Pat, was denken Sie im Rückblick über die Saison 2006?
Pat Symonds: Einen WM-Titel zu gewinnen, ist für alle Beteiligten immer eine große Ehre. Aber diesen Erfolg im Jahr darauf zu wiederholen und erneut beide Titel zu erringen, verdient ganz besondere Anerkennung. Es beweist, dass der Erfolg des Vorjahres keinesfalls glücklich zu Stande kam. Die Ergebnisse sind die logische Konsequenz einer klar definierten Strategie und unermüdlicher Arbeit des gesamten Teams.

Wie bewerten Sie die Leistungen Ihrer Rivalen?
Pat Symonds: Der Begriff Performance beschreibt immer eine relative Größe, die eigene Stärke im Vergleich zur Leistungsfähigkeit der Gegner. Wenn du vorn liegst, ist deine Performance gut. Es ist offensichtlich, dass wir dieses Jahr andere Gegner hatten als 2005. Im Vorjahr war es relativ einfach, die Stärken und Schwächen von McLaren zu identifizieren. In 2006 kämpften wir gegen ein Team ohne jegliche Achillesferse. Deshalb mussten wir unsere Herangehensweise völlig ändern und deutlich aggressiver vorgehen. Im Ergebnis sind wir härter und länger auf Angriff gefahren als zuvor.

Worin zeigte sich diese gegenüber 2005 aggressivere Strategie?
Pat Symonds: Dieses Jahr hatten wir nur einen Gegner: Ferrari. Und dieses Team zeigt seit langem eine außergewöhnlich hohe Zuverlässigkeit. In diesem Jahr waren sie zudem noch schnell. Eine Führung nach Hause zu schaukeln oder ein Rennen konservativ anzugehen, verbot sich von vornherein. Wir mussten offensiv vorgehen, da wir wussten, dass die Performance des Ferrari meist auf dem Niveau unseres R26 lag, und Unterschiede meist nur von den verschiedenen Reifenfabrikaten und -charakteristiken herrührten. Vor einem Rennwochenende konnten wir nie wissen, wer die Nase vorn haben würde. Das Kräfteverhältnis zwischen Michelin und Bridgestone konnte sich buchstäblich über Nacht ändern. Das hieß, wir mussten in unserer Herangehensweise stets flexibel bleiben.

Viele Mitglieder des Teams mussten wegen des Dämpfer-Verbots an Dingen abseits des Renngeschehens arbeiten, Foto: Sutton
Viele Mitglieder des Teams mussten wegen des Dämpfer-Verbots an Dingen abseits des Renngeschehens arbeiten, Foto: Sutton

Unterschieden sich die beiden dominierenden Autos der Saison Ihrer Ansicht nach auch konzeptionell in ihrer Designphilosophie?
Pat Symonds: Ich glaube nicht. Die Philosophie ist immer die gleiche: Es geht darum, die aerodynamische Effizienz zu maximieren, die Reifen optimal zu nutzen und das Chassis leichter und steifer zu bauen. Es mag verschiedene Wege geben, diese Ziele zu erreichen, aber ich denke nicht, dass sich der Renault und der Ferrari grundsätzlich unterschieden. Bei den Motoren könnte der Unterschied größer gewesen sein, denn ich hatte den Eindruck, dass der Ferrari-V8 weniger hoch drehen konnte als unser RS26.

Sie wurden zitiert mit den Worten, diese Saison gehöre zu den härtesten, die sie je miterlebt haben. Wie kam das?
Pat Symonds: Zunächst einmal ging es auf der Strecke extrem eng zu. Wirklich eng. Unsere Gegner schienen keine einzige Schwäche zu haben, oder fast keine. Wir mussten jede noch so kleine Gelegenheit voll ausnutzen. Außerdem ging es auch auf politischer Ebene hart zur Sache. Es war schwierig, sich mit Ereignissen wie dem Verbot des Massendämpfers und Fernandos Strafe in Monza abzufinden.

Verlor das Team wegen des Verbots und der folgenden Verhandlung um die Massendämpfer vielleicht die Vorbereitung auf die Rennen aus den Augen?
Pat Symonds: In einem gewissen Ausmaß, ja. Im August war ich 14 Tage lang fast ausschließlich damit beschäftigt, Dokumente für die FIA-Anhörung zusammenzustellen. Auch weitere Ingenieure arbeiteten an dieser Sache, während sie sich eigentlich anderen Aufgaben hätten widmen können – der Weiterentwicklung unserer Performance zum Beispiel. Die ganze Affäre absorbierte Ressourcen, die wir anderswo benötigt hätten, und kostete uns eindeutig Leistung auf der Rennstrecke. Für die letzten Saisonrennen brachten wir das Auto wieder auf die richtige Spur, aber der R26 wäre in Interlagos mit dem bekannten System deutlich schneller gewesen.

Nach Montreal holte der R26 nur noch einen Sieg. Spielte der Ausbau des Massendämpfers dabei eine Rolle?
Pat Symonds: Ganz sicher. Wir kehrten nie auf das Niveau zurück, auf dem wir vorher fuhren. Zum gleichen Zeitpunkt machte Bridgestone große Fortschritte, die Ferrari halfen.

Wo lagen die Stärken von Ferrari?
Pat Symonds: Zweifellos in ihrer Qualifying-Pace. Die rührte weniger vom Auto als vielmehr von den Reifen her. Manchmal mussten wir deshalb unsere Strategien für das Qualifying ändern. Es lässt sich nicht leugnen, dass Bridgestone bei manchen Rennen überlegene Pneus lieferte.

Ob mit oder ohne Dämpfer, auf der Strecke wurde gewonnen, Foto: Sutton
Ob mit oder ohne Dämpfer, auf der Strecke wurde gewonnen, Foto: Sutton

Musstet ihr wegen der zunehmenden Bedrohung durch Michael Schumacher besondere Risiken eingehen?
Pat Symonds: Ich bin nie Risiken in diesem Sinne eingegangen. Wir haben einige mutige strategische Entscheidungen getroffen, aber immer mit genauer Abwägung der Risiken. Sie sollten uns weiterhelfen, falls die Rechnung aufging – aber keinen großen Nachteil bringen, falls nicht. In Imola beispielsweise wussten wir, dass wir Zweiter werden würden, wenn wir nicht irgendetwas mit Fernandos Strategie versuchten. Also holten wir ihn zwei Runden früher zum Tanken herein als geplant. Im optimalen Szenario hätte ihm das zum Sieg verholfen. Im Worst Case-Szenario – das dann tatsächlich eintrat – wurde er immerhin noch Zweiter…

Wenn Sie die Saison noch einmal von vorn beginnen könnten: Welche Fehler würden Ihnen nicht mehr unterlaufen?
Pat Symonds: Ich würde sicherstellen, dass wir den Mechanismus der Radmutter vor Budapest umkonstruieren, nicht hinterher. Und ich würde Fernandos Vorderreifen in China nicht mehr wechseln. Diese zwei Fehler kosteten uns zwei Siege. Aber in puncto Arbeitsweise, Philosophie und Auftritte beim Rennen würde ich nicht das Geringste ändern.

Das Team schien mit dem Druck gut umgehen zu können. Wie konnten Sie die Motivation so hoch halten?
Pat Symonds: Wir arbeiteten sehr hart dafür, dass jeder motiviert blieb. Wir erklärten unseren Mitarbeitern die Situation und stellten sicher, dass sie zuversichtlich blieben. Immerhin waren wir amtierende Weltmeister und es gab keinen Grund, warum wir diesen Titel nicht erneut gewinnen könnten.

Fernando Alonso hat das Team zum Saisonende verlassen. Er zeigte dieses Jahr eine außergewöhnliche Leistung…
Pat Symonds: Ich kann seinen Beitrag zu unserem Erfolg nur unterstreichen. Er ist ein großer Rennfahrer. Er gab immer 100 Prozent, um die besten Ergebnisse zu erzielen, so wie wir versuchten, ihm stets das beste Auto hinzustellen. Es gefällt mir, so zu arbeiten. Aber es ist noch mehr als das: Fernando besitzt außergewöhnliche Fähigkeiten, besonders wenn es darum geht, einen Rennverlauf zu verstehen. Er weiß instinktiv, ob er die Reifen schonen muss, ob er angreifen oder abwarten soll. Er erkennt die Schlüsselmomente eines Rennens. Und in den vergangenen beiden Jahren ist ihm so gut wie kein Fehler passiert. 2005 rutschte er in Kanada in die Mauer, 2006 wurde er für die angebliche Behinderung eines Gegners bestraft. Das ist eine ziemlich bemerkenswerte Bilanz, nicht?