Sie waren in den USA sehr erfolgreich. Weshalb kamen Sie nach Europa zurück und begannen eine neue Karriere in der Formel Eins?

Gil de Ferran: Der geografische Aspekt hat für mich keine Rolle gespielt. Als ich mich entschloss, nicht mehr aktiv zu fahren, wollte ich nicht aufhören zu arbeiten und mich auch nicht vom Motorsport verabschieden. Ich wollte mich weiterentwickeln, und zwar auf persönlicher und beruflicher Ebene. Es drehte sich vielmehr darum, die beste Möglichkeit zu finden, meine zwanzigjährige Motorsport-Erfahrung zu nutzen. Und da bekam ich dieses attraktive Angebot. Ich wusste, dass ich es annehmen musste, da ich mich sonst mein Leben lang ärgern würde. Ehrlich gesagt fühlt es sich für mich wie ein natürlicher Karrieresprung an. Dass ich jetzt in Großbritannien lebe, ist nur ein Nebeneffekt.

Worin bestand Ihre größte Herausforderung, als Sie sich B·A·R Honda anschlossen?

Gil de Ferran: Ich kam nach Saisonbeginn zu dem Team, und das war natürlich eine sehr schwere Zeit. Im Team arbeiten sehr viele Menschen, und es war nicht leicht für mich, mir alle Namen zu merken und die Spielregeln zu lernen. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich genau wusste, wie jeder arbeitet und wie die Arbeit im Team funktioniert. Ich lerne immer noch dazu. Das Team entwickelt sich weiter, und folglich ist es ein ständiger Lernprozess."

In welchen speziellen Bereichen können Sie dem Team am besten nutzen?

Gil de Ferran: Es ist schwierig, einen speziellen Bereich rauszupicken. Aber häufig bringe ich in Versammlungen und Gesprächen einen neuen Gesichtspunkt ein. Das liegt vermutlich daran, dass ich einen anderen Hintergrund habe. Ich kann aber nicht beurteilen, ob das hilfreich ist! Außerdem verstehe ich einige der Situationen und psychologischen Aspekte, die mit den Fahrern zu tun haben, da ich ja selber Fahrer war, wenn auch nicht in der Formel Eins.

Wie sieht Ihre Aufgabe als Sporting Director bis zum Beginn der Saison 2006 aus?

Gil de Ferran: Ich arbeite gemeinsam mit dem Team an einem Plan für den Ablauf der Rennen und einer Strategie, mit der wir im nächsten Jahr gewinnen können.

Worin bestehen die größten Unterschiede zwischen der IRL und der Formel 1?

Gil de Ferran: Vor allem ist ein Formel 1-Team viel größer. Penske hatte nur knapp über 100 Mitarbeiter. Das B·A·R Honda-Team ist vier- oder fünfmal größer. Ansonsten kann ich keine direkten Vergleiche ziehen, da ich jetzt eine völlig andere Position bekleide. Alles wirkt ganz anders auf mich, aber wenn die Startflagge fällt, sehe ich die vielen Parallelen.

Sie haben in der Vergangenheit eng mit Honda zusammen gearbeitet. Welchen Einfluss hat der Kauf von B·A·R Honda durch Honda auf die Zukunft des Teams?

Gil de Ferran: Zuerst einmal wird der Kauf der Stabilität des Teams zugute kommen. Außerdem ist Honda ein Unternehmen, das sehr ehrgeizig ist. Es wird alles getan, um das Ziel zu erreichen, Rennen zu gewinnen. In der Vergangenheit hat Honda ein beachtliches Engagement gezeigt, um in einer Vielzahl von Motorsport-Klassen zu gewinnen, und in der F1 wird es da keinen Unterschied geben. Es hat einige Unsicherheiten hinsichtlich des Werbeverbotes für Tabakprodukte gegeben, und deshalb hat die Investition von Honda für mich zwei besonders wichtige Aspekte: Sie bringt Stabilität und die Verpflichtung zu gewinnen.

Ihr ehemaliges Team Penske wird in der nächsten IRL-Meisterschaft wieder mit Honda-Motoren fahren. Erwarten Sie dadurch eine größere Konkurrenz für den derzeitigen Klassenbesten, das Andretti Green Racing-Team?

Gil de Ferran: Penske war schon immer ein Anwärter auf den Meisterschaftstitel. Honda-Motoren haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten bewiesen, dass sie zu den besten Rennmotoren zählen. Wenn man folglich zwei und zwei zusammenzählt, ist Penske sicherlich ein noch größerer Herausforderer für 2006.

Sie haben eine wichtige Rolle bei der Verpflichtung Ihres brasilianischen Landsmanns Rubens Barrichello durch das Team gespielt. Wie wird sich seine Mitgliedschaft im Team auf Hondas künftige Erfolge auswirken?

Gil de Ferran: Sehr positiv. Ein Fahrer wie Rubens bringt durch seine Zusammenarbeit mit Ferrari sehr viel Erfahrung mit. Schließlich ist er in einem der erfolgreichsten Teams der Formel Eins-Geschichte gefahren. Was man einmal gelernt hat, kann man nicht wieder verlernen. Er hat seine Erfahrungen, und die wird er mit zu uns bringen. Vor allem bringt er natürlich auch sein Talent mit. Wir wissen ja alle, dass er ein sehr guter Fahrer ist. Ein Team wie das unsrige muss immer versuchen, die besten Fahrer zu haben, und Jenson und Rubens sind da die erste Wahl.

Sie haben in den vergangenen Monaten eng mit Jenson Button zusammengearbeitet. Welchen Eindruck haben Sie von ihm, und ist er ein potentieller Weltmeister?

Gil de Ferran: Er ist ein wahres Naturtalent! Sein fahrerisches Können ist wirklich beeindruckend. Ich habe nur wenige Fahrer wie ihn gesehen. Er ist Perfektionist und hat sehr viel Gefühl für den Wagen. Er bringt die besten Voraussetzungen mit, und es ist keine Frage, dass er das Zeug hat, schließlich einen Sieg zu erzielen.

Die Fans wird sicherlich interessieren, wie sich die Formel 1-Weltmeisterschaft 2006 von der diesjährigen Saison unterscheiden wird.

Gil de Ferran: Der größte Unterschied wird sicherlich das geänderte Qualifying-System sein und auch die Wiedereinführung von Reifenwechseln während des Rennens.

Was halten Sie von der neuen Qualifying-Regelung, und wird die Wiedereinführung von Reifenwechseln 2006 während der Rennen für mehr oder weniger Action auf der Rennstrecke führen?

Gil de Ferran: Lassen wir uns überraschen! Mir gefällt an dem neuen Qualifying-System, dass wir endlich sehen können, wer der Schnellste ist - zumindest werden wir das im ersten Teil der Qualifying-Läufe herausfinden, wenn die Wagen mit wenig Treibstoff fahren. Das stelle ich mir sehr interessant vor. Was die Boxenstopps angeht, haben die Reifenhersteller - und vor allem Michelin - die einzigartige Möglichkeit, sich allen Regeln anzupassen. Deshalb habe ich keinen Zweifel daran, dass sich die neuen Regeln nicht negativ auf unsere Leistungsfähigkeit auswirken werden.

Glauben Sie, dass wir 2006 wieder dieselben Teams an der Spitze sehen werden?

Gil de Ferran: Ich sehe keinen Anlass, weshalb McLaren oder Renault keine weitere gute Saison haben sollten. Natürlich hoffen wir, dass wir besser abschneiden werden, und auch Ferrari sollte man nicht vorschnell abhaken. Red Bull hat gerade den Mann unter Vertrag genommen, der viele siegreiche Wagen entwickelt hat. Folglich kann man davon ausgehen, dass sie im nächsten Jahr auch besser sein werden.

Nick Fry hat für 2006 von Siegen - als Plural - gesprochen. Ist er da realistisch?

Gil de Ferran: Ich denke schon. Wir haben in jedem Fall zwei Fahrer, die Rennen gewinnen können, und ich bin zuversichtlich, dass die Entwicklungs- und Rennteams nicht nur gute Wagen produzieren, sondern sie auch gut genug fahren können, um dieses Ziel zu erreichen. Natürlich sind für einen Sieg viele verschiedene Aspekte erforderlich, und darin besteht die große Herausforderung. Aber ich bin kein Typ der denkt: 'Heute wollen wir Zweiter werden'. Ich hatte diese Einstellung nicht als Fahrer, und jetzt habe ich sie sicherlich genauso wenig. Ich bin hier, um Rennen und Meisterschaften zu gewinnen.