Sie ist die wohl berühmteste Mauer im Motorsport, etwas unscheinbar und eigentlich gar nicht gefährlich. Zusammen mit den einheimischen Murmeltieren drum herum scheint sie keinerlei Gefahr auszustrahlen. Aber doch kracht es jedes Mal, wenn die besten Rennfahrer der Welt versuchen, sie nur hauchdünn zu streicheln, aber ja nicht hinein zu krachen. Adrian Sutil kommt 2007 zum ersten Mal auf die Ile de Notre Dame in Montreal.

Nach 62 Minuten im 2. Training hebt er auf den Kerbs ab, fliegt durch die Zielschikane und in Richtung der legendären Wall of Champions. Erst rechts, dann links. Doch Sutil schafft, woran viele Weltmeister zuvor und danach gescheitert sind: Er fängt seinen orange-schwarzen Spyker nach der Flugeinlage vor der Mauer ab. Seither nennen ihn einige Beobachter nur noch "AIR Sutil". Viele Fans hatten den Starnberger bis zur Saison 2009 vor allem wegen eines Auffahrunfalls in Monaco in Erinnerung - 2008 krachte ihm ausgerechnet Weltmeister Kimi Räikkönen in das Heck des Force India und verhinderte so einen sensationellen 4. Platz von Sutil.

Der Wille zum Erfolg

Mit dem gleichen Kampfgeist, den er bei seinem Tiefflug in Montreal bewiesen hat, ließ er den Rückschlag hinter sich. Sutil war schon immer selbstbewusst. Er wusste, was er wollte und setzte das auch durch. Seine Karriere startete er nach dem Motto: "Was der kann, kann ich schon lange." Im Schnelldurchgang absolvierte er die Formel BMW, die Formel 3 Euro Serie und die japanische Formel 3. "Mein Wille war entscheidend", sagt Sutil. Viele junge Rennfahrer werden von ihren Vätern in die Cockpits gedrängt. "Dann steckt nicht so viel Ehrgeiz dahinter wie bei mir. Ich war immer einer von denjenigen, der verbissen versucht hat, nach oben zu kommen."

Für sein Ziel Formel 1 gab er eine vielversprechende Musikerkarriere auf. Sein Vater Jorge spielte viele Jahre in der Münchner Philharmonie und legte ihm das Talent in die Wiege. Bis zum 14. Lebensjahr war Sutils Arbeitsgerät ein Klavierflügel, kein Lenkrad. "Ich hätte das Zeug dazu gehabt, aber ob ich auch den Ehrgeiz dazu gehabt hätte?", fragt er sich rückblickend. "Ich bin im Rennen fahren und im Musischen talentiert, aber Klavier zu spielen hat mir nicht alles gegeben. Mir hat ein bisschen die Action gefehlt. Das tägliche Üben und fünf Stunden auf dem Stuhl zu sitzen, war nicht unbedingt meins."

Adrian Sutil meisterte die Schikane in Montreal., Foto: Sutton
Adrian Sutil meisterte die Schikane in Montreal., Foto: Sutton

Schon im Alter von 4 Jahren begann Sutil mit dem Klavier spielen, mit 7 Jahren gab er erste Konzerte. Motorsport-Magazin.com erklärte er in einem Interview: "Es war das Üben, das war ziemlich anstrengend für mich. Aber ich war so begabt, ich musste eine halbe Stunde dafür üben, was andere in drei Stunden schafften. Ich hatte tolle, große Auftritte, habe dafür auch ordentlich Geld bekommen. Aber es hat mir nicht das gegeben, wonach ich gesucht habe."

Das fand er auf der Kartbahn, auf die ihn sein Bruder Daniel mitnahm. "Er wollte mir klar machen, dass das echt cool ist." Eigentlich wollte Sutil gar nicht mitgehen, weil er Kart fahren für langweilig hielt. "Aber es war super klasse. Ich habe sofort gemerkt, dass es mir liegt, dieses Gefährt am Limit zu bewegen." So wie er es noch immer am liebsten macht. Auf seinen schnellen Runden lässt es Sutil eigenen Aussagen zu Folge gerne krachen. "Ich hole gerne das Maximum aus dem Auto heraus und fahre am Limit", sagt er. "Das ist meine Natur, dann fühle ich mich wohl."

Schon damals im Alter von 13 Jahren fiel es ihm nicht schwer, auf Anhieb schnelle Rundenzeiten zu fahren. Seine Eltern waren von dem Wechsel vom Klavier- zum Front- und Heckflügel erst einmal wenig begeistert. "Mein Vater hat mir keine müde Mark gegeben", erinnert er sich. Also sparte Sutil sein Taschengeld, arbeitete an der Kartbahn und pumpte heimlich seine Mutter an. "Als mein Vater gesehen hat, dass mein Bruder und ich beide sehr talentiert waren, und immer die Schnellsten waren, hat er uns auch unterstützt." Die Arbeit, der Ehrgeiz und das Selbstbewusstsein haben sich ausgezahlt. Heute besucht Vater Jorge seinen Sohn in der Box eines F1-Rennstalls - und das bereits in der dritten vollen Saison.

Die Augen geöffnet

Wenn Sutil nicht mit dem F1-Zirkus auf Reisen ist, die wenigen Tests bestreitet, im Simulator trainiert oder PR-Auftritte absolviert, treibt er gerne Sport - schließlich muss er sich fit halten, um ein F1-Auto an die Grenzen zu treiben. Radfahren und Laufen gehören zu seinem Trainingsprogramm, auch ein paar Stunden in seiner heimischen Fitnessecke gehören dazu. Bequem zu Fuß erreicht er seinen Computer, den er mit Lenkrad und allerlei Technik aufgerüstet hat. So konnte er schon zu Zeiten, als sich nicht fast jedes F1-Team einen hypermodernen Simulator in die Fabrik stellen konnte, die Strecken im Voraus lernen und dabei etwas Spaß haben.

Adrian Sutil möchte mit den ganz Großen mitschwimmen., Foto: Sutton
Adrian Sutil möchte mit den ganz Großen mitschwimmen., Foto: Sutton

Apropos Spaß: Wenn er genug trainiert hat, schaltet Sutil gerne bei Musik oder einer DVD ab. Seine DVD-Sammlung vergrößerte sich in seiner Zeit in Japan schlagartig. Seine Erinnerungen an das Jahr in der japanischen F3 sind bestens. Sogar einige Brocken Japanisch sind noch übrig geblieben, so kann er ohne Probleme das Auto volltanken lassen und dafür bar bezahlen sowie einer hübschen Dame Komplimente machen. Nur an das Fernsehprogramm hat er sich nie gewöhnt: "Nach einer Woche habe ich mir nur noch DVDs gekauft, weil das Programm kannst du dir nicht anschauen!" Die ständig lustigen japanischen Schauspieler und Sendungen waren nicht nach seinem Geschmack. "Das gesamte Programm ist wie für Sechsjährige. Es ist ja schön, dass die Leute so lustig sind, aber für uns Europäer ist das zu ungewohnt."

Viel besser gefallen Sutil sicher ein paar Rennaufnahmen aus der zweiten Saisonhälfte 2009. Ab seinem 7. Startplatz am Nürburgring ging es für ihn und sein Team bergauf - bis zum Höhepunkt in Monza, wo Sutil aus der ersten Startreihe ins Rennen ging und dieses als Vierter beendete. "Die zweite Hälfte hat sehr viel Spaß gemacht", erinnert er sich. "Wir hatten sehr gute Qualifyings, von denen wir im letzten Jahr nur träumen konnten." Er selbst hat immer daran geglaubt, dass er vorne mitfahren kann, wenn das Auto gut genug ist. Allerdings merkte er auch, wie schnell die Erwartungen steigen. "Dann sagst du dir, wenn du nicht aufs Podium kommst, ist das etwas enttäuschend. Das geht wahnsinnig schnell."

Gefallen haben ihm die Duelle mit den Topteams trotzdem. "Ich war schon immer davon überzeugt, dass ich das Zeug dazu habe, vorne mitzufahren. Wenn sich die Chance bietet, muss man sie nutzen." Für Sutil und Force India waren die Umwälzungen durch die neuen Regeln und das glückliche Händchen der Designer beim Low-Downforce-Paket ein Glücksfall. Plötzlich stand ein Force India auf der Pole und der amtierende Champion Lewis Hamilton im McLaren war weit abgeschlagen. "Das öffnet jedem die Augen", sagt Sutil. "Bis jetzt haben viele gedacht, dass wir da hinten nicht richtig Auto fahren können." Sutil hat bewiesen, dass er es auch an der Spitze krachen lassen kann.

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