Die Formel 1-Welt ist finster, böse, hinterhältig. Wer dieser Tage Nachrichten liest, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass überall im Fahrerlager dubiose Gestalten lauern, Teamchefs ansprechen und geheime Daten verschachern. "Ich kann es mir auf jeden Fall vorstellen, es ist so viel Geld im Spiel, die ganze Zeit rotieren Leute von einem Team zum nächsten - ich kann mir schon vorstellen, dass da mal ein Papier mitgeht", sagt Nico Rosberg.

Mario Theissen ist den Man in Black mit den dicken Aktenkoffern noch nicht begegnet. "Jemand der von einem anderen Team kommt, hat das Wissen im Kopf, mehr wird niemand erwarten und etwas anderes würde auch nicht honoriert werden", sagt der BMW-Motorsportdirektor. "Wenn jemand sich mit so einem Ansatz bewerben würde, müsste man unterstellen, dass er bei einem Abgang genauso handeln würde. Das wäre keine gute Bewerbung." Eine schwarze Liste mit fragwürdigen Mitarbeitern, die man besser nicht einstellen sollte, gibt es bei BMW Sauber aber nicht. "Vielleicht gibt es die aber demnächst bei zwei anderen Teams", scherzt Theissen.

Ob BMW gerade von den zwielichtigen Gestalten ausspioniert wird, weiß Theissen natürlich nicht, sonst würden die dunklen Herrscher ihren Job ja auch nicht besonders gut machen. Aber er kann ruhigen Gewissens sagen: "Nicht dass ich wüsste." Eine erhöhte Aufmerksamkeit hat Theissen allerdings schon registriert. "Wir spüren, dass wir mehr in den Blickpunkt der Konkurrenz rücken. Das sieht man an der Anzahl der Konkurrenzmitarbeiter, die vor der Box stehen."

Auch wenn es nicht so aussieht: Adrian Newey gehört nicht zu den Schattenmännern der F1-Welt., Foto: Sutton
Auch wenn es nicht so aussieht: Adrian Newey gehört nicht zu den Schattenmännern der F1-Welt., Foto: Sutton

Das ist jedoch legale Spionage. Überall stehen Teammitarbeiter die Fotos schießen, Autos und Mechaniker beobachten oder Reifennummern notieren. Überhaupt glaubt Theissen, dass die Möglichkeiten von Spionage überschätzt werden. "Die Teams sammeln durch Beobachten viele Informationen." Dadurch würde man vielleicht nicht das genaue Tankvolumen des Konkurrenten erfahren, aber eigentlich geht es ohnehin eher darum, wie dieses genutzt wird.

Trotzdem gilt: "Jede Information ist potenziell von Nutzen." Nur potenziell bedeutet nicht immer, überall und für jeden. "Bei den meisten Entwicklungen ist es so: Was bei uns funktioniert, muss nicht bei einem anderen Auto funktionieren. Man muss erst das Verständnis für die Funktionsweise entwickeln, quasi rückwärts gehen, und dann versuchen die neue Idee im eigenen Paket umzusetzen." Das ist keine einfache Aufgabe. "In der Regel müsste man dann die ganze Peripherie ebenfalls verändern. Es kann sogar sein, dass eine technische Lösung in einem Paket funktioniert, in einem anderen aber das Gegenteil bewirkt, weil es einen anderen Ansatz geht."

Schutzmaßnahmen gibt es einige. "Man könnte den Mitarbeitern nur noch die Informationen geben oder zugänglich machen, die sie für ihren Job benötigen", nennt Theissen eine. "Das ist aber nicht unsere Philosophie." Denn diese Maßnahme hat auch eine Kehrseite: "Der Mitarbeiter kann dann nicht über den Tellerrand hinausschauen und kann die Gesamtzusammenhänge nicht erkennen. Das macht die Entwicklung und Zusammenarbeit nicht besser und schneller."

Schutz durch Patente ist im Motorsport keine Lösung. "Es würde einfach viel zu lange dauern", sagt Theissen. Im Motorsport gehe es nur darum, schneller zu entwickeln als die Konkurrenz. "Da es keine Patente gibt, ist klar, dass jeder sich alles anschauen und nachmachen darf." Das sei gängige Praxis im Motorsport und gehöre zu den Informationen, welche die Teams sammeln, um den nächsten Schritt zu machen. "Ich muss ständig davon ausgehen, dass die Konkurrenz etwas entdeckt oder ein Teil meines Autos besser versteht und dadurch schneller wird", beschreibt Theissen den fortwährenden Kampf um die höchste Entwicklungsgeschwindigkeit. "Das Wichtigste ist dabei, den nächsten Schritt zu machen, bevor sie es umgesetzt haben." Dann kann man sogar die schwarzen Männer an der Motorhome-Ecke abhängen.