In der Formel E entscheidet sich der Kampf um die Meisterschaft üblicherweise im letzten Rennen der Saison, wahlweise über die schnellste Rennrunde oder auch gerne nach dramatischen Duellen. In der aktuellen Saison 2025 könnte die Elektro-Weltmeisterschaft hingegen einen geradezu langweiligen Ausgang im Titelrennen erleben. Der Grund dafür hat einen Namen: Oliver Rowland.

Der Nissan-Pilot dominiert das Geschehen in der Formel E wie es nie zuvor einem Fahrer innerhalb einer Saison gelungen ist. Vor dem Double-Header in Shanghai (Samstag und Sonntag, ab 09:00 Uhr MEZ live bei DF1 im Free-TV) führt Rowland die WM-Tabelle mit einem gigantischen Vorsprung von 77 Punkten an! Vier Siege, drei zweite Plätze und sechs Starts aus der ersten Reihe in neun Rennen - Rowland und sein Gen3-Evo-Nissan sind die dominante Macht in der Formel E.

Oliver Rowland: Porsche-Situation ist ein Vorteil

Was Rowland zusätzlich in die Karten spielt: Seine ärgsten Verfolger sind ausgerechnet die beiden Porsche-Werksfahrer Pascal Wehrlein und Antonio Felix da Costa, die sich regelmäßig gegenseitig die Punkte 'klauen'. Hinter Rowland (161 Punkte) folgt der amtierende Weltmeister Wehrlein mit 84 Punkten, während Felix da Costa 73 Zähler gesammelt hat.

"Das ist schon ein Vorteil, denn beide müssen auch an die Team- und Hersteller-Meisterschaft für Porsche denken", sagt Titelfavorit Rowland in Shanghai zu Motorsport-Magazin.com. "Die können es sich eigentlich nicht leisten, gegeneinander zu kämpfen, weil sie für diese Wertungen alle möglichen Punkte brauchen. Sie befinden sich in einer kniffligen Situation."

Fakt ist: Porsche belegt in der Team- und Hersteller-Wertung den zweiten Platz hinter Nissan. Hier sind die Abstände aber deutlich geringer, weil Rowlands Teamkollege, der Franzose Norman Nato, bisher nur 11 Punkte ergattert hat - also 150 weniger als auf der anderen Seite der Garage. "Wir müssen abwarten, ob Rowland auch mal schwächelt", sagt Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger zu Motorsport-Magazin.com. "Ansonsten muss man realistisch sein: Der Abstand ist schon sehr groß. Wir kämpfen bis zum Schluss, auch, wenn es eine riesengroße Challenge ist."

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Porsche-Chef: "Da haben sich die Fahrer unterzuordnen"

In früheren DTM-Zeiten - die auch Modlinger von seinen Audi-Abt-Jahren bestens kennt - hätten sich die Hersteller längst auf einen klaren Nummer-1-Fahrer festgelegt, der im Titelkampf maximal unterstützt wird. Anders dürfte Rowland bei noch sieben ausstehenden Rennen kaum abzufangen sein. Von dieser Taktik will der Porsche-Leiter aber nichts wissen: "Unser Fokus liegt auf der Team- und Hersteller-Meisterschaft. Wir werden niemals einen Fahrer priorisieren, wenn wir dadurch Punkte verlieren."

Modlinger weiter: "Unsere Maxime lautet, die Punkte in allen Wertungen zu maximieren. Wenn am Ende dann noch ein Fahrer die Chance haben sollte, an Rowland heranzukommen, dann überlegt man, ob man eine Priorität setzt. Aber momentan ist alles darauf ausgerichtet, die maximalen Punkte fürs Team zu holen. Da haben sich die Fahrer unterzuordnen."

Klare 'Basta-Ansage' von Modlinger, die Wehrlein und Felix da Costa eigentlich nicht gefallen dürfte. Kein Geheimnis: Für einen Rennfahrer zählt üblicherweise nur der Fahrer-Titel, alles andere gilt als Bonus. Der Noch-Weltmeister Wehrlein sagt aber zu Motorsport-Magazin.com: "Wenn man für so einen großen Hersteller wie Porsche fährt, dann ist es ganz klar, dass es nicht nur um die Fahrer-WM geht. Momentan stehen die Chancen besser, Platz eins in der Team- und Hersteller-Wertung zu holen. Es ist erst mal wichtig, beide Autos vorne drin zu haben statt sich auf einen Fahrer zu konzentrieren."

Pascal Wehrlein: "Es braucht dann ein kleines Wunder"

Porsche-Pilot Pascal Wehrlein
Für Pascal Wehrlein ist die Titelverteidigung momentan weit entfernt, Foto: IMAGO / Andreas Beil

Wehrlein hat die erste Titelverteidigung in der Formel E seit Jean-Eric Vergne zwar noch nicht abgeschrieben, sagt jedoch: "Wenn die weiter so performen, wird es nicht einfach, den Rückstand aufzuholen. Es braucht dann ein kleines Wunder. Nissan hatte schon letztes Jahr ein extrem starkes Paket und Rowland hätte um die Meisterschaft gekämpft, wenn er nicht die zwei Rennen in Portland [wegen Krankheit; d. Red.] verpasst hätte. Und in dieser Saison haben sie den größten Fortschritt gemacht."

2024 landete Rowland mit zwei Siegen und sieben Podestplatzierungen auf dem vierten Gesamtplatz. Die Porsche-Mannschaft hatte die Konkurrenz von Nissan ohnehin auf dem Schirm - aber dermaßen stark? "Wir hatten sie schon auf dem Zettel", erklärt Modlinger. "Und wir wussten, dass sich Nissan sehr früh auf das Gen3-Evo-Paket konzentriert hat, auch, weil sie in den Saisons 9 und 10 [2023 und 2024; d. Red.] nicht im Titelkampf waren. Die sind wahrscheinlich früher Kompromisse eingegangen, um ein besseres Paket für die Saison 11 zu haben. Das bewahrheitet sich jetzt."

Das Porsche-Werksteam musste hingegen unter dem herrschenden Budget Cap einen Teil seiner vorhandenen Ressourcen in den letztjährigen Titelkampf investieren, während der Rest für die Gen3-Evo-Entwicklung und das künftige Gen4-Paket draufging. Wie schnell es in der Formel E bergab gehen kann, zeigt eindrucksvoll der amtierende Team-Weltmeister Jaguar mit seinen Fahrern Mitch Evans und Nick Cassidy, die Wehrlein im dramatischen Finale 2024 knapp schlagen konnte: Dieses Jahr belegt Jaguar mit derselben Fahrerpaarung abgeschlagen den achten Platz in der Team-WM.

Robert Seiwert beim Formel-E-Rennen in Shanghai
Freitag in Shanghai: MSM-Reporter Robert Seiwert im Gespräch mit Pascal Wehrlein, Foto: IMAGO/Andreas Beil

"Jetzt kämpfen wir mit einem anderen Hauptgegner", unterstreicht Modlinger die Konstanz von Porsche. Und der heißt Oliver Rowland. Der 32-Jährige will freilich noch nicht vom vorzeitigen Titelgewinn reden, sagt aber: "Ich greife lieber weiter an, um den Vorsprung auszubauen, statt ihn konservieren zu wollen. Aber nach dem Wochenende in Shanghai schauen wir auf die Tabelle. Vielleicht können wir danach eine etwas sicherere Herangehensweise in Betracht ziehen."