"Gott sei Dank sind die Ferrari von so weit hinten gestartet. Sie waren auf beiden Reifen die schnellsten", sagte Dr. Helmut Marko nach dem Kanada GP - den natürlich Max Verstappen kurz zuvor für sich entschieden hatte. Der Red-Bull-Pilot führte wie schon in Barcelona und Monaco jede einzelne Rennrunde an, aber auf dem Circuit Gilles Villeneuve er tat sich sichtlich schwerer.

Fernando Alonso, der im Gegensatz zu den Ferrari-Piloten aus der ersten Startreihe ins Rennen gegangen war, witterte zwischenzeitlich schon Morgenluft. Direkt nach dem Rennen fragte er bei Verstappen nach, wie sehr er gepusht hat - um zu sehen, ob er wirklich nach am Weltmeister dran war oder er einer Illusion erlag.

Und selbst bei Mercedes zeigte man sich nach dem Kanada GP zufrieden. Zwischenzeitlich war Lewis Hamilton auf Platz zwei - auf einer Strecke, die dem Auto eigentlich überhaupt nicht liegen sollte. Ist Red Bull tatsächlich auf dem Weg, 2023 noch geschlagen zu werden? Wie eng war es in Montreal wirklich? Die Motorsport-Magazin.com-Rennanalyse liefert die Antworten.

Wie stark war Ferrari wirklich?

Charles Leclerc startete von Platz zehn, Teamkollege Carlos Sainz daneben von Rang elf. Sergio Perez startete direkt dahinter, allerdings fuhr der Mexikaner auf den harten Reifen los. Die Ferrari-Piloten gingen auf Medium ins Rennen.

In Spanien startete Perez von Platz elf und kam auf Platz vier ins Ziel. Sainz startete dort von Platz zwei und kam zehn Sekunden hinter Perez über die Linie. In Montreal startete Perez direkt hinter beiden Ferrari und kam auch hinter ihnen ins Ziel. Dass Ferrari einen großen Sprung gemacht hat, steht außer Frage.

Aber war Ferrari tatsächlich schneller als Red Bull? Und das auch noch auf beiden Reifenmischungen? Der Vergleich hinkt, weil die Scuderia eine andere Strategie wählte. Der Start-Stint auf Medium eignet sich nicht zum Vergleich, weil Leclerc und Sainz im Verkehr steckten, während Verstappen vorne alleine fuhr.

Die Reifenstrategie beim Kanada GP 2023, Foto: Pirelli
Die Reifenstrategie beim Kanada GP 2023, Foto: Pirelli

Als die Ferrari-Piloten beim ersten und einzigen Stopp die harten Reifen aufzogen, kam auch Verstappen sehr bald zu seinem zweiten Stopp. Allerdings ging der Weltmeister wieder zurück auf die Medium-Pneus, auf denen er sich deutlich wohler fühlte.

Wann immer im Rennen man die Ferrari mit Verstappen im Rennen vergleicht, zeigt sich das gleiche Bild: Der Red Bull war schneller. Im ersten Stint half natürlich die freie Fahrt. Nach der Safety-Car-Phase hatten die Ferrari zwar keine langsameren Autos mehr vor sich, allerdings ältere Medium-Reifen. Dass Verstappen, Alonso und Hamilton darauf davonfuhren, war klar. Im letzten Stint, als Leclerc und Verstappen komplett freie Fahrt hatten, fuhren beide auf unterschiedlichen Reifenmischungen.

Ferrari schlug sich aber dennoch beachtlich. Im letzten Stint wuchs Leclercs Rückstand nur von 12,5 auf 18,5 Sekunden an. Über 27 Runden verteilt ergibt sich ein durchschnittlicher Verlust von rund zwei Zehntelsekunden pro Runde. Für den sonst so Renn-schwachen Ferrari ist das schon eine beachtliche Leistung.

Und der direkte Vergleich mit Perez - auch wenn auf unterschiedlichen Reifen - geht klar an Ferrari. Nach dem Safety-Car-Restart musste der Mexikaner die Ferrari ziehen lassen. Und auch im letzten richtigen Stint wuchs der Rückstand auf das Ferrari-Duo. Bevor Perez zum Reifenwechsel für die schnellste Rennrunde kam, lag er schon über zehn Sekunden hinter Sainz.

Bei Ferrari ist man trotzdem vorsichtig geworden. "Montreal ist anders, man fährt viel über die Kerbs und die Strecke war sehr grün", weiß Teamchef Fred Vasseur. "Die Richtung stimmt, hoffentlich geht es in zwei Wochen weiter so." Zur guten Pace kam auch noch die richtige Strategie, die es Ferrari ermöglichte, die Pace auch in freier Fahrt nutzen zu können - und einen Boxenstopp weniger machen zu müssen. "Es war auch ein bisschen gezockt", gibt Vasseur zu. "Wenn nach 15 Runden noch einmal ein Safety Car gekommen wäre, dann wäre es schwierig geworden."

Nachdem Ferrari eigentlich das ganze Wochenende über stark aussah, stellt sich die Frage, was mit einem guten Qualifying möglich gewesen wäre. Die Startplätze zehn und elf spiegelten nicht das wahre Leistungsvermögen wider. Vasseur will sich diese Frage aber gar nicht stellen: "Ich weiß nicht, was möglich gewesen wäre, wenn. Wenn, wenn, wenn: Im Konjunktiv ist jeder Weltmeister." Eine Rechnung stellt der Franzose dennoch auf: "Im letzten Stint waren wir auf den gleichen Reifen wie Alonso - und da haben wir über 30 Runden nur eine Sekunde verloren."

Alonso riecht den Rennsieg

Tatsächlich: Fernando Alonso fuhr seinen letzten Stint nicht wie Red Bull auf Medium, sondern auf Hard. In den 27 Runden zwischen Alonsos Boxenstopp und dem Rennende blieb der Abstand zwischen Leclerc und dem Aston Martin fast identisch.

Allerdings hatte Alonso mit technischen Problemen zu kämpfen. Das Team wies ihn an, vor den Kurven früher vom Gas zu gehen, um Benzin zu sparen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das gar nicht nötig gewesen wäre, doch ein bis zwei Zehntelsekunden pro Runde kostete Alonso dieses Lift-and-Coast.

Fernando Alonso rechnete sich Chancen auf den Sieg aus, Foto: LAT Images
Fernando Alonso rechnete sich Chancen auf den Sieg aus, Foto: LAT Images

Dazu kam noch ein kleiner Fehler von Alonso. Als er in Runde 47 die Schikane vor der Haarnadel verpasste, verlor er rund 1,5 Sekunden. So ist auch zu erklären, warum der Routinier zwischenzeitlich so sehr Blut geleckt hatte. Alonso witterte kurzzeitig den Sieg.

Nach dem ersten Reifenwechsel überholte Alonso Hamilton auf der Strecke. In Runde 22 war er wieder erster Verstappen-Jäger. Dank Safety Car und guter Pace hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal drei Sekunden Rückstand. Am Ende des Mittelstints betrug der Abstand zwischen Verstappen und Alonso noch immer weniger als fünf Sekunden. Der Altmeister konnte den neuen Dominator aus dem Cockpit sehen und wollte mehr.

Aston Martin ohne zweiten Satz Mediums

Für den letzten Stint bekam Verstappen Medium, Alonso Hard. Während Red Bull je zwei Sätze aller Reifenmischungen für das Rennen aufgehoben hatte, ging Aston Martin mit lediglich einem Medium-Satz in den GP. Alonso musste am Ende die harten Reifen aufziehen.

In den ersten Runden fuhr er teilweise sogar schneller als Verstappen, der Rückstand schrumpfte auf 4,2 Sekunden. Jetzt war Alonso richtig heiß gelaufen. Doch dann unterlief ihm der Fehler, dazu kamen die technischen Probleme. Deshalb wollte Alonso nach dem Rennen unbedingt wissen, ob Verstappen vorne alles gegeben hatte. Ohne Fehler und Probleme sah er sich in der Position, Druck ausüben zu können. Aber wenn Verstappen die Pace nur kontrollierte, war seine Rechnung hinfällig.

Zwischenzeitlich sah es sogar danach aus, als müsste sich Alonso noch einmal gegen Hamilton verteidigen. In Runde 59 trennten die beiden nur noch anderthalb Sekunden. Hamilton fuhr - wie Verstappen - im letzten Stint auf Medium. Hatte sich Aston Martin auf den harten Pneus verkalkuliert?

Team und Fahrer verneinen. "Ich war happy damit", so Alonso. "Ich glaube, es war ein guter Reifen für den gesamten Stint. Hamilton ist kurz rangekommen, konnte den Druck aber nicht aufrechthalten. Und wir waren auf der sicheren Seite, wenn noch ein Safety Car gekommen wäre", erklärt Krack.

Alonso will wissen: Wie sehr fuhr Verstappen am Limit?

Der harte Reifen im Mittelstint war aber dafür verantwortlich, weshalb sich Alonso noch Siegchancen ausrechnete. Max Verstappen hatte auf dem C3-Reifen große Probleme. Bei Asphalttemperaturen zwischen 27 und 33 Grad hatte er Schwierigkeiten, genügend Temperatur in die Reifen zu bekommen. Das betraft vor allem die harten Peus.

"Unser Auto ist immer sehr gut, wenn der Reifenabbau sehr hoch ist", weiß Verstappen. "Hier wäre es besser gewesen, ein Auto zu haben, dass die Reifen härter ran nimmt", erklärt der nun 41-fache GP-Sieger. Das ist übrigens gleichzeitig die Antwort auf Alonsos Frage, wie sehr Verstappen gepusht hat. Er musste so viel Gas geben, damit die Reifen nicht auskühlten. Damit schaukelte er den Sieg nicht wie so oft in dieser Saison über die Linie. Komplett am Limit - wie zum Beispiel Alonso - fuhr er aber auch nicht.

Wie sehr war Verstappen am Limit? Fernando Alonso fragte direkt beim Weltmeister nach, Foto: LAT Images
Wie sehr war Verstappen am Limit? Fernando Alonso fragte direkt beim Weltmeister nach, Foto: LAT Images

Bei Red Bull kamen in Montreal viele Faktoren zusammen: Ein schwieriger Freitag, eine ungewöhnliche Streckencharakteristik und extrem niedrige Temperaturen. Alle Faktoren sprachen gegen Red Bull und für Ferrari. Und trotzdem war der RB19 - zumindest mit der Startnummer 1 - stets schneller als der SF-23 - egal mit welcher Startnummer.

Max Verstappen lieferte die Zusammenfassung der Analyse in zwei Sätzen: "Wir hatten heute nicht unseren besten Tag. Dass wir das Rennen da mit 9 Sekunden Vorsprung gewinnen, zeigt, wie gut das Auto ist." Selbst wenn der Red Bull für seine Verhältnisse nicht gut ist, alle Faktoren gegen ihn sprechen: Gut genug für die Konkurrenz ist er noch immer.

Formel 1 WM-Stand 2023: Die Fahrer-Tabelle

  • 1. Max Verstappen (195 Punkte)
  • 2. Sergio Pérez (126 Punkte)
  • 3. Fernando Alonso (117 Punkte)
  • 4. Lewis Hamilton (102 Punkte)
  • 5. Carlos Sainz Jr. (68 Punkte)
  • 6. George Russell (65 Punkte)
  • 7. Charles Leclerc (54 Punkte)
  • 8. Lance Stroll (37 Punkte)
  • 9. Esteban Ocon (29 Punkte)
  • 10. Pierre Gasly (15 Punkte)
  • 11. Lando Norris (12 Punkte)
  • 12. Alexander Albon (7 Punkte)
  • 13. Nico Hülkenberg (6 Punkte)
  • 14. Oscar Piastri (5 Punkte)
  • 15. Valtteri Bottas (5 Punkte)
  • 16. Zhou Guanyu (4 Punkte)
  • 17. Yuki Tsunoda (2 Punkte)
  • 18. Kevin Magnussen (2 Punkte)
  • 19. Nyck de Vries (0 Punkte)
  • 20. Logan Sargeant (0 Punkte)

Formel 1 WM-Stand 2023: Die Team-Tabelle

  • 1. Red Bull/Honda RBPT (321 Punkte)
  • 2. Mercedes (167 Punkte)
  • 3. Aston Martin/Mercedes (154 Punkte)
  • 4. Ferrari (122 Punkte)
  • 5. Alpine/Renault (44 Punkte)
  • 6. McLaren/Mercedes (17 Punkte)
  • 7. Alfa Romeo/Ferrari (9 Punkte)
  • 8. Haas/Ferrari (8 Punkte)
  • 9. Williams/Mercedes (7 Punkte)
  • 10. AlphaTauri/Honda RBPT (2 Punkte)