Es ist eine höchst seltene Konstellation im Motorsport: In der Formel E kämpfen ausgerechnet ein Werks- und sein Kundeteam um die Weltmeisterschaft 2023. Auf der einen Seite Pascal Wehrlein mit Porsche, auf der anderen Titelrivale Jake Dennis mit dem US-Rennstall Andretti, der seit diesem Jahr mit Kundenautos des deutschen Sportwagenbauers antritt. Vor dem zwölften von 16 Saisonrennen in Portland (Sonntag, 01:30 Uhr MEZ bei ProSieben) trennt die beiden Kontrahenten nur ein einziger WM-Punkt.

Im engen Titelfight ist der Ton trotz der Motorenpartnerschaft inzwischen merklich rauer geworden. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Rivalität schon beim vergangenen Rennwochenende in Jakarta, als sich Dennis schlagzeilenträchtig über Wehrleins Streckenverhalten beschwerte.

Porsche-Chef über Dennis: Erst überlegen, dann äußern

Der Brite warf dem früheren DTM-Champion und Formel-1-Fahrer beim Kampf um den Sieg unfaires und überhartes Verhalten vor, bezeichnete Wehrleins Verteidigungsmanöver mehrfach als "lächerlich". Und schob im Eifer des Gefechts hinterher: "Wir können keinen Protest einlegen, weil sie auch einen Porsche-Motor haben."

Eine sicherlich auch aus der Emotion heraus getätigte Anschuldigung, die beim Motorenlieferanten Porsche wenig überraschend alles andere als gut ankam. "Wenn man die Aussagen von Jake sieht, die sehr emotional waren, weil er direkt aus dem Auto kam, ist es vielleicht besser, wenn man sich erst die Videos anschaut, überlegt und dann äußert", setzte Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger gegenüber Motorsport-Magazin.com ein klares Zeichen.

Trotz des Vorfalls in Jakarta und des lodernden Titelduells pochte Modlinger darauf, dass sich an der Zusammenarbeit mit dem Andretti-Team "nichts geändert" habe: "Sie ist komplett transparent und offen. Wir arbeiten wie vereinbart seit dem Beginn der Saison kooperativ zusammen."

Wehrlein über Verhältnis zu Dennis: "Könnte besser sein"

Wehrlein hatte sich in Jakarta nach Dennis' Verbalangriff zunächst zurückgehalten. In der Situation, die den Andretti-Piloten derart auf die Palme gebracht hatte, verteidigte sich Wehrlein beim Kampf um die Führung durchaus hart. Die Sportkommissare sahen allerdings von einer Untersuchung ab - Wehrlein fuhr wenig später zu seinem dritten Saisonsieg.

An diesem Freitag in Portland bezog Wehrlein erstmals deutlich Stellung zur Auseinandersetzung. Auf die Frage von Motorsport-Magazin.com zu seinem Verhältnis mit Dennis sagte der 28-Jährige: "Es könnte besser sein. Seine Kommentare waren nicht die klügsten. Die Sportkommissare haben es nicht einmal untersucht. Ich habe meine Position verteidigt, was mein gutes Recht ist. Dass ich niemandem einen Platz schenke, ist klar."

Die Zusammenarbeit mit Andretti sei sehr eng, schließlich nutze das Kundenteam neben dem Antriebsstrang auch die Software sowie den Simulator von Porsche. Wehrlein: "Dann solche Kommentare zu tätigen, passt nicht in die Teamphilosophie. Aber am Ende des Tages interessiert mich das nicht wirklich, ich habe das Rennen ja gewonnen."

WM-Spitzenreiter in der Formel E: Pascal Wehrlein, Foto: LAT Images
WM-Spitzenreiter in der Formel E: Pascal Wehrlein, Foto: LAT Images

Wehrlein: "Wir haben nicht gesprochen"

Eine direkte Aussprache mit Dennis, dessen Andretti-Team direkt neben der Porsche-Box angesiedelt ist, habe es seit Jakarta nicht gegeben. "Wir haben nicht gesprochen", so Wehrlein. "Er fand ja, dass etwas nicht in Ordnung war. Das könnte er mir doch direkt sagen. Aber er hat es lieber durch die Presse erwähnt." Dennis' unterschiedliche Kommentare seien "absurd" gewesen, fügte Wehrlein an. Auf die Frage, ob die beiden vor Jakarta ein besseres Verhältnis gehabt hätte, beließ es der WM-Spitzenreiter vielsagend bei einem Grinsen im Gesicht...

Wehrlein - und vermutlich auch der Porsche-Führung - gefiel es nicht, dass Dennis mit seinen Vorwürfen direkt an die Öffentlichkeit ging. Er hätte sich stattdessen ein klärendes Gespräch unter vier Augen gewünscht: "Es ist okay, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Es geht aber darum, wie man nachher damit umgeht. Das war nicht besonders professionell." Beide WM-Gegner waren am Freitag zu Gast auf der offiziellen Pressekonferenz der Formel E - Außenstehende werteten das Aufeinandertreffen als spürbar distanziert. Die Kontroverse war bei dieser Gelegenheit kein Thema.

Felix da Costa: Titel-Hilfe für Wehrlein

Ein offenbar deutlich besseres Verhältnis pflegt Wehrlein unterdessen mit seinem neuen Porsche-Teamkollegen Antonio Felix da Costa. Der Weltmeister von 2021 hatte bereits im Vorfeld des Portland-Wochenendes angekündigt, seinen Teamkameraden beim Kampf um die Meisterschaft - es wäre Wehrleins erste seit dem DTM-Triumph 2015 und die erste eines deutschen Fahrers in einer FIA-Formelserie seit Nico Rosberg 2016 - unterstützen zu wollen.

"Antonio kennt die Formel E seit Langem, er kennt den Werkssport und ist sehr loyal", sagte Porsche-Leiter Modlinger. "Er sieht selbst, dass er im Titelkampf weit weg ist. Er hat dem Team von sich aus seine Unterstützung zugesagt. Natürlich wollen wir auch um die Team-WM fahren. Wenn es aber die Möglichkeit gibt, Pascal zu unterstützen, dann wird er sie nutzen." Dazu gehörten etwa das Spenden von Windschatten oder das Absichern nach hinten. Der erfahrene Modlinger: "Antonio weiß, wie das Spiel läuft, und was er zu tun hat."

In der WM-Tabelle hat Felix da Costa nach einem schwierigen Jahr inzwischen 56 Punkte Rückstand auf Wehrlein. Zwar hat sich der Portugiese inzwischen berappelt und sogar einen Sieg auf dem Konto, doch der Titelzug ist praktisch abgefahren.

Felix da Costa zu Motorsport-Magazin.om: "Ich bin hier, um zu gewinnen. Aber ich bin erwachsen genug, zu wissen, dass Pascal ein besseres Jahr hat. Ich trage das Porsche-Wappen auf der Brust, nicht das Antonio-Logo. Ich gebe mein Bestes, um ihm zu helfen. Ich mache das gerne und habe dem Team versichert, dass sie mit mir rechnen können. Pascal ist seit dem ersten Tag sehr respektvoll. Wenn er gewinnt, fühle ich mich nicht als Verlierer."