Zahlreiche Unfälle und zur Diskussion stehende rote Flaggen: Auch Wochen nach dem Großen Preis von Australien beschäftigt sich die Formel-1-Welt noch mit den Entscheidungen der Rennleitung und den Stewards. Formel-1-Experte Christian Danner verteidigt im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com Rennleiter Niels Wittich vor den Vorwürfen einiger Fahrer.

Im Zentrum der Kritik stand insbesondere die zweite rote Flagge des Rennens. Kevin Magnussen ließ sich am Ausgang von Kurve zwei zu weit hinaustragen, touchierte mit über 200 km/h die Mauer und hinterließ ein Trümmerfeld an scharfen Karbonteilen. Zuerst wurde das Rennen durch das Safety Car neutralisiert, kurz darauf entschied die Rennleitung, das Rennen für die Aufräumarbeiten vollständig zu unterbrechen.

Danner: Wittich handelte regelkonform

"Die Rennleitung in Form von Niels Wittich hat fantastisch gehandelt", nimmt Danner gleich vorweg und zeigt wenig Verständnis für das Herunterspielen der Folgen des Magnussen-Crashs: "Die Rennleitung ist verpflichtet, in erster Linie in Richtung Sicherheit zu entscheiden. Die Trümmer sind so rumgeflogen, dass selbst ein Zuschauer verletzt worden ist. Da musst du ordentlich sauber machen." Deshalb sei die rote Flagge auch keine willkürliche Entscheidung gewesen.

Ebenfalls heiß diskutiert wurde die Notwendigkeit eines stehenden Restarts so kurz vor Schluss. Speziell Max Verstappen kritisierte diese Entscheidung, der eigentlich sichere Sieg des Niederländers war so auf einmal wieder gefährdet. Aber auch dagegen gibt es für den ehemaligen Formel-1-Piloten keine Einwände: "Solange man fahren kann, wird gestartet. Zudem - das haben die Teams gemeinsam mit der FIA erarbeitet - wird eben stehend gestartet." Danner gesteht, dass stehende Starts keineswegs einfach sind und diese immer einen großen Stress für die Fahrer bedeuten. Aber sowohl für die Fans als auch für das Racing seien stehende Starts einfach "schöner und besser", findet Danner.

Der ehemalige RTL-Experte erinnert zudem daran, dass ein Rennende hinter dem Safety Car in der Vergangenheit ebenfalls zu Beschwerden unter den Fans führte: "Da war das Gejammer groß." In Monza straften die Tifosi die FIA und die Formel 1 mit einem gellenden Pfeifkonzert ab. Teamchefs wie Fahrer kritisierten die Rennleitung damals stark.

Außerdem verweist Danner darauf, dass es schlichtweg keinen Grund gab, etwa aufgrund von Dunkelheit oder wegen des Stundenlimits, das Rennen nicht noch einmal zu starten. "Jeder hat seine eigene Agenda. Da gab es Fahrer und Teams, die gesagt haben: Um Gottes Willen, wie konnte man da noch einmal neustarten. Da gab es aber auch welche, die gesagt haben: Super", stellt Danner klar. In solchen Situationen gebe es eben immer Gewinner und Verlierer.

Amerikanisierung der Formel 1?

Seit der Übernahme durch Liberty Media wird der Formel 1 immer wieder vorgeworfen, das Sportliche im Zweifel der Show zu opfern. Danner betont: "Es gibt eine Grundverantwortung gegenüber dem Zuschauer, dass er nicht an der Nase herumgeführt wird. Man ist sowohl den Fans, als auch den Protagonisten einen reproduzierbaren Ablauf schuldig, der schon im Vorhinein nachvollziehbar ist." Und dieser Ablauf müsse dann auch unabhängig davon, ob das Rennen in einer frühen Phase neu aufgenommen wird oder eben kurz vor Schluss, gelten, erklärt der Münchner.

Danner stellt schlussendlich klar: "[Die Amerikanisierung] ist natürlich eine berechtigte Frage. Aber ich glaube die Formel 1 ist von dem Entertainment-Faktor nach wie vor weit entfernt, denn für jede der drei roten Flaggen gab es einen guten Grund. Der Verdacht ist zwar berechtigt, aber die Tatsachen sprechen dagegen."

Danner: Stewards versuchten, Gasly-Sperre zu vermeiden

Gegenüber den Stewards sparte der 65-Jährige nicht mit Kritik. Beim letzten stehenden Restart kam es zu einigen Kollisionen und Zwischenfällen. Das Vergehen von Carlos Sainz sei zurecht bestraft worden. Was aber überhaupt nicht gehe, so Danner, sei das Vergessen des Unfalls von Logan Sargeant. Dabei sei angemerkt, dass in diesem Fall eigentlich die Rennleitung den Fall hätte notieren und den Stewards vorlegen müssen. Darum nimmt ehemalige Rennfahrer an dieser Stelle auch AlphaTauri in die Pflicht: "Da muss ich doch sofort bei den Stewards stehen und sagen, der muss bestraft werden. Wenn [Sargeant] einen guten Tag hat, fährt der ja in der Startaufstellung potenziell auch vor Yuki Tsunoda und Nyck de Vries los."

Pierre Gasly entging nach seinem Unfall mit Esteban Ocon dank der nachsichtigen Stewards einer Strafe. Nach wie vor trennen Gasly nur zwei Strafpunkte von einer Rennsperre. "Es war eigentlich klar, was da passiert ist", meint Danner zu dem Alpine-Crash. "Ich tue mich schwer, sowas zu behaupten, aber in diesem Fall bleibt mir fast nichts anderes übrig. Man hat versucht, [die Rennsperre] irgendwie zu vermeiden", hadert Danner mit der Entscheidung, Gnade vor Recht walten zu lassen.