Alejandro, was steckt hinter der Idee, dass in der neuen Extreme E-Rennserie Männer und Frauen in einem Team fahren?
Alejandro Agag: Wir haben eine einzigartige Gelegenheit, die sich aus dem Rennformat ergibt. Ich verfolge schon seit vielen, vielen Jahren die Idee, Frauen im Motorsport zu haben. Vor zwölf Jahren hatte ich mit Barwa Addax in der Spanischen Formel 3 ein Team, das nur aus Frauen bestand. Diese Bemühungen waren bislang aber nicht erfolgreich und es gibt nicht genügend Frauen im Motorsport. Wir haben uns nun überlegt, wie wir die Rennen der Extreme E noch spannender gestalten können.

Und wie verlief dieser Prozess?
Alejandro Agag: Wir hatten zunächst die Idee, in den Rennen zwei Runden zu fahren. Okay, klingt gut. Wie wäre es, wenn wir pro Team zwei Fahrer hätten? Und dann sagten wir: 'Warum sollte nicht ein Teil des Teams eine Rennfahrerin sein?' Ich habe mir früher immer gern Mixed-Spiele im Tennis angeschaut. Auch Martina Navratilova, die nach ihrer Einzel-Karriere in den Mixed-Bereich gewechselt ist. So etwas wollte ich auch im Motorsport. Und jetzt, zum ersten Mal überhaupt, treten Männer und Frauen nicht gegeneinander an, sondern bilden Teams und fahren gegen andere Teams mit Männern und Frauen. Beide sind gleich für den Erfolg verantwortlich. Wenn die Frau einen Fehler macht, verlieren sie. Wenn der Mann einen Fehler macht, verlieren sie genauso. Sie sind absolut gleichgestellt, und das ist eine komplett neue Möglichkeit im Motorsport.

Wünschst du dir bestimmte Rennfahrerinnen für das Debüt der Extreme E?
Alejandro Agag: Natürlich gibt es sehr viele gute Rennfahrerinnen. Katherinne Legge ist schon lange bei uns, oder auch Michela Cerruti und Simona de Silvestro. Tatiana Calderon ist super und Testfahrerin in der Formel 1. Mikaela Ahlin-Kottulinsky ist bereits ein Teil der Extreme E als Testpilotin für unsere Reifen. Es gibt noch einige andere, sogar Danica Patrick! Vielleicht lässt sie sich überzeugen, in den Rennsport zurückzukehren... Es war wichtig, den Damen eine weitere professionelle Plattform als Option zur Verfügung zu stellen.

Alejandro Agag mit Supermodel Kate Upton, Foto: LAT Images
Alejandro Agag mit Supermodel Kate Upton, Foto: LAT Images

Ist die Extreme E damit die einzige Rennserie, in der Frauen auf einem vergleichbaren Level gegen Männer antreten können?
Alejandro Agag: Kurzfristig würde ich sagen: Ja. Langfristig? Nein. Weißt du, es ist nicht wissenschaftlich bewiesen, dass eine Frau nicht so schnell sein kann wie ein Mann. Auch das Gegenteil ist nicht bewiesen worden. Und solange wir keine Antwort darauf haben, ist das Konzept der Extreme E eine sehr starke Lösung, um Frauen und Männer auf dem gleichen Level antreten zu lassen.

Warum war es denn bislang so schwierig für Frauen, sich in den obersten Kategorien des Motorsport zu etablieren?
Alejandro Agag: Ich denke, dass sie nicht genügend Gelegenheiten hatten und die Sponsoren sie nicht unterstützt haben. Das geschah unter der Annahme, dass Motorsport für Männer gemacht ist. Das ist aber falsch. Das müssen wir ändern, diese Wahrnehmung. Weißt du, die Zeiten ändern sich für alles. Elektrischer Motorsport wäre vor 20 Jahren undenkbar gewesen. Und jetzt ist es möglich. Genauso wird es mit Frauen im Rennsport laufen. Es ist jetzt an der Zeit, dass wir dieses Thema angehen.

Auch Kylie Minogue war schon bei der Formel E zu Gast, Foto: LAT Images
Auch Kylie Minogue war schon bei der Formel E zu Gast, Foto: LAT Images

Kann die Extreme E in naher Zukunft ähnlich erfolgreich sein wie die Formel E?
Alejandro Agag: Absolut, ja. Beide Rennserien sind sehr unterschiedlich, das macht sie auch so kompatibel. Ich denke, dass die Extreme E äußerst erfolgreich und groß werden kann. Sie nimmt die Schlüssel-Probleme in Angriff, denen wir uns in Zukunft ausgesetzt sehen: den Klimawandel, den wir aufzeigen, indem wir an speziell gewählten Orten unsere Rennen austragen. Außerdem fahren wir elektrisch, das ist die Zukunft der Mobilität. Und jetzt widmen wir uns auch der Gleichheit der Geschlechter, was auch ein Thema ist, das beworben wird. Mit diesen Schlüsselelementen haben wir die Extreme E in die richtige Richtung gebracht.

Jetzt müssen wir aber doch mal fragen: Ist die Extreme E richtiger Motorsport oder etwas ganz Eigenes?
Alejandro Agag: Es ist beides. Auf jeden Fall ist es Rennsport. Die Frage wurde mir früher ja auch häufig mit der Formel E gestellt, als wir Dinge wie den Fanboost oder den Attack Mode eingeführt haben. Da haben einige Leute auch den Zeigefinger erhoben, aber ich habe sie gefragt: 'Was ist echter Motorsport?' Du brauchst ein Rennen. Und du brauchst Menschen, die versuchen, eine Distanz in kürzerer Zeit als die anderen zurückzulegen. Das ist der Wettbewerb. Wenn du das nicht hast, dann hast du gar nichts. Das sind die Hauptsäulen, die Basis der Theorie. Und wenn du das hast, baust du alles drumherum auf.

Die neue Extreme E bestreitet 2021 ihr erstes Rennen, Foto: Extreme-E
Die neue Extreme E bestreitet 2021 ihr erstes Rennen, Foto: Extreme-E

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Entwicklung der Extreme E aus?
Alejandro Agag: Es läuft alles nach Plan, es könnte höchsten ein paar Wochen Verzögerungen geben. Wir werden Anfang des kommenden Jahres genauso beginnen, wie wir es vorgesehen haben. Das Coronavirus ist wirklich hart für Alle. Aber unsere Rennen haben keine Zuschauer. Das erweist sich jetzt als Vorteil, auch, wenn wir das bei der Gründung natürlich nicht vorhersehen konnten. Die Extreme E ist die Corona sicherste Rennserie im Moment, weil wir nicht vor Publikum fahren.

Um eine Rennserie groß zu machen, braucht es die Autohersteller. Bist du trotz der Corona-Krise zuversichtlich, dass sich künftig Autobauer in der Extreme E engagieren werden?
Alejandro Agag: Ja, da bin ich zuversichtlich. Weißt du, in Zukunft wird es hart für die Hersteller im Motorsport. Sie werden verstärkt auswählen, wo sie sich engagieren. Die Budgets werden ein großes Thema sein. In der Extreme E sind die Kosten vergleichsweise gering. Eine ganze Saison kann einen Hersteller vier bis fünf Millionen kosten, was ziemlich angemessen ist. Ich glaube, dass es hier ähnlich laufen wird wie in der Formel E. In der ersten Saison wird es keine Hersteller geben, aber sie werden ab der zweiten und dritten Saison einsteigen. Autohersteller müssen sich sicher sein, sie müssen es sehen und Erfahrungen sammeln, bevor sie eine Entscheidung treffen. Wenn die dann getroffen worden ist, bleiben sie auch lange. Wir erwarten den gleichen Zyklus wie in der Formel E.

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Audi hat angekündigt, sich zum Saisonende 2020 aus der DTM zurückzuziehen und sich werksseitig zunächst nur auf die Formel E zu konzentrieren. Ist das ein Vorteil für deine Projekte?
Alejandro Agag: Nein. Es macht mich immer traurig, wenn solche Nachrichten kommen. Gerhard Berger und ich sind seit vielen, vielen Jahren gute Freunde. Die Entscheidung war schade, aber es stehen Allen kritische Zeiten bevor. Ich bin überhaupt nicht glücklich darüber, denn uns könnte es als Nächste treffen. Deshalb kann ich da nicht zuversichtlich sein. Das war keine gute Nachricht für den gesamten Motorsport. Es ist schade und traurig, aber wir müssen die Entscheidung akzeptieren. Audi hat keine Verpflichtung, sich im Motorsport zu engagieren.

In Deutschland übten viele DTM-Fans Kritik an der Entscheidung von Audi, auf die Formel E statt die DTM zu setzen. Kannst du diesen Ärger nachvollziehen?
Alejandro Agag: Natürlich, das kann ich absolut nachvollziehen. Wenn die Leute die DTM mögen, sehen sie das kritisch. Das hat aber nichts mit der Formel E zu tun. Wenn Audi sich entschieden hätte, das DTM-Programm zu beenden um stattdessen Speedboote zu bauen, dann wären sie auf die Speedboote sauer. Wenn ich ein Fan der DTM wäre, dann wäre ich auch unglücklich.

DTM-Boss und Formel-E-Gründer: Gerhard Berger und Alejandro Agag 2008 bei der Formel 1, Foto: LAT Images
DTM-Boss und Formel-E-Gründer: Gerhard Berger und Alejandro Agag 2008 bei der Formel 1, Foto: LAT Images

Wie sehen die aktuellen Pläne aus, die laufende Saison in der Formel E zum Abschluss zu bringen?
Alejandro Agag: Wir stehen konstant in Kontakt mit Allen, um zu wissen, was bei den Regierungen, Einschränkungen und Maßnahmen vor sich geht. Wir hoffen, dass wir im August und vielleicht im September Rennen austragen können. Wahrscheinlich dann ohne Zuschauer. Aber selbst dahinter steht ein Fragezeichen. Wir befinden uns vor allem mit den Behörden in Deutschland und Großbritannien im Austausch, um zu sehen, was möglich ist. Es ist noch zu früh, aber ganz langsam zeichnet sich ein klareres Bild an. Ich denke, dass Ende Mai Klarheit darüber herrschen wird, welche Maßnahmen für Veranstaltungen getroffen werden müssen. Ich denke, dass wir Anfang Juni einen Kalender erstellen können, um mit etwas im August zu beginnen.

Also besteht noch eine Chance, dass in dieser Saison ein Rennen in Berlin ausgetragen wird?
Alejandro Agag: Ja, die Chance besteht auf jeden Fall. Es wäre dann in Tempelhof, aber eben unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Vorteil von Tempelhof besteht darin, dass man es absperren kann. Die Regierung in Deutschland hat gesagt, dass es für Veranstaltungen eine Begrenzung von 1.000 Personen gibt. Und wir können ein Rennen mit weniger als 1.000 Menschen abhalten.