Es ist der Traum eines jeden Formel-1-Teamchefs und das Schlaraffenland der Formel-1-Ingenieure: Weg mit der teuren, aufwändigen und langwierigen Windkanalarbeit, weg mit den ähnlich teuren, aufwändigen und langwierigen Testfahrten, her mit der kostengünstigen, aber trotzdem absolut zuverlässigen Fahrzeugkonstruktion. Unmöglich? Nick Wirth schüttelt heftig mit dem Kopf. Der Technikchef von Virgin Racing geht einen komplett virtuellen Weg.

Sein einzigartiger Ansatz beim Fahrzeugdesign und der Weiterentwicklung nennt sich "Development in the Digital Domain". Der Chef von Wirth Research setzt voll auf CFD (Computational Fluid Dynamics) und virtuelle Rennsimulationen. So wird der VR01 von Virgin Racing ohne Hilfe eines Windkanals vollständig im Computer entworfen und bereits in einem der gepriesenen Simulatoren von Wirth getestet, ohne das die Teile dafür produziert werden mussten. Alles läuft rein virtuell ab.

Der Fahrplan sieht ein reales Testdebüt auf der Rennstrecke im Februar vor. Die bisherigen Crashtests habe das Auto laut Wirth bestanden. Beim Design der Acura LMP1 und LMP2 Boliden für die American Le Mans Series ging der Plan auf: Beide gewannen in der Saison 2009 ihre jeweilige Klasse, was Nick Wirth als Beweis dafür anführt, dass sein virtueller Ansatz funktioniert. Was dabei gerne übersehen wird: Die werksseitige Konkurrenz von Porsche in der LMP2 und Audi in der LMP1 fehlte in der Titelsaison von Acura.

Trotzdem setzt sich der CFD-Ansatz immer weiter durch. "Ich habe gelesen, dass Nick Wirth in einem Press Release gesagt hat, dass das neue Virgin F1-Auto komplett auf CFD beruht und nicht auf Windkanalarbeit", teilte USF1-Sportdirektor Peter Windsor mit. "Das gleiche gilt für unser Auto, obwohl wir dies als logischen Prozess für ein neues Team ansehen und nicht als etwas besonders Aufregendes."

Gutes CFD, böses CFD

Bei USF1 wurde bislang auch nur in CFD am Design gefeilt., Foto: USF1
Bei USF1 wurde bislang auch nur in CFD am Design gefeilt., Foto: USF1

Den Hardcore-Weg von Wirth geht USF1 allerdings nicht mit: Nach der Fertigstellung aller Komponenten soll das fertige Auto bei "mehreren Gelegenheiten" im nahegelegenen Windshear-Windkanal getestet werden. Eine Einrichtung um Windkanalmodelle zu bauen, besitzt das Team ohnehin nicht.

Grundsätzlich hat sich CFD im Formel-1-Design schon längst durchgesetzt, allerdings als Grundlagenforschung und Rückversicherung für die Windkanalarbeit. "Nur mit CFD ist es möglich, Änderungen schnell durchzuführen und dann den aerodynamischen Mechanismus auch zu verstehen", erklärt uns Sauber-Technikchef Willy Rampf. Am Computer lassen sich hunderte Variationen durchspielen, die allein aus Zeit- und Kostengründen niemals alle als Modelle gebaut und getestet werden könnten. Diese reine CFD-Phase nimmt etwa drei Monate im Designprozess eines neuen F1-Autos in Anspruch.

Sobald der Computer die besten Varianten ausgespuckt hat, beginnt das Team mit dem Bau von Modellen, die im Windkanal ausprobiert werden, um die CFD-Berechnungen noch einmal in der Praxis zu überprüfen - immerhin kam es schon oft vor, dass die Ergebnisse aus CFD und Windkanal nicht mit der Realität auf der Strecke übereinstimmten. "Umgekehrt lässt man von einem Schritt, den man im Windkanal gemacht hat, und den man für positiv hält, vielleicht noch mal 20 oder 50 Varianten im CFD berechnen", verrät Rampf.

Anstatt einer Verifizierung im Windkanal setzt Wirth bei seinem virtuellen Ansatz auf eine Überprüfung in seinem Simulator, der die nicht produzierten Teile virtuell auf der Rennstrecke testet. Dabei hat ausgerechnet Wirths erste Firma Simtek Research (Simtek stand für Simulation Technology) Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre von der Einrichtung von Windkanälen gelebt. Erst danach ging er mit Simtek in die Formel 1, wo er in der zweiten Saison wegen Geldmangels aufgeben musste. Danach arbeitete er als Chefdesigner bei Benetton, bevor er Roboterhunde entwickelte.

Der CDG-Reinfall

Angesichts seines speziellen CFD-Ansatzes ist der Druck bei seiner F1-Rückkehr enorm. "Der Motor ist toll, die Fahrer sind toll, wo auch immer wir in der Startaufstellung landen, es liegt an mir", sagt Wirth. "Jedes Problem wird an uns liegen, denn die Jungs werden ihre Leistung bringen. Wir müssen unser Bestes geben."

Kritik gibt es schon jetzt. Lotus Teamchef Ton Fernandes meinte noch im Spaß: "Ich bin aus der Luftfahrt, du musst einen Windkanal haben!" Andere erinnern sich an das letzte Formel-1-Projekt von Wirth, bevor er sich den US-Serien wie Indycar und ALMS widmete: den CDG-Wing (Centreline Downwash Generating Wing).

Wirths per CFD entworfener CDG-Wing sollte die F1 revolutionieren., Foto: FIA
Wirths per CFD entworfener CDG-Wing sollte die F1 revolutionieren., Foto: FIA

Er war die Sensation des Jahres 2005. Der zweigeteilte Heckflügel sollte die Turbulenzen, die berüchtigte Dirty Air, hinter einem F1-Auto verringern und so Überholmanöver wieder salonfähig machen. Das hässliche Entlein der F1-Aerodynamik wurde von Wirth im Auftrag des damaligen FIA-Präsidenten Max Mosley entworfen. Schon damals setzte Wirth in Zusammenarbeit mit dem Computerchiphersteller AMD gänzlich auf CFD.

"Die Arbeit am CDG-Wing hat gezeigt, dass dieses Ding absolut auf des Messers Schneide gewesen wäre", sagt Mike Gascoyne. "Es gab einen Punkt, an dem es angeblich funktioniert hätte, aber dazu musste man weniger als eine halbe Fahrzeuglänge hinter dem Vordermann fahren. Wenn man nur einen Meter weiter zurückfiel, veränderte sich die Balance des Autos um 20% und man verlor 30% des Downforce. So lange man nicht unglaublich mutig war und direkt hinter jemandem herfuhr, konnte es niemals funktionieren."

Die Überholarbeitsgruppe (OWG) der FIA kam zu dem selben Schluss. Sie bezeichnete Wirths CDG-Wing als interessante Idee, betonte jedoch, dass CFD noch nicht bereit für diese Berechnungen sei. So sei es nicht möglich gewesen, CFD zu nutzen, um damit das instabile Verhalten der Luft hinter einem F1-Auto zu studieren. Die OWG setzte aus diesem Grund auf bewährte Methoden wie den McLaren-Simulator, Testfahrten in Monza mit zwei Ferrari und den alt gedienten Windkanal. Fünf Jahre danach erhält Wirth eine neue Chance, die F1-Welt von den Fähigkeiten der virtuellen Welt zu überzeugen.