Formel E 2019: Die spannendste Saison der Geschichte?: (10:28 Min.)

Andre, du bist in Monaco vom letzten Startplatz bis auf Platz neun nach vorne gefahren und wegen nachträglicher Strafen für andere Fahrer auf P7 vorgerückt. Wie lief das Rennen aus deiner Sicht?
Andre Lotterer: Es war chaotisch. Eine Mischung aus Bescheidenheit, Geduld und Aggressivität. Ich habe versucht, von Fehlern der anderen zu profitieren und selbst schlau zu fahren. In der ersten Runde konnte ich dem Drama entgehen und trotzdem vier Plätze gewinnen. Vielleicht hätten es noch mehr sein können. In Turn 3 musste ich aber zurückziehen, weil die Mauer ziemlich nahe kam. Danach war es schwierig zu überholen. Ich war hinter Daniel Abt und habe es ein paar Mal versucht, hat aber nicht geklappt. Daniel war ziemlich aggressiv unterwegs, davon habe auch ich profitiert. Von ganz hinten als Neunter über die Ziellinie zu fahren, war nicht schlecht. Ich würde es unter Schadensbegrenzung abbuchen.

Was lief bei dir im Qualifying schief?
Andre Lotterer: Ich habe einen kleinen Fehler gemacht und den teuer bezahlt. Der erste Sektor war noch gut mit dem Bremsen auf den Geraden. Aber der zweite Sektor war schlecht. Ich bin auch noch als Erster in der ersten Gruppe gestartet - da bist du quasi der Besen auf der Strecke. Im zweiten Sektor habe ich mein Auto nicht wiedererkannt, nachdem es im Training noch super war. In Turn 8 haben die Räder blockiert. Das hat mich vier bis fünf Zehntelsekunden gekostet - und das war's.

Du bist Zweiter in der Meisterschaft mit nur einem Punkt Rückstand auf deinen Techeetah-Teamkollegen Jean-Eric Vergne. Wie bewertest du deine Titelchancen?
Andre Lotterer: Die Meisterschaft ist komplett verrückt mit diesem Qualifying-Modus. Das wird sich da oben sicher noch ein paar Mal ändern. Es lässt sich kein Trend ablesen. Die Formel E ist die schwierigste Meisterschaft, die es gibt. Jetzt ist Jev (Jean-Eric Vergne) auch in der ersten Quali-Gruppe - herzlich willkommen! Zwischen uns beiden ist alles gut. Wir wissen, dass es in der Meisterschaft auf und ab geht und machen das Beste draus.

Andre Lotterer und Teamkollege Jean-Eric Vergne mit Sängerin Rita Ora, Foto: LAT Images
Andre Lotterer und Teamkollege Jean-Eric Vergne mit Sängerin Rita Ora, Foto: LAT Images

Vergangenes Jahr in deiner Rookie-Saison sagtest du, dass du gegebenenfalls für Vergne zurückstecken würdest, weil er an einem anderen Punkt seiner Karriere sei als du. Wie ist es jetzt?
Andre Lotterer: Ich bin ein bisschen aufgewacht. Letztes Jahr habe ich mich erst einmal in der Forme E integriert, während Jev am Höhepunkt war. Für mich war das nicht immer einfach, aber ich dachte: 'Okay, ich bleibe cool und versuche zu lernen'. Aber jetzt merke ich ja, dass ich vorne dabei sein kann. Das ist natürlich sehr motivierend und ich kämpfe wie alle anderen auch.

Wie ist es jetzt um deine Freundschaft mit Vergne bestellt?
Andre Lotterer: Wir sind Kumpels und respektieren uns auch. Abseits der Strecke sind wir Freunde. Und wenn es auf der Rennstrecke zwischen uns mal ordentlich hergehen sollte, dann wird sich das Team schon melden...

Durch die beiden Podestplätze in Rom und Paris führst du weiter die spezielle Wertung der fünf Europa-Rennen an. Wie wichtig ist es dir, Führender in der 'voestalpine European Races' zu sein?
Andre Lotterer: Es ist ein tolles Gefühl, diese Wertung anzuführen. Nach meinem zweiten Podestplatz in Paris durfte ich die einzigartige Trophäe schon kurz in den Händen halten und freue mich, als Führender zu meinem Heimrennen in Berlin zu reisen. Mein Ziel ist es jetzt, auch beim Finale in Bern ganz oben zu stehen und der erste Gesamtsieger in der Geschichte der 'voestalpine European Races' zu sein.

Andre Lotterer mit der voestalpine European Races Trophäe im speziellen 3D-Druck, Foto: LAT Images
Andre Lotterer mit der voestalpine European Races Trophäe im speziellen 3D-Druck, Foto: LAT Images

Warum geht es in der Formel E zwischen den einzelnen Teams so eng zu?
Andre Lotterer: Alle Teams haben dazugelernt im Vergleich zu den ersten Jahren, als nur drei oder vier Teams gecheckt haben, wie man das meiste Potenzial herausholen kann. Die Motor-Effizienz hält sich bei allen Herstellern in einem ähnlichen Raum. Das Quali-Format in dieser Saison kann man so oder so sehen. Zumindest startet man in der selben Gruppe mit den Leuten, mit denen man um die Meisterschaft kämpft. Das Format im vergangenen Jahr (Auslosung der Qualifying-Gruppen; d.Red.) war mehr Glückssache. Jetzt ist es schon irgendwie fair, wenn man mit den direkten Gegnern in einem Boot sitzt. Außerdem sind hier nur gute Fahrer, keiner kann sich extrem herauskristallisieren.

Seit dieser Saison gilt Techeetah durch die Partnerschaft mit DS Automobiles erstmals als Hersteller. Wie wichtig ist das?
Andre Lotterer: Das ist ein großer Unterschied, nachdem wir in der vergangenen Saison einen Motor von Renault gemietet hatten. Das Team ist gewachsen und vor allem standen uns diesmal die 15 Testtage für Hersteller zu. Da haben auch die Erfahrungen, die Jev und ich im Motorsport gesammelt haben, geholfen. Ein Riesenteil der Vorbereitung in der Formel E ist es, dass das Mapping stimmt und das Auto genau das macht, was du willst. Zudem haben wir mehr Ressourcen und können schneller etwas entwickeln. Ich halte es für den richtigen Weg, ein eigener Hersteller in der Formel E zu sein.

Darum fährt die Formel E nicht auf dem Monaco GP-Kurs: (09:23 Min.)

Sollten die Formel-E-Autos in Zukunft noch mehr Leistung erhalten?
Andre Lotterer: Es könnte schon sein, dass noch ein bisschen mehr Leistung kommt. Aber viel mehr können wir auch nicht fahren. 250 kW klingen im Vergleich zu anderen Serien nach nicht so viel. Aber wir fahren hier auf sehr engen Strecken und der Asphalt ist auch so eine Sache. In Rom etwa waren die Autos wegen dieses Sprunghügels zehn Zentimeter in der Luft! Vielleicht schafft man es, die Leistung zu halten, aber die Batterie zu verkleinern und dadurch weniger Gewicht zu haben. Dadurch hätten wir eine bessere Beschleunigung. Was den Topspeed angeht, denke ich, können wir nicht viel schneller fahren.

Wie siehst du generell die Zukunft der Formel E?
Andre Lotterer: Die Formel E hat eine tolle Zukunft. Alle haben die gleichen Autos, die Aerodynamik ist weitestgehend irrelevant und dadurch entsteht eine gute Show. Das ist anders als in anderen Serien. Die Idee des Fast Charging finde ich interessant und hätte auch Relevanz für die Automobilindustrie. Was die Entwicklung der Batterie angeht: Da können die Kosten sehr schnell explodieren und dann wäre es wie in der Formel 1. Wer mehr Geld hat, ist vorne.