Die gestrige Anhörung des FIA World Motor Sport Council wurde mit Spannung erwartet. Die Fakten standen bereits seit dem Rennen der Schande in Indianapolis fest und die Anklagepunkte der FIA gegen die sieben Michelin-Teams waren ebenfalls bekannt. Doch am Ende blieben nach diesem 'Urteil ohne Urteil' tatsächlich mehr Fragen ungeklärt als Antworten gegeben wurden.

Besonders interessant sind hierbei zwei große Fragezeichen, die über der gestrigen Urteilsverkündung schweben. Einmal betrifft dies die beiden Anklagepunkte, in denen die sieben Rennställe für schuldig befunden wurden.

Während der Schuldspruch im Fall der "nicht ausreichenden Verfügbarkeit passender Reifen" ein weiterer Streitfall ist, gegen welchen die Teams bereits Berufung eingelegt haben (schließlich ist dies hauptsächlich oder wie Max Mosley mehrfach betonte "ausschließlich" die Schuld von Michelin), erscheint der Schuldspruch im Anklagepunkt "ungerechtfertigter Weise den Start verweigert zu haben" aufgrund der Begründung sehr zweifelhaft.

Denn im Urteilsspruch wurde der Anklagepunkt plötzlich verändert und die Teams schuldig gesprochen, da sie "ungerechtfertigter Weise den Start verweigerten, obwohl sie die Boxengasse in jeder Runde hätten benutzen können". Davon war in der Anklage nie die Rede...

Entschädigung für die Fans

Wirklich spannend wird es allerdings erst bei der Begründung für die vertagte Bekanntgabe des Strafmaßes. "Es wäre unfair gewesen heute schwerwiegende Strafen auszusprechen", erklärte Mosley. "Im September wäre es aber fair, wenn sich bis dahin bei der Entschädigung der Fans nichts geändert haben sollte."

Die große Frage lautet nun jedoch: Auf was will die FIA in diesen zweieinhalb Monaten warten? Laut dem offiziellen Richterspruch, möchte man abwarten, welche Entschädigungsmaßnahmen die Teams und Michelin unternehmen werden. Diese stehen allerdings bereits seit dem Vorabend der Verhandlung fest:

  • "Michelin bietet allen Besuchern des Großen Preises der USA am 19. Juni 2005 eine Erstattung ihrer Ticketkosten an, obwohl das Unternehmen rechtlich nicht dazu verpflichtet wäre. Michelin bedauert zutiefst, dass die Fans um ein großartiges Rennen gebracht wurden und möchte daher zu den Ersten gehören, die die Zuschauer in Indianapolis spürbar entschädigen."
  • "Überdies bietet Michelin an, für den Großen Preis der USA im kommenden Jahr 20.000 Tickets zu kaufen, die kostenlos an die Zuschauer des diesjährigen Rennens verteilt werden. Damit will der französische Reifenspezialist das Interesse an der Formel 1 in den Vereinigten Staaten weiter voranbringen."

Also noch einmal die Preisfrage: Auf welche weiteren Entschädigungsmaßnahmen möchte die FIA warten? "Was wir von den Michelin-Teams erwarten, ist dass sie sicherstellen, dass ihre Reifenfirma die vorgeschlagenen Maßnahmen auch tatsächlich durchführt", scheint Mosley dem langjährigen und respektierten Reifenausstatter trotz offizieller Ankündigung zu misstrauen. "Zudem werden die Teams und alle anderen von Michelin Schadensersatz für etwaige Prozesse in den USA fordern."

Schnelle Reaktionen waren gefragt

Da die FIA Michelin aufgrund einer fehlenden Vertragsgrundlage also nicht direkt belangen kann, müssen die Teams als Prügelknabe und Druckmittel herhalten. Und dennoch ist für Mosley nicht alles in Butter, selbst wenn Michelin die angekündigten Maßnahmen in die Tat umsetzt. "Da sie so lange damit gewartet haben, haben sie Schaden angerichtet. Es war eine dieser Entscheidungen, welche eine Reaktion innerhalb von zwei Tagen und nicht innerhalb von zehn Tagen benötigte."

Das gleiche sagen viele Beobachter dieses Zirkusspiels über die Urteilsverkündung der FIA, welche angesichts der auch weiterhin über der Königsklasse schwebenden dunklen Wolken eine jener Entscheidung ist, die eine sofortige Reaktion und keine innerhalb von 78 Tagen benötigt.

"Es hört sich so an, als ob man die WM nur spannend machen möchte", urteilte unser motorsport-magazin.com-Experte Sven Heidfeld nach dem nicht erfolgten Urteilsspruch des WMSC. "Man scheint sich die Möglichkeit offen halten zu wollen, Mitte September sagen zu können: Ferrari ist noch nicht dran oder ein anderes Team hat einen zu großen Vorsprung, nun müssen wir die Punkte noch etwas zurecht schieben, damit noch etwas Spannung in die WM kommt."

Es fehlt einfach der notwendige Schlussstrich unter die Indy-Affäre, welchen man ohne die neuerliche Farce einer Urteils-Verschiebung bis zum 14. September mit einem gemeinsam beschlossenen Entschädigungspaket gestern hätte ziehen können. "Stattdessen wird auch in den kommenden Wochen immer noch über dieses Thema gesprochen und der Sport davon überschattet werden."