Fernando Alonso ist jetzt nicht nur auch "Halbzeitweltrekordler" - mit 84 von 90 möglichen Punkten hat er Michael Schumachers Bestmarke von 2002 um zwei Zähler überboten. Aber nicht nur in seiner Rekordjagd scheint der Weltmeister immer mehr dem Michael Schumacher seiner größten Tage zu gleichen - auch etwas anderes haben er und Renault anscheinend aus den Superjahren der Kombination Schumi und Ferrari übernommen: Die Fähigkeit, das Talent und auch das Glück, selbst die Rennen noch zu gewinnen, in denen die Gegner vielleicht einmal tatsächlich nahe dran waren und eigentlich eine Chance hatten.

Selbst bei Renault gab man zu, dass Alonso in der ersten Rennhälfte ziemlich unter Druck von Kimi Räikkönen gestanden habe - und dass der Finne im ersten Abschnitt absolut ebenbürtig war, sogar mit etwas mehr Sprit an Bord, war deutlich zu sehen. Alonsos teaminterner Gegner, Giancarlo Fisichella, eigentlich ein absoluter Montreal-Spezialist, hatte sich da durch seinen Frühstart schon selbst um alle Chancen gebracht. Und Michael Schumacher hatte der Strategie, mit relativ viel Sprit losfahren zu wollen, insofern Tribut zollen müssen, dass er, wie schon nach dem Qualifying fast befürchtet, ewig hinter Jarno Trulli fest hing. Im Nachhinein dürften sich die Ferrari-Strategen wahrscheinlich gefragt haben, ob da ein etwas konventionellerer Ansatz, der einen von Anfang an vor Trulli gebracht hätte, nicht doch die bessere Lösung gewesen wäre.

Fisichella und Schumacher als Gegner also schon mal abgeschrieben, Montoya nach seinen Chaoseinlagen mit finalem Abflug sowieso - blieb also noch Räikkönen als potenzieller Alonso-Rivale. Aber auch dessen Chancen lösten sich so langsam, aber sicher auf wie der Asphaltbelag des Circuit Gilles Villeneuve an einigen Stellen: Deutlich verlängerte Boxenstopps durch Kupplungsprobleme, die beim zweiten Mal sogar einen abgestorbenen Motor nach sich zogen... Und selbst die kleinen Ausrutscher, die auf der Mischung aus Gummiabrieb und Asphaltbröcken neben der Ideallinie allen passierten, schienen bei Alonso diesmal glimpflicher abzugehen als bei seinen Rivalen: Kein Zittern nach einer Mauerberührung wie bei Michael Schumacher, keine größeren Zeitverluste wie bei Räikkönen auf seiner verzweifelten Jagd, doch noch wieder an Alonso heranzukommen...

So konnte der Spanier eine weitere Lücke in seiner Erfolgsbilanz schließen - in Montreal hatte er zuvor noch nie auf dem Podium gestanden. Reiner Zufall ist es aber sicher nicht, dass jetzt Alonso auch noch so das Rennglück zur Seite steht wie Schumi in dessen besten Tagen. Ein bisschen System steckt da schon dahinter. Im Prinzip ist die derzeitige Entwicklung eine Bestätigung dessen, was schon zu Zeiten der größten Schumacher- und Ferrari-Dominanz zumindest einige Experten andeuteten: Dass bis zu einem gewissen Punkt offenbar tatsächlich mit jedem Sieg alles ein bisschen leichter wird. Weil die steigende Selbstsicherheit, gepaart mit dem Wissen, ja gar nicht unbedingt an die allerletzte Grenze gehen zu müssen, auch Reserven schafft. Einen Sicherheitsspielraum, den die anderen, die um jeden Preis aufholen und gewinnen müssen, nicht haben - so dass dann eben dort die Fehler passieren. Und man sich drüber dann auch möglichst noch zwischen den Beteiligten zumindest leicht die Haare gerät, siehe zumindest anfängliche Differenzen bei McLaren, siehe unterschwellige Schuldzuweisungen bei Ferrari und Bridgestone. Während man bei Alonso und Renault weiteres Selbstbewusstsein daraus tanken kann, eben unter allen Umständen zu gewinnen. Was die "Glücksspirale" dann aufs Neue in Gang setzt...