Die MotoGP-Saison 2016 geht nicht nur wegen seiner Abwechslung in die Geschichtsbücher der Sportwelt ein, es gab neun verschiedene Rennsieger in 18 Läufen zu verzeichnen. Sondern auch wegen der unerwartet großen Sturzquote im Feld. Satte 288 Crashes notierten die Statistiker im Laufe der Saison alleine in der Königsklasse, mehr als je zuvor. Im Laufe der letzten zehn Jahre stieg auch die durchschnittliche Zahl an Stürzen pro MotoGP-Wochenende von 6,5 im Jahr 2007 auf sage und schreibe 16 in 2016! Motorsport-Magazin.com deckt die Hintergründe für den großen Sturzreigen auf:

Sturzjahr 2016, Grund 1: Die Michelin-Reifen

An vorderster Stelle ist hier die Einführung der neuen Michelin-Reifen zu nennen. Nach sieben Jahren Alleinherrschaft von Bridgestone übernahmen die Franzosen die Rolle des Einheitsausrüster, und auf die neuen Gummis mussten sich die MotoGP-Cracks erstmal einschießen. Die Michelins offenbarten ein anderes Fahrgefühl, der Hinterreifen verfügt über Grip ohne Ende, dafür ist an der Front der Grenzbereich schmaler geworden. Die vielen Stürze über das Vorderrad zu Saisonbeginn unterstrich diese Problematik.

Stellvertretend dafür sei an dieser Stelle Andrea Doviziosos Aussage nach dem Synchronsturz mit Marc Marquez in Le Mans erwähnt: "Das ist die Charakteristik von Michelin, alle sind auf die gleiche Weise gestürzt. Man hat nie das Gefühl, dass man über dem Limit ist. Aber wenn man etwas mehr pusht, kann das passieren, dann verliert man die Front." Nach und nach bekam das MotoGP-Feld diese Baustelle aber besser in den Griff. Die Sturzfestivals in den ersten Saisonrennen waren bald Geschichte.

Sturzjahr 2016, Grund 2: Mehr Power, weniger Elektronik

Einen großen Anteil an den vielen Stürzen hat neben den Reifen aber auch der Einfluss der neuen Einheitselektronik aus dem Hause Magneti Marelli. Die MotoGP-Werke verabschiedeten sich 2016 von ihrer hauseigenen und hochgestochenen Software. Gleichzeitig nimmt die Power der Bikes aber auch immer weiter zu. Während man zu Beginn der 800er-Ära im Jahr 2007 noch von 230 bis 240 PS sprach, so stieg die Motorleistung auch durch die Wiedereinführung der 1000er zur Saison 2012 um gut 40 PS. Im Klartext heißt das: Der Fahrer wurde 2016 wieder viel stärker gefordert, man musste sich erst wieder an das neue Limit herantasten.

Sturzjahr 2016, Grund 3: Viele Regenrennen

2016 geht als ein Jahr mit einer außerordentlich hohen Quote an Regenrennen in die Geschichte der MotoGP ein. Gleich fünf Rennen wurden im Nassen oder zumindest unter Mischverhältnissen ausgetragen, nämlich die Grands Prix in Termas de Rio Hondo, Assen, Brünn, Sepang und auf dem Sachsenring. So viele also wie in den neun Jahren zuvor nicht. Klar, dass das auch einen gewissen Einfluss auf die Anzahl der Stürze hat, zumal auf nasser Piste der Grenzbereich noch einmal deutlich schmaler wird und der Raum für Fehler viel größer ist. Hinzu kommt die Problematik mit den Michelin-Regenreifen.

Besonders in Assen sind in den ersten Runden nach dem Neustart viele Fahrer abgeschmiert, darunter Valentino Rossi, Dani Pedrosa, Andrea Dovizioso und Cal Crutchlow. Für Dovizioso Grund genug, Michelins Regenreifen erstmals etwas heftiger zu kritisieren: "Es gab einfach überhaupt keinen Grip, und deshalb spürt auch niemand, wann die Front verloren geht. Im Trockenen war es wie bei den Wintertests, als es sehr viele Stürze wegen dem Vorderreifen gab." In Brünn nach dem Reifen-Desaster für Ducati legte Dovizioso noch heftiger nach: "Ich glaube, Michelin hat die Situation im Regen immer noch nicht unter Kontrolle!"

Anzahl an Rennen bei Regen oder Mischverhältnissen pro Jahr:

JahrAnzahl Regenrennen
20073 (Le Mans, Donington, Motegi)
20082 (Sachsenring, Indianapolis)
20094 (Le Mans, Mugello, Donington, Sepang)
20100
20114 (Jerez, Silverstone, Phillip Island, Valencia)
20123 (Le Mans, Sepang, Valencia)
20131 (Le Mans)
20144 (Assen, Sachsenring, Aragon, Valencia)
20153 (Silverstone, Misano, Motegi)
20165 (Argentinien, Assen, Sachsenring, Brünn, Sepang)

Sturzjahr 2016, Grund 4: Großes Starterfeld

Mit nur 17 Fixstartern war das MotoGP-Grid 2011 extrem ausgedünnt, Foto: Honda Pro Images
Mit nur 17 Fixstartern war das MotoGP-Grid 2011 extrem ausgedünnt, Foto: Honda Pro Images

Sieht man sich die Sturzzahlen im Verlauf der letzten zehn Jahre an, darf man einen Aspekt jedoch auch nicht außen vor lassen: Das Starterfeld der Königsklasse war in den vergangenen Jahren wieder größer als noch in der 800er-Ära, der Einführung der Claiming Rule sei Dank. Besonders in den 800er-Jahren nach der Weltwirtschaftskrise, also zwischen 2009 und 2011, war das Grid extrem ausgedünnt.

Nur noch 17 Fixstarter zählte die MotoGP in der Saison 2011, zu Saisonende schrumpfte das Feld wegen Verletzungen teilweise auf 14 Piloten zusammen. 2015 hingegen waren 25 Permanentstarter in der MotoGP unterwegs. In der abgelaufenen Saison verkleinerte sich das MotoGP-Feld zwar wieder auf 21 Fahrer, doch die Sturzrate nahm aus den drei oben genannten Gründen trotzdem weiter zu.