Für all jene, deren Grand Prix-Zeitrechnung nicht erst mit der beginnenden Schumisierung in den 90ern begonnen hat ist ein Sonntagmorgen in Silverstone eine Freifahrt auf einer Zeitreise in eine bessere Formel 1-Zeit. Genauer gesagt: Ein Klassentreffen der größten noch lebenden Formel 1-Protagonisten.

So als würden die Beatles persönlich alle ihre Hits im Zeitraffer für ein paar ausgewählte Freunde spielen. Das ist die angenehme Seite des Reporterlebens. Denn am Ende sind wir ja gewissermaßen doch alle nicht mehr als Fans mit Schreibmaschine.

Da läuft allen Ernstes Emerson Fittipaldi fast Jody Scheckter über den Haufen, als er die drei Stufen zum silbernen Motorhome von McLaren emporläuft, Mrs. Fittipaldi - nicht die erste, wohlgemerkt - hängt brav im Schlepptau. Als Emmo einst den Titel für McLaren einfuhr konnte sie garantiert noch nicht laufen...

Auf Augenhöhe mit den "Stars" von heute

Die "Alten" sind an diesem Wochenende ohne Zweifel auch medial auf Augenhöhe mit der aktuellen Fahrergeneration. Nigel Mansell füllt seitenweise die Gazetten mit seinen "magic moments". 1987 und 1992 hätten ihn die britischen Fans hier nach seinen Heimsiegen fast zerlegt. "Ich hatte damals keine Freunde bei Williams", hat er mir unlängst gestanden. "Meine einzigen Freunde waren die Fans und die Strecke."

So kniete er nach seinem denkwürdigsten Sieg nieder und küsste den Asphalt. Er war in der Auslaufrunde ohne Sprit liegen geblieben. Tausende Briten stürmten die Strecke und drohten ihn zu verschlingen. "Ich schrie sie an, um ihnen in dem Trubel klarzumachen, dass ich disqualifiziert würde, wenn auch nur ein Teil am Auto fehlen würde. Da bildete sich in Sekunden ein Schutzwall um mich und alle beschützten den Williams artig vor den nachströmenden Fans."

Keke Rosberg darf jedes Jahr über seine Wahnsinns-Quali-Runde mit über 1.000 PS im Turbo-Williams schwärmen. Seine Lästereien über Michael Schumachers Park-Manöver haben die Briten aber auch ganz gerne gehört.

Stirling Moss - für mich einer der Größten - steht stundenlang Rede und Antwort. Der Mann hat alles erlebt. Auf einen Stock gestützt lehnt er da, zwischen hektisch umher rennenden Jungstars, die den alten Mann kaum wahrnehmen. Sir Stirling ist der perfekte Botschafter dessen, was wir verklärt "die gute alte Zeit" nennen.

Und Jack Brabham hat der Virus auch mit über 80 nie losgelassen. Er zählt zum Inventar des alljährlichen Motorsport-Höhepunktes in England. Auch wenn er selbst im größten Lärm garantiert keinen Gehörschutz mehr benötigt. Die 50er- und 60er Jahre haben ihren Tribut an ihm gefordert.

Sehnsucht nach echten Typen

So bekommt Jenson Button - bitter enttäuscht nach der Quali-Schlappe - die Mike Hawthorne-Trophäe für den besten Commonwealth-Fahrer des letzten Jahres überreicht. Im Publikum hält sich die Anzahl der T-Shirts mit James Hunt-Konterfei von Jahr zu Jahr stabil auf hohem Niveau. Die Sehnsucht nach Typen wie ihm ist bei den heutigen Rennfans ungestillt.

Jackie Stewart trägt Schottenkaro, sein Sohn Paul hat seinen größten Sieg bereits gefeiert - gegen eine heimtückische Krankheit. Er, der 2001 in Österreich nach Chemotherapie selbst von seinen Freunden kaum erkannt wurde, sieht wieder gut aus. Das höfliche Auftreten vom Vater hat er zum Glück vererbt bekommen.

Als Randnotizen läuft man am nahezu gänzlich versammelten British Racing Drivers Club vorbei. So bekommt man von Howden Ganley aus erster Hand erzählt, wie der allererste Safety Car Einsatz der Geschichte in Mosport 1973 ablief. Ganley lag auf Rang 8. Der Safety Car-Pilot reihte sich irrtümlich vor ihm ein. Das Chaos brach aus. Bis heute weiß niemand genau, wer damals wirklich gewonnen hat.

Eddie Jordan betritt kurz vor dem Rennen das Fahrerlager. Im Hawaiihemd genießt er es sichtlich, alte Kumpels zu treffen. Die Kameras stürzen sich auf ihn. Interview jagt Interview. Der gute Mann fehlt uns irgendwie - nicht nur als Schlagzeuger. Sogar Arrows-Pleitier Tom Walkinshaw feiert ein Comeback, allerdings ziemlich undercover. Viele Freunde soll er ja nicht mehr haben im Fahrerlager.

Ach ja, und da war dann noch ein Rennen. Kein sehr spannendes, wie ich meine. Die meisten Kollegen hatten die Stories nach den letzten Boxenstopps schon fertig im Laptop. Wen wundert's also, dass sich bereits kurz nach der Zieldurchfahrt die meisten Gespräche wieder darum drehten, wie ungerecht es doch ist, dass Stirling Moss nie Weltmeister werden durfte...