Andre, du bist in Berlin dein 22. Formel-E-Rennen gefahren. Bei ihrer Premiere 2014 hast du dich kritisch über die Elektrorennserie geäußert. Jetzt bist du ein Teil davon. Warum?
Andre Lotterer: Ich war zufrieden mit dem, was ich gemacht habe, nämlich 1.000 PS-starke Prototypen in der WEC (LMP1-Kategoie, d. Red.) zu fahren. Ich war einfach skeptisch. Erst nach dem Ende meiner WEC-Aktivitäten habe ich mich umgeschaut und mich näher mit der Formel E befasst. Als ich sie kennengelernt habe, ist mir klar geworden, wie interessant die Elektrorennserie und der Wettbewerb ist.

Die Formel E bestreitet aktuell ihre fünfte Saison. Erhält sie die ihr zustehende Aufmerksamkeit?
Andre Lotterer: Ja und nein. Der Umweltaspekt ist sehr wichtig und das wird meiner Meinung nach auch gut kommuniziert. Nein, weil Vieles noch sehr neu ist und von den Fans nicht so angenommen wird, wie man es sich wünschen würde. Andererseits ist die Show und vor allem die Leistungsdichte extrem hoch. Das gibt es so aktuell in keiner anderen Rennserie auf der Welt. Und auch die Technik macht große Fortschritte.

Was sollten die Verantwortlichen der Formel E tun, um die Serie noch populärer zu machen?
Andre Lotterer: Es müssen noch mehr Leute angesprochen werden, die bisher nicht unbedingt für den Motorsport zu begeistern waren. Die Tatsache, dass wir in sehr großen Metropolen in der ganzen Welt an den Start gehen, ist dabei sicher hilfreich. Denn dort erreichen wir ein anderes Publikum. Aufmerksamkeit erhält die Formel E aktuell durch den Dokumentarfilm Film "And We Go Green", der bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt wurde. Er lässt die Zuseher hinter die Kulissen der Elektrorennserie blicken und zeigt dabei, wie Hersteller die Formel E als Testfeld für die E-Mobilität nutzen.

Was fehlt der Formel E an noch mehr Attraktivität?
Andre Lotterer: Da fehlt nicht viel. Die Rennen sind spannend und beispielsweise im Vergleich zur Formel 1 kaum vorhersehbar. Vielleicht liegt es am Sound, aber den gibt es auch in der WEC bei den Prototypen nicht. Offensichtlich braucht es einfach noch an Zeit, bis das Bewusstsein für diese Art von Rennsport in der Öffentlichkeit angenommen und respektiert wird. Wichtig und schwierig zugleich ist es, Heroes zu kreieren.

Da schaut selbst Formel-E-Boss Agag: Lotterer und Teamkollege Vergne mit Superstar Rita Ora, Foto: LAT Images
Da schaut selbst Formel-E-Boss Agag: Lotterer und Teamkollege Vergne mit Superstar Rita Ora, Foto: LAT Images

Kritiker meinen, die Formel E sei nicht schnell genug...
Andre Lotterer: Jeder, der das behauptet, soll sich mal in einen Formel-E-Rennwagen setzen und am Limit fahren. Das ist viel schwieriger, als beispielsweise in Le Mans mit mehr als 330 km/h Topspeed über die Hunaudières-Gerade zu rasen. Für mich ist das Racing in der Formel E der schwierigste Job in meiner Rennkarriere!

Du bist etliche Rennwagen mit klassischem Motor und Heckantrieb, auf der Langstrecke mit Verbrenner, Dieselantrieb und zusätzlicher Power an der Vorderachse gefahren. Wie fährt sich dagegen ein Formel-E-Rennwagen?
Andre Lotterer: Man muss mehr arbeiten am Lenkrad. Als Fahrer bist du viel mehr gefordert, weil sich das Auto viel bewegt und unruhig ist.

Was macht das Fahren am Limit in der Formel E so schwierig?
Andre Lotterer: Das liegt vor allem an den nicht permanenten Rennstrecken inmitten der Städte mit unterschiedlichem Asphalt, Bodenwellen und Unebenheiten. Außerdem haben die Allwetter-Einheitsreifen (von Michelin, d. Red.) viel weniger Grip im Vergleich zu den in anderen Rennserien verwendeten Slickreifen.

Einzigartiges Merkmal der Formel E: Rennen in großen Innenstädten, Foto: LAT Images
Einzigartiges Merkmal der Formel E: Rennen in großen Innenstädten, Foto: LAT Images

Wie lange hast du gebraucht, um dich auf das Fahren in der Formel E umzustellen?
Andre Lotterer: Für mich war es am Anfang nicht einfach, weil es ein Unterschied ist, ob man in einem Privatteam ohne Testfahrten oder in einem Werksteam mit den Möglichkeiten eines Herstellers fährt. Ich habe in meiner Rennkarriere noch nie so viel gearbeitet wie das aktuell in der Formel E der Fall ist. So sitze ich beispielsweise vor jedem Rennen drei Tage bei DS im Simulator.

Was muss man als Fahrer besonders intensiv lernen?
Andre Lotterer: Das ganze Prozedere, die vielen Abläufe, das alles muss man im Kopf haben. Es gibt unzählige Möglichkeiten, ein Auto optimal zu programmieren. All das wird vorher simuliert, damit man an dem einen Tag, an dem Training, Qualifying und Rennen stattfinden, bestens vorbereitet ist.

In Berlin musstest du von hinten starten, hast dich nach vorne gekämpft und bist dann wegen eines technischen Problems ausgefallen. Was genau ging schief?
Andre Lotterer: Das war wirklich ein mieser Tag. Schade, denn die Performance selbst war mega. Leider hatten wir einen technischen Defekt im Rennen. Irgendwann hat mir mein Ingenieur gesagt, dass die Batterie zu heiß wird. Ich durfte nicht mehr so viel Energie rekuperieren. Deshalb haben wir die Strategie geändert. Ich musste mehr lupfen, aber es ging zunächst weiter. Dann wird irgendwann Feierabend und ich musste vorzeitig an die Box. Wir lassen jetzt aber den Kopf nicht hängen und schauen aufs nächste Rennen.

In der Meisterschaft belegst du den dritten Platz mit 86 Punkten. Dein Teamkollege Jean-Eric Vergne ist durch den Sieg in Berlin neuer Spitzenreiter mit 102 Punkten.
Andre Lotterer: Es ist noch alles drin, es sind ja noch drei Rennen zu fahren. Wir haben gesehen, dass es bei allen mal auf und mal ab gehen kann. Ich hoffe, dass mein Pech jetzt aufgebraucht ist. Die Performance war in Berlin da, das stimmt mich zuversichtlich.

Pech in Berlin: Lotterer musste das Rennen vorzeitig beenden, Foto: LAT Images
Pech in Berlin: Lotterer musste das Rennen vorzeitig beenden, Foto: LAT Images

Befürchtest Du eine mögliche Teamorder?
Andre Lotterer: So wie die Meisterschaft zur Zeit läuft, gibt es solch eine Entscheidung wahrscheinlich erst beim letzten Event in New York (wo zwei Rennen gefahren werden, d. Red.).

Kann man so wie du aktuell, neben dem Titelkampf in der Formel E noch eine andere Rennserie auf diesem hohen Level bestreiten und dort ebenso um den Titel kämpfen?
Andre Lotterer: Was mich betrifft: Ich fahre parallel in der WEC für das Privatteam Rebellion - und habe dabei nicht den Druck, den ich als Werksfahrer hätte. Für Sebastien Buemi (der in der Formel E und WEC werksseitig für Nissan und Toyota an den Start geht, d. Red.) ist das beispielsweise viel schwieriger.

Warum?
Andre Lotterer: Bei einem Engagement in zwei Rennserien ist es schwierig, die letzten Hundertstel- oder Tausendstelsekunden zu finden. Gerade die Formel E ist sehr speziell. Deshalb ist es besser, sich werksseitig nur auf eine Rennserie zu konzentrieren.

In den Rennserien, in denen du bisher unterwegs warst, gehörtest du zu den schnellsten Fahrern. Das belegen auch deine drei Le-Mans-Gesamtsiege und insgesamt sechs Titelgewinne in verschiedenen Meisterschaften. Trotzdem bist du in Deutschland für viele ein unbeschriebenes Blatt. Ärgert Dich das?
Andre Lotterer: Da bin ich realistisch. Ich sehe den Grund dafür in meiner Präsenz, denn ich bin zu Beginn meiner Rennkarriere (1998 bis 2000, d. Red.) lediglich drei Jahre in Deutschland Rennen in der Formel BMW und Formel 3 gefahren. Dagegen hat sich beispielsweise Pascal Wehrlein mit Rennen in der DTM und Formel 1 einen Namen gemacht - und deshalb wird er in Deutschland anders wahrgenommen.

Auch in der Formel E erfolgreich: Andre Lotterer in seiner zweiten Saison, Foto: LAT Images
Auch in der Formel E erfolgreich: Andre Lotterer in seiner zweiten Saison, Foto: LAT Images

Kannst du schon etwas zu deiner Zukunft verraten? Bleibst Du bei DS-Techeetah oder wechselst du zu Porsche, die sich ab der sechsten Saison werksseitig in die Formel E engagieren?
Andre Lotterer: Ich habe bestehende Verträge mit DS und Porsche. Es gibt noch keine Entscheidung.

Gibt es noch weitere Hersteller wie beispielsweise Audi oder BMW, mit denen du in Kontakt stehst?
Andre Lotterer (lacht): Darüber kann ich momentan (noch) nicht sprechen.