Die Formel E biegt auf die Zielgerade der Saison 2023 ein und betritt zum vierten Mal in diesem Jahr Neuland. Am kommenden Samstagnachmittag (wegen Zeitschiebung am Sonntag, 25. Juni um 02:00 Uhr live bei ProSieben) gastiert die Elektro-WM erstmals in Portland im US-Bundestaat Oregon. Das zwölfte von 16 Saisonrennen bildet nach Hyderabad, Kapstadt und Sao Paulo den vierten neuen Austragungsort im Formel-E-Rennkalender 2023.

Die Besonderheit in Portland, das nach den bisherigen Gastspielen und in den USA auf Miami, Long Beach und New York folgt: Die Formel E fährt an der Westküste der Vereinten Staaten auf einem waschechten IndyCar-Kurs!

Die US-Formelserie blickt auf eine lange Vergangenheit am 'Portland International Raceway' zurück: Von 1984 bis 2007 fuhren hier Stars wie Al Unser Jr, Mario Andretti, Emerson Fittipaldi oder Alex Zanardi um Siege in der CART-Serie bzw. Champ Car World Series. Nach einer längeren Pause ist Portland seit 2018 wieder ein fester Bestandteil im Rennkalender der heutigen IndyCar-Serie. Dieses Jahr steht der 'Grand Prix of Portland' der US-Formelmeisterschaft vom 01. bis 03. September auf dem Plan.

Ein Rennen auf einer IndyCar-Rundstrecke hat es in der Geschichte der Formel E nie zuvor gegeben. Portland ist als Alternative für den temporären Stadtkurs in Brookyln, New York in den Kalender gerückt, da das seit 2017 genutzte Hafengebiet 'Red Hook' aktuell großflächig für den Personenschiffsverkehr umgebaut wird. Die Wahl fiel auf das im Vergleich zu New York, Miami oder Los Angeles eher unbekannte Portland, um weiterhin den wichtigen US-Markt abzudecken.

Streckenlayout für den Portland ePrix der Formel E, Foto: FIA Formula E
Streckenlayout für den Portland ePrix der Formel E, Foto: FIA Formula E

IndyCar-Strecke für Formel E um 55 Meter verlängert

Für die Formel E ist das Streckenlayout des Portland International Raceway nur leicht angepasst worden. Die 22 Gen3-Autos befahren eine 3,221 Kilometer lange Variante und damit 55 Meter mehr als die IndyCars (3,166 km). Die Piloten erwarten 12 Kurven (8 rechts, 4 links) und zwei lange Geraden, gefahren wird im Uhrzeigersinn. Die 2008 komplett neuasphaltierte Strecke verfügt über keinerlei Steigungen oder Gefälle.

Portland ist die einzige permanente Rennstrecke im diesjährigen Kalender, nachdem die aus der Formel 1 bekannten Kurse in Mexiko-City und Monaco aus öffentlichen Straßen bestehen. Mit permanenten Kursen hat die Formel E in der Vergangenheit nur selten Bekanntschaft gemacht. Eine Ausnahme bildet der Circuit Ricardo Tormo in Valencia, wo jährlich die offiziellen Vorsaison-Testfahrten ausgetragen werden und wo sich 2021 die berüchtigte 'Energie-Farce' beim einmaligen Rennausflug abspielte.

Portland die "extreme Version von Valencia"

"Portland wird die schnellste Strecke der Saison sein, mit sehr langen Geraden und Hochgeschwindigkeitskurven - ein bisschen wie eine extreme Version von Valencia", vermutete Mahindra-Pilot und Ex-Champion Lucas di Grassi. "Daher erwarten wir viele Überholmanöver und Führungswechsel in den Rennen. Ich denke, die Fahrer werden auch den Windschatten optimal nutzen."

Portland gilt wegen seines flüssigen Streckenverlaufs als höchst anspruchsvoll für das Energie-Management. "Die Strecke sieht sehr flüssig aus. Ich denke, wir werden viele Windschattenduelle und Positionswechsel sehen", vermutete Abt-Pilot Nico Müller. Porsche-Werksfahrer Antonio Felix da Costa fügte hinzu: "Die Strecke ist superschnell. Eine wichtige Rolle wird das Energiemanagement spielen. Von der Strategie her wird das sicherlich nicht einfach werden."

Holt Porsche den nächsten Sieg in der Formel E?, Foto: LAT Images
Holt Porsche den nächsten Sieg in der Formel E?, Foto: LAT Images

Nächste Windschatten-Schlacht in der Formel E erwartet

Möglichkeiten, um über die Bremse die verbrauchte Energie zurückzugewinnen, bieten sich eigentlich nur an den Bremspunkten vor den Kurven 1 und 10. Das Rennen dürfte wieder auf eine 'Windschatten-Schlacht' hinauslaufen, wie man es mit den neuen Gen3-Autos schon mehrfach beobachten konnte. Teilweise spielten sich abstruse Szenen ab, als sich Fahrer schon nach dem Start gegenseitig vorbeiwinkten, um bloß nicht führen zu müssen.

Das Fahren im direkten Wind führt zu einem extremen Energie-Nachteil gegenüber den Hintermännern. Dadurch dürfte sich auch die Attack-Mode-Zone neben der Ideallinie in Kurve 7 als beliebter Ort entpuppen, um auf natürliche Art und Weise die Führung abzugeben.

In den angesetzten 28 Rennrunden müssen die Fahrer zweimal den Attack-Mode aktivieren, der wie zuletzt in Jakarta insgesamt 8 Minuten (2+6, 4+4 oder 6+2 Minuten) andauert. Bei derartigen 'Energie-Spar-Rennen' war die allgemeine Pace im ersten Drittel extrem langsam, bis ab einem bestimmten Zeitpunkt die Führungsgruppe den Speed um mehrere Sekunden pro Runde anzog. Erlebt die Formel E in Portland wieder ein derartiges Kuriosum?

"Portland sieht sehr schnell aus und die fließende Streckenführung wird die Rennstrategie und den Rennstil maßgeblich prägen", glaubte Maximilian Günther, der Formel-E-Neueinsteiger Maserati beim Doppelrennen in Jakarta den ersten Sieg bescherte. "Ich erwarte ein ähnliches Maß an Windschattenduellen wie bei Rennen wie Berlin." Beim Heimspiel auf dem stillgelegten Flughafen hatte Günther den ersten Podestplatz für den Autobauer aus Italien, der mit DS-Antriebssträngen fährt, errungen.

Maximilian Günther holte den ersten Formel-E-Sieg für Maserati, Foto: LAT Images
Maximilian Günther holte den ersten Formel-E-Sieg für Maserati, Foto: LAT Images

Wehrlein nach Jakarta-Sieg hoffnungsvoll nach Portland

Günthers Landsmann, Porsche-Fahrer Pascal Wehrlein, gewann das Samstagsrennen in Jakarta und übernahm mit seinem dritten Saisonsieg wieder die Führung in der Gesamtwertung. Der frühere DTM-Champion und Formel-1-Fahrer führt die WM-Tabelle mit nur einem Punkt Vorsprung zu Jake Dennis an, dessen Porsche-Kundenteam Andretti ein Heimrennen begeht. Teamgründer Michael Andretti gewann übrigens die CART-Rennen in Portland in den Jahren 1990, 1991 und 1992.

"Ich denke, dass wir mit einem guten Basispaket in Portland ankommen und auch dort wieder stark unterwegs sein werden", hoffte Wehrlein, der sich als erster Deutscher in die Meisterliste der Formel E eintragen könnte. "Die nächsten Wochen werden sehr intensiv. Es wäre deshalb sehr wichtig für uns, in Portland erfolgreich ins letzte Saisondrittel zu starten." Nach Portland stehen nur noch die beiden Double-Header in Rom und beim Saisonfinale in London auf dem Plan.

Portland-Shakedown mit voller Leistung

Um sich mit dem unbekannten Kurs in Portland vertraut zu machen, steht den Teams und Fahrern am Freitagmittag vor dem 1. Freien Training ein 15-minütiger Shakedown zur Verfügung. Ausnahmsweise dürfen die Autos schon im Shakedown mit der vollen Leistung von 350 kW (476 PS) fahren.

Die Streckenverhältnisse dürften sich von Freitag auf Samstag nicht so stark verändern wie es auf den üblichen Stadtstrecken der Formel E der Fall ist. Auf dem Portland International Raceway werden neben den Events der IndyCar oder NASCAR Xfinity Series jährlich hunderte Privatveranstaltungen angeboten, bei denen Gummi auf Asphalt gelegt wird. Die Wettervorhersage deutet auf einen trockenen Renntag mit bis zu 28 Grad hin.

"Wir erwarten eine deutlich geringere Verschmutzung, als wir es bei einigen anderen Rennen in dieser Saison erlebt haben", bestätigte Manfred Sandbichler, Hankook Motorsport Direktor. "Der Hankook iON Race kann somit sein hohes Grip-Level noch besser und vor allem schneller entfalten und die Piloten auch unter diesen Bedingungen optimal auf der Strecke unterstützen."

Formel-E-Tabelle 2023 nach 11/16 Rennen (Top-10)

Pos.FahrerTeamPunkte
1Pascal WehrleinPorsche134
2Jake DennisAndretti-Porsche133
3Nick CassidyEnvision-Jaguar128
4Mitch EvansJaguar109
5Jean-Eric VergneDS Penske97
6Antonio Felix da CostaPorsche78
7Maximilian GüntherMaserati70
8Sam BirdJaguar62
9Sebastien BuemiEnvision-Jaguar62
10Jake HughesMcLaren46