Der König ist tot – lang lebe der König! Mit zwei Siegen und 70 Punkten aus den letzten drei Rennen ist MotoGP-Superstar Marc Marquez auf dem besten Weg zu einem atemberaubenden Comeback in der Weltmeisterschaft 2015. Seinen Rückstand auf Leader Valentino Rossi verkürzte der wiedererstarkte Repsol-Honda-Pilot alleine in den vergangenen beiden Grands Prix um 18 Punkte, rückt so bei noch acht Rennen bis auf 56 Zähler an den Italiener in Diensten Yamahas heran.

Für seinen insgesamt neunten USA-Erfolg in Serie musste Pole-Setter Marquez auf dem legendären Indianapolis Motor Speedway allerdings alles aus sich herausholen. Denn der an diesem Wochenende bärenstarke WM-Zweite Jorge Lorenzo holte nach zuletzt ernüchternden Ergebnissen zum Großangriff auf die Gesamtführung aus. Vom Start weg setzte sich Lorenzo an Dani Pedrosa und Marquez vorbei an die Spitze, hielt diese Führung mit brutaler Konstanz und aberwitzigem Speed bis in die drittletzte der insgesamt 27 Runden hinein.

Brutaler Marquez schlägt eiskalt zu

Dann allerdings folgte Marquez großer Moment. Nachdem der Superstar seinen Widersacher über knapp 40 Minuten lang aus nächster Nähe studiert hatte, saugte er sich im finalen Kurvengeschlängel vor der langen Start-und-Zielgeraden hautnah an Lorenzo heran, passierte diesen dann mit der überlegenen Honda-Power auf der Vollgas-Passage. Einmal an der Spitze, machte Marquez Ernst und ließ seinem Landsmann keine Konterchance mehr.

Marc Marquez testate auch in Indy das absolute Limit aus, Foto: Milagro
Marc Marquez testate auch in Indy das absolute Limit aus, Foto: Milagro

Was wie ein perfekt umgesetzter taktischer Plan anmutete, war in Wahrheit eine perfekt ausgeführte Improvisation der Ursprungs-Strategie. "Ich war am kompletten Samstag sowie auch im Warm-Up schneller als Jorge und hatte eigentlich damit gerechnet, hier die beste Pace zu haben. Von Startplatz eins war mein Ziel, mich früh abzusetzen, eine Lücke zu reißen und dann das Rennen zu kontrollieren", offenbarte Marquez nach seinem großen Triumph.

Lorenzo zollt er für sein Rennen und seine Leistung größten Respekt, auch aufgrund der "überraschenden" Leistungsexplosion. "Jorge ist hier verdammt stark, keine Frage. Allerdings hat er vor dem Rennen bestenfalls mittlere 1:33er-Zeiten im Longrun aufgelegt, während ich gar hohe 1:32er- und niedrige 1:33er-Runden geschafft habe. Ich wähnte mich also im Vorteil, jedoch hat Jorge für das Rennen deutlich an Performance zugelegt – und mir so das Leben maximal schwer gemacht."

Lorenzos Pace bedeutete für Marquez, dass eine Solo-Fahrt an der Spitze nicht nur ein Ding der Unmöglichkeit werden, sondern ebenfalls eine Menge an Kraft, Konzentration und Reifen-Performance kosten würde. MM93 entschloss sich daher bereits früh zu einer Alternativ-Taktik, bei der er Lorenzo mit möglichst minimalem Abstand folgte, ohne seine Asse zu früh aus dem Ärmel zu holen. Trotz des taktischen Korsetts gelang ihm so einmal mehr ein Geniestreich.

Marquez: Keine WM-Gedanken nötig

"Ich hätte sicher auch schon früher einmal versuchen können, mich an die Spitze zu setzen. Jedoch gab es nicht einmal die geringste Chance, dann eine Lücke auf Jorge zu reißen, denn seine Pace war unglaublich", befand Marquez lobend. Dass das Rennen nicht nach Plan verlief, verpasste ihm keinen allzu großen Schock. "Natürlich hatte ich das so eigentlich nicht erwartet, aber wer Jorge kennt, weiß, zu was er in der Lage ist. Ich bin überglücklich, dass es mir gelungen ist, dennoch einen Weg an die Spitze zu finden und das Rennen für mich zu entscheiden."

Für den Rest der Weltmeisterschaft hat Marquez einen klaren Fahrplan: "Ich bin meiner Ansicht nach noch immer nicht in der Position, über den WM-Kampf nachzudenken. Deshalb werde ich einfach den Moment genießen, Rennen für Rennen nehmen, und versuchen, so viele Siege wie möglich einzufahren. Da meine Chance im Titelkampf von den Ergebnissen anderer abhängt, habe ich es ohnehin nicht selbst in der Hand. Es macht also keinen Sinn, sich über mehr als das nächste Rennen und den nächsten Angriff auf den Triumph den Kopf zu zerbrechen."