Oliver Bearman machte am Wochenende in Saudi-Arabien gehörig auf sich aufmerksam. Der Ferrari-Junior musste überraschend ins Formel-1-Auto von Carlos Sainz und nicht in seinen F2-Boliden hüpfen. Er stellte sich der Herausforderung gekonnt und holte bei seinem F1-Debüt wertvolle Punkte. Zu diesem Anlass wirft Motorsport-Magazin.com einen Blick auf fünf unvergessliche Reservefahrten in der Geschichte der Königsklasse.

George Russell: Herzschmerz mit Happy End in Sakhir

George Russells Einsatz für Mercedes beim Sakhir Grand Prix 2020 lässt sich an Drama kaum überbieten. Der Brite ersetzte damals Landsmann Lewis Hamilton, der an COVID-19 erkrankt war. Russell, der in seinem unterlegen Williams das F1-Feld lediglich von hinten anführte, bekam die große Chance beim Spitzenteam. Der Reserveeinsatz wurde groß gehypt und tatsächlich schnupperte der Brite im Rennen Siegesluft. In der ersten Runde überholte er Valtteri Bottas für die Führung. Doch einen sensationellen Sieg vereitelten die Reifen – gleich zweimal.

Russell landete in Sakhir 2020 auf P9, Foto: LAT Images
Russell landete in Sakhir 2020 auf P9, Foto: LAT Images

Zuerst wurden beim Boxenstopp irrtümlich Bottas' Reifen montiert, dann gab es eine Reifenpanne beim Weg zurück durchs Feld. Zwei zusätzliche Boxenstopps vernichteten die Gewinnchancen. Die Enttäuschung bei Russell und vielen Fans war groß. Dennoch wurde aus der Reservefahrt eine unvergessliche Geschichte, die schlussendlich auch ihr Happy End mit Russells Stammcockpit bei Mercedes gefunden hat.

Nigel Mansell: Vom Weltmeister zum Ersatzpilot

Der tragische Unfalltod von Ayrton Senna war für Williams 1994 ein unermesslicher Verlust. Aus Respekt blieb der zweite FW16 neben Damon Hill in Monaco unbesetzt. Ab Barcelona stellte sich Testfahrer David Coulthard als Rookie der Mammutaufgabe, den Platz des ehemaligen Weltmeisters zu übernehmen. Doch dem jungen Schotten fiel es schwer, den neuen Teamleader Damon Hill im WM-Kampf gegen Michael Schumacher zu unterstützen. Williams wandte sich deshalb an niemand Geringeren als Nigel Mansell.

Mansell gewann 1994 den Australien-GP, Foto: LAT Images
Mansell gewann 1994 den Australien-GP, Foto: LAT Images

Der Weltmeister von 1992 fuhr mittlerweile erfolgreich in der IndyCar. Sein US-amerikanisches Team gab den britischen Nationalhelden für vier Rennen frei. Mansell kassierte pro Auftritt 900.000 britische Pfund, im krassen Gegensatz zu Hills Jahresgage von 300.000 Pfund. Der 41-Jährige bedankte sich mit Pole Position und Sieg beim Finale in Adelaide.

Michael Schumacher: Vom Ersatzpilot zur Legende

Wie viele sicherlich wissen, startete Michael Schumacher seine unglaubliche Formel-1-Karriere als Ersatzpilot. 1991 sprang er in Belgien bei Jordan für den verhafteten Stammfahrer Bertrand Gachot ein. Diese kuriose Geschichte, die der Startschuss einer Legende war, könnt ihr in unserem Artikel zu den besten F1-Debüts nachlesen:

Markus Winkelhock: Sensations-Führung am Nürburgring

Es ist eine der außergewöhnlichen Geschichten der Formel 1: Im ersten und einzigen Fomel-1-Rennen seiner Karriere fuhr Ersatzpilot Markus Winkelhock 2007 mehrere Führungsrunden auf dem Nürburgring für das abgeschlagene Team Spyker. Der Deutsche ersetzte beim Großen Preis von Europa Christijan Albers, dem mitten in der Saison das nötige Geld ausging. Ein Wolkenbruch unmittelbar nach dem Start und ein grandioser Strategie-Schachzug machten die Sensation möglich.

Winkelhock zog im Regen Führungsrunden für Spyker, Foto: Sutton
Winkelhock zog im Regen Führungsrunden für Spyker, Foto: Sutton

Noch während der Aufwärmrunde bog Winkelhock in die Box ab und ließ Regenreifen aufziehen. Als kurze Zeit später die Regenflut kam, war der Rookie und Ersatzfahrer plötzlich an der Spitze des Feldes. Lange hielt die Führung jedoch nicht an. Der Regen verabschiedete sich, die Regenreifen am Spyker jedoch nicht. Winkelhock setzte diesmal auf die falsche Strategie und schied schlussendlich mit einem Hydraulikproblem aus. Trotz der spektakulären Ersatzfahrt, wurde es nichts mit der Formel-1-Karriere.

Mario Andretti: Ehrenrunden als Ersatzfahrer

Mario Andretti gab 1982 einen letzten denkwürdigen F1-Auftritt als Ersatzfahrer. Gilles Villeneuve war wenige Monate zuvor tödlich verunglückt. In der Konstrukteurswertung auf dem Weg zum Titel brauchte Ferrari an der Seite von Patrick Tambay eine starke Kraft. Der damals 42-jährige Andretti sagte beim Anruf aus Maranello sofort zu. Seine F1-Karriere hatte er nach einem enttäuschenden Jahr mit Alfa Romeo gerade erst beendet und war daraufhin wieder in der IndyCar.

Um Ferrari zu helfen, kehrte Andretti noch einmal in die Königsklasse zurück und lieferte auf Anhieb eine Sensation. In Monza stellte er den Ferrari 126C2 auf die Pole Position. Das Rennen beendete er mit einem defekten Turbo unter dem Jubel der Tifosi als Dritter.

Nach P3 in Monza fuhr Andretti 1982 noch einen letzten F1-GP in Las Vegas, Foto: Sutton
Nach P3 in Monza fuhr Andretti 1982 noch einen letzten F1-GP in Las Vegas, Foto: Sutton

Erwähnenswerte Ersatzfahrten aus jüngerer Vergangenheit

Heutzutage sind Reservefahrer oft Nachwuchspiloten, oder Fahrer, die auf dem Abstellgleis stehen. Es mag schlimm klingen, aber sie hoffen darauf, dass sich ein Stammpilot verletzt oder erkrankt. Nicht mehr sonderlich oft passiert es, dass die Piloten, die im Hintergrund bereitstehen, tatsächlich zum Einsatz kommen. Doch wenn es passiert, ist es eine riesige Chance, um das eigene Talent zur Schau zu stellen und sich ins Gespräch zu bringen. Weniger unvergesslich, aber doch erwähnenswert waren folgende Ersatzfahrten aus jüngerer Vergangenheit:

  • Liam Lawsons Vertretung von Daniel Ricciardo in der Saison 2023, mit der er sich für Vertragsgespräche anmeldete.
  • Nyck de Vries' Punkteritt in Monza 2022, der zum kurzweiligen Stammcockpit verhalf.
  • Nico Hülkenbergs COVID-Vertretung für Racing Point 2020, mit der er ein deutliches Lebenszeichen von sich gab.