Eines gleich vorweg: Er wird mir fehlen! Und das meine ich aus tiefstem Herzen. Gäbe es in der Formel 1 mehrere Paul Stoddarts, hätten wir wohl viele Probleme nie bekommen.

Der bärtige Australier ist 2001 als Lichtgestalt bei Minardi eingestiegen. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Denn sonst wären dort nach dem Tod des Haupteigentümers Gabriele Rumi wohl die Lichter ausgegangen. Mit seiner European Aviation machte er Milliarden, weil er einer der cleversten Rechner auf der Welt war. Beim Motorsport schaffte er es irgendwie, seine ökonomischen Triebe zeitweilig zu unterdrücken. Dann kam der 11. September, und das abrupte Ende des Wirtschaftsbooms. Stoddy hat immerhin Arrows und Prost um Jahre überlebt.

Leiser Abgang

Gepoltert hat der Robin Hood der Formel 1 seit seinem Einstieg genug. Unvergessen sein Auftritt bei der Freitags-Pressekonferenz einst in Kanada. Stoddart hatte ein paar Kilogramm Formel 1-interne Akten als Munition mitgebracht. Seiner Meinung nach wurde Minardi zugesprochenes Geld vorenthalten. Er drohte, der versammelten Presse alles im Detail vorzulesen.

Der neben ihm sitzende Ron Dennis war öffentlich noch nie so hilflos gesehen worden. Und Eddie Jordan mutierte im Angesicht dieses Grauens zum hilflosen Handlanger seiner reichen Freunde. Wer sich nicht mehr erinnern kann: Bernie kündigte noch am selben Wochenende an Anteile an Minardi zu übernehmen...

Nach fünf Jahren verlässt Paul Stoddart jetzt das Fahrerlager leise durch die Hintertür. Viele im Fahrerlager atmeten am Wochenende in Spa laut auf, als sie davon erfuhren. Jean Todt zeigte wenig wahre Größe, als er Stoddart prompt auf ziemlich unfeine Weise heruntermachte.

Mit dem Lieblingsgegner, dem FIA-Präsidenten sei es zuletzt immerhin zum Handschlag gekommen, hört man. Max Mosley kann sich damit auf eine Zukunft ohne "diesen Australier, der da herumläuft und vergessen hat, seine Medizin zu nehmen" freuen.

Die Bilderbuchkarriere des Paul S.

Wenn einer mit 14 die Schule verlässt, weil er es nicht mehr erwarten kann, im "echten Leben" Geld zu verdienen, dann hat er Mumm.

Wenn er der Australischen Airforce fünf Flugzeuge zum Kilopreis abkauft, und plötzlich zusätzlich auf 48 Containern feinster Ersatzteile sitzt – dann hat er für den Rest des Lebens ausgesorgt.

Paul Stoddart hat die Rolle des armen Underdog lange perfekt gespielt. So perfekt, dass er weit weniger betuchte Teamchef-Kollegen zur Verzweiflung trieb. Seine Anfangs-Investitionen hat er zurückbekommen – Didi Mateschitz ist kein Raubritter. Die Erfolgserlebnisse in der Formel 1 waren rar, wurden dafür umso ausgiebiger gefeiert.

"Making history" in Australien

Ich habe fünf Jahre lang als Boxenreporter in der Formel 1 gearbeitet, ehe ich in die Kommentatorkabine von TELE 5 befördert wurde. Von fast 100 Grand Prix auf Tuchfühlung mit den Formel 1-Piloten ist mir eine Szene ganz besonders in Erinnerung geblieben: Melbourne 2002 - Mark Webbers fünfter Platz im Minardi.

Als nur noch sechs Fahrzeuge im Rennen waren, versammelte sich die Reportergemeinde hinter der Minardi-Box. Etwa 60 Menschen starrten in einen Fernseher und verfolgten das Unfassbare. Der Rookie hielt im Minardi den Toyota von Salo tapfer hinter sich. Dummerweise hatte die Hospitality außer Limonaden und Fruchtsäften nichts mehr im Kühlschrank. An Champagner hatte sowieso niemand gedacht. Also marschierte Beatrice von Minardi eilig von Box zu Box und erbettelte bei allen Teams ein paar Flaschen Sekt. Ich war ehrlich gerührt!

Nach der Zielflagge passierte das Unglaubliche: Webber wurde mit Stoddart fast erdrückt. Paul rief mir "das ist ein historischer Tag" oder so etwas ins TV-Mikro, ehe er von hunderten begeisterten Landsleuten weitergeschleift wurde. Noch eine volle Stunde nach dem Rennen hingen tausende Fans am Zaun und schrieen sich vor Begeisterung die Seele aus dem Leib.

Als Krönung erlaubte Bernie den Underdogs ausnahmsweise, dem Publikum zuliebe auf das Siegespodest zu klettern. Der Moment war herzzerreißend! Stimmung wie bei einem Tor im WM-Finale. Alle australischen Zeitungen hatten das Foto auf Seite 1. Ich glaube nicht, dass irgendwer noch weiß, wer das Rennen eigentlich gewonnen hat.

Das Herz auf der Zunge

Abendessen mit Stoddy waren immer ein Angriff auf die Lachmuskeln. Vieles davon kann ich hier leider nicht schreiben. Auch nicht, was sich auf den Rückflügen von Grand Prix oft abgespielt haben soll. Die gesamte Mannschaft der englischen ITV-Kollegen ist bis heute zur Verschwiegenheit verpflichtet...

Wie überhaupt er beim Thema Fliegen ganz in seinem Element ist. Die kurze Landebahn von Bournemouth hatte es ihn am meisten angetan. Stolz erzählte er immer wieder die Geschichten, wie er in seinem Jumbo alle Gesetze der Physik außer Kraft setzen konnte.

Familie hat er in Australien keine, erzählte er mir einmal, "only a couple of ex-wives..." Doch bei ihm wusste man immer, wie man dran war. So wie er seine Verflossenen schlicht als "the bitches" bezeichnete, muss er wohl auch bei den großen Meetings aufgetreten sein. Bis sie ihn heuer in Paris nicht mehr hineinließen.

Ein Racer tritt ab

Was viele nicht wissen: In seinem Zweisitzerprogramm greift Stoddart immer noch selbst ins Lenkrad. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass er auf Alex Yoong 2002 nicht viel verloren hat. Zum Glück ist mir das erspart geblieben. Als ich in besagtem Jahr auf dem A1-Ring zu einer Zweisitzerfahrt eingeladen wurde standen vier Fahrzeuge zur Auswahl. Ich wollte unbedingt mit Yoong fahren, das Team jedoch hatte mich bei Alex Sperafico eingeteilt. "Wenn Du lang herummotzt, dann setzen wir Dich bei Stoddy rein", war die harsche Antwort. Das hat dann doch gewirkt.

Sein feines Gespür für Menschen trotz aller Härte im Geschäftsleben würde ich manchen anderen in der Formel 1 wünschen.

Paul Stoddart hat nur noch wenige Freunde und wenig gute Nachrede. Aber er kann das Fahrerlager erhobenen Hauptes verlassen. Er hat Leadership verkörpert wie kaum ein anderer.

Nach unserem ersten Interview-Treffen hat er mich stets mit "G´day, Andi" begrüßt. Mit den Herren Dennis, Brawn, Räikkönen und so weiter habe ich sicher weit öfters Interviews geführt. Ich müsste mich allerdings sehr täuschen, wenn auch nur einer von ihnen sich meinen Namen gemerkt hätte.