"Anweisungen an die Piloten, welche den Ausgang eines Rennens manipulieren, sind verboten", steht im Sportreglement der FIA. Mit diesem winzigen und windigen Sätzchen hat Max Mosley auf die allzu offensichtlichen Stallorderspielchen der Scuderia Ferrari im Jahr 2002 reagiert - deren traurige Höhepunkte waren der peinliche Podestplatztausch von Michael Schumacher und Rubens Barrichello in Spielberg, nachdem der das Rennen dominierende Brasilianer kurz vor der Ziellinie den Weltmeister vorbeifahren ließ beziehungsweise lassen musste, im fünften Saisonlauf wohlgemerkt. Sowie ein gescheitertes 0.000-Ex equo-Finish der beiden, ausgerechnet in Indianapolis. Beide Vorfälle inklusive Buhrufe bei der Siegerehrung und "Schiebung" schreienden Wettbüros.

Seit dem Verbot der Stallorder gab es keine wirkliche Aufregung mehr um das Thema - zumindest hütete man sich, eine Teamorder offen zuzugeben. Zugleich gab es stets Wortmeldungen, welche den Teamsport und eine "Teamhilfe im Kampf um die WM-Krone" beschwört haben. Eine auf dem Regel-Papier freilich nicht existierende Art von allgemeinem "Ehrenkodex" sagt aus, dass ein Fahrer seinem Teamkollegen dann helfen könne, wenn dieser eine Chance auf den Titel habe und er selbst de facto aus dem WM-Rennen sei. Demgemäß äußerten sich zahlreiche Formel 1-Piloten und Entscheidungsträger - es wäre dann ja keine Teamorder, sondern eine Hilfe unter Teamkollegen, so der allgemeine Tenor. Waren die Aussagen allzu "frech" in Richtung Stallorder, erinnerte ein lehrerhafter Max Mosley kurz an das Verbot der Teamorder in seinem Regelwerk.

2002: Nach Spielberg kam das Fotofinish in Indy., Foto: Sutton
2002: Nach Spielberg kam das Fotofinish in Indy., Foto: Sutton

Am Sonntag, beim GP der Türkei, konnte die ganze Welt einen Befehl hören, den die Renault-Kommandobrücke an den WM-Leader Fernando Alonso ausgegeben hat: "Fernando, du kannst schneller fahren als Fisico, fahr an ihm vorbei!" Alonso lag zu diesem Zeitpunkt, am Beginn des Rennens, hinter Kimi Räikkönen und seinem Renault-Teamkollegen Giancarlo Fisichella auf Platz 3. Der Römer hat schon vor dem Start öffentlich erklärt, er werde Alonso helfen, wenn dies nötig sei. Und so fuhr der Römer auch artig zur Seite, sodass Alonso die direkte Verfolgung seines WM-Verfolgers aufnehmen konnte.

De la Rosa fordert eine Bestrafung

McLaren-Tester Pedro de la Rosa reagierte nun gegenüber der spanischen Tageszeitung Marca empört über diese Vorgangsweise - er sieht einen Verstoß gegen das Sportgesetz. Der Funkspruch sei "ein eindeutiger Fall einer verbotenen Stallorder". De la Rosa fordert die Sportbehörde FIA auf, eine Strafe zu verhängen.

Die Motorsportbehörde wird also wieder einmal mit einem ihrer Gummiparagraphen konfrontiert. Der Artikel 147 verbietet Befehle, welche das Rennen manipulieren. Bekanntlich manipuliert jedoch alles, was man tut, die Zukunft - weshalb quasi jeder Funkbefehl in irgendeiner Weise auch das Rennen beeinflusst. So zumindest argumentieren die Verteidiger einer solchen Vorgehensweise. Und im konkreten Fall gibt es auch jenes Argument, dass es sich um keinen "Let Fernando pass for the Championship"-Befehl an Fisichella, sondern quasi um eine an Alonso gerichtete Aufforderung zum Überholen gehandelt habe. Und Überholen ist ja schließlich erlaubt in der Formel 1. Ja, es wird sogar erwünscht...

Das Einfaltssätzchen 147 als Beruhigungspille

In der Praxis beweist der Fall einmal mehr die Unsinnigkeit des Paragraphen 147 - er wurde 2003 den empörten Fans als Beruhigungspille vor die Füße geworfen. Doch das Sätzchen ist, wie einige andere Teile des Regelwerks, völlig zahnlos - es könnte jedoch jederzeit von der FIA "genützt" werden - was vielerorts den Verdacht der Willkür respektive eines Werkzeugs zur "Spannungsregulierung" aufkommen lässt. Gleichgültig ob jetzt auch Fisichella den besagten Funkspruch an Alonso zu hören bekam, so hat Renault doch offensichtlich zu einem Platztausch seiner Piloten aufgefordert. Im Grunde würde dies dem Geiste des Paragraphen 147 widersprechen. Doch dieser Geist ist wie gesagt ein beschränkter, da jeder Befehl an einen Piloten in irgendeiner Form das Rennen beeinflusst. Weshalb eine Verurteilung der Franzosen wenig wahrscheinlich ist.

Klare Regeln sind nicht ihre Stärke - die FIA., Foto: Sutton
Klare Regeln sind nicht ihre Stärke - die FIA., Foto: Sutton

Wie auch immer man zu dem konkreten Funkspruch der Renault-Kommandobrücke stehen mag - der Fall erinnert wieder einmal daran, dass die FIA zunächst an vieles denkt, bevor der Fan an der Reihe ist. Damals, als die verärgerte Formel 1-Gemeinde rund um den Planeten ein Ende der Publikumsverhöhnungen forderte, hat man es verabsäumt, diesem Ansinnen mit einer klaren und eindeutigen Regel entgegen zu kommen. Einer Regel, die unmissverständlich definiert, was eine Stallorder ist. Einer Regel, die unter gewissen Umständen dem Teamsport Formel 1 einen Teambefehl an die Piloten gestattet.

Denn eine Hilfe unter Stallkollegen, wenn nur noch einer der beiden eine reale Titelchance innehat, wird von vielen Formel 1-Fans akzeptiert. Den Fans erklärt man seit dem Stallorderverbot immer wieder sinngemäß: So, jetzt ist sie verboten, die Teamorder - und weil wir so schlau sind, haben wir jetzt halt das Wort Teamhilfe dafür erfunden. Oder wir fordern zum Überholen auf, und nicht zum Vorbeilassen. Und wer sein Geld auf Fisichella gesetzt hat, ist eben selber schuld. Anstatt also zu arbeiten und eine eindeutige Stallorder-Regel zu entwerfen, hat man im Hause FIA einmal mehr das Publikum für blöd verkauft. Vielleicht setzt sich ja doch noch jemand an seinen gold verzierten Schreibtisch und überlegt sich etwas Konkretes?