als mit anderen Phrasendreschern, von denen es im Paddock dank professioneller Pressesprecher mittlerweile viel zu viele gibt.
Leute, die persönlich abseits des MotoGP-Umfelds mit Lorenzo zu tun hatten, bestätigen durch die Bank, dass Jorge Lorenzo eine der respektvollsten Personen ist, die es im Motorrad-Zirkus gibt. Genau jenen Respekt sollten nun auch alle Fans dem fünffachen Weltmeister entgegenbringen. Denn am Sonntag verlässt einer der ganz Großen die MotoGP-Bühne.
diese MotoGP Kommentar