Marc, Chaos überall - kannst Du Dich erinnern, wann es das letzte Mal so turbulent zuging?
Marc Surer: Ja, beim Brasilien GP 2003, als Fisichella gewonnen hat beziehungsweise als man schlussendlich nicht genau wusste, wer gewonnen hat. Da ging es auch drunter und drüber. Das zeigt wieder einmal, wenn es der Wettergott will, gibt es spannende und interessante Formel 1-Rennen.

Magst Du das oder denkst Du Dir: vielleicht hätte man mit dem Start auch 10 Minuten warten können?
Marc Surer: Wer hat schon erwartet, dass es dermaßen regnet? Ich habe die Wolke auch kommen sehen, aber ich hätte nie gedacht, dass es so herunterhaut. Deshalb kann man niemandem die Schuld geben. Der Anfang war natürlich zu viel des Guten. Wenn die Fahrer hilflos mit Aquaplaning dahinschlittern, ist das nur noch gefährlich. Aber sie hatten auch die falschen Reifen gewählt, schließlich gibt es die grobstolligen Regenreifen, nur hat sie keiner aufgezogen.

Fahren manche Piloten vielleicht auch zu schnell und benutzen ihren Kopf nicht - gerade wenn das Safety Car draußen ist?
Marc Surer: Man muss fast langsamer fahren als ein Straßenauto. Denn ein F1-Auto mit breiten Reifen und wenig Gewicht schwimmt viel früher auf als ein normaler Pkw.

Wie lässt sich erklären, dass Fernando am Ende so viel schneller war als Massa?
Marc Surer: Grundsätzlich muss man festhalten: Alonso beißt immer. Er ist schon im Trockenen näher gekommen, wenn auch nur im Zehntelbereich. Er hatte noch nicht aufgegeben, war supermotiviert, hat seine Chance gesehen und sie auch genutzt. Bei halbnassen Bedingungen hat man dann gesehen: Wer mehr riskiert, der gewinnt. Da hat Alonso bewiesen, dass er nicht durch Zufall zweifacher Weltmeister ist.

Alonso hat nie aufgegeben und es allen gezeigt., Foto: Sutton
Alonso hat nie aufgegeben und es allen gezeigt., Foto: Sutton

War das nach dem Motto: Jetzt erst Recht?
Marc Surer: Er weiß, dass er aufholen muss. Er weiß auch: Wenn Massa gewinnt, kommt er ihm auch näher. So weit ist er nicht weg. Somit war es sehr wichtig, ihn zu schlagen. Außerdem war es psychologisch sehr wichtig, dass er ihn nach der Barcelona-Aktion auf der Außenbahn überholen konnte.

Wie hast Du die Situation gesehen?
Marc Surer: Alonso war schon vorbei, als sie sich berührt haben. Es war eine Rennsituation. Es ist normal, dass der andere nicht gleich nachgibt, er wollte ihn wohl ins Verderben schicken, indem er stehen lässt. Er wollte, dass sich Alonso verbremst und er in der nächsten Kurve wieder vorne ist - das hätte ja auch passieren können. Felipe hat einfach nicht aufgegeben, obwohl Fernando schon vorne war.

Wie beurteilst Du die Situation zwischen den beiden BMW?
Marc Surer: Man muss unterscheiden: In der ersten Ecke ging Kubica hart mit Nick um - er hat ihm praktisch keinen Platz gelassen. In der zweiten Kurve wollte sich Nick wohl revanchieren und war seinerseits etwas zu hart - das war ungeschickt. Für mich wäre es harmlos, wenn es nicht Teamkollegen wären.

Was sagst Du zu Nick gegen Ralf?
Marc Surer: Da verstehe ich Nick absolut. Er musste es versuchen. Ralf ist schlecht aus der Schikane herausgekommen, wusste das auch, weil er Mitte der Straße gefahren ist, um sich zu verteidigen. Er hätte nur so viel Platz lassen müssen, dass Nick Raum zum Überleben hat - dann hätte Ralf die Kurve vielleicht trotzdem gewonnen. Es war ein Missverständnis.

Wie siehst Du jetzt die WM?
Marc Surer: Zwischen Ferrari und McLaren ist es ziemlich ausgeglichen, wobei ich noch immer einen kleinen Vorsprung von Ferrari sehe. Bei den Fahrern wird Kimi sein Pech nicht los. Er ist jetzt schon zweimal ausgefallen. Wo würde er stehen, wenn er durchgefahren wäre? Alonso hat sich nun offensichtlich auf die neuen Reifen eingeschossen. Es wird also noch spannend.

Wer ist Dein Tipp?
Marc Surer: Ich habe am Anfang des Jahres auf Alonso gesetzt und werde meine Meinung nicht ändern. Letztes Jahr habe ich damit Recht behalten.

Noch ein Wort zu Lewis Hamilton...
Marc Surer: Er ist sensationell gefahren. Er hat hoch gepokert und verloren, aber in seiner Position kann ich verstehen, dass sie auf Trockenreifen gewechselt sind - wenn auch zu früh. Die Rillenreifen brauchen Temperaturen, wenn die fehlen, hat man keinen Grip mehr und man fliegt ab. Genau das ist ihm passiert. Trotzdem: Er hat sich vom Unfall nicht beeindrucken lassen, ist sensationell mit einer Bestzeit nach der anderen durch das Feld gefahren. Wenn er vorne dabei gewesen wäre, ist für mich klar, wer gewonnen hätte.