Am kommenden Mittwoch werden sich die sieben Michelin-Teams und natürlich der Reifenhersteller selbst vor dem Gericht des FIA-World Council für ihr Verhalten beim GP der USA verantworten müssen. Vorgeworfen wird ihnen, dass sie "keine angemessenen Reifen für das Rennen hatten", sie "sich fälschlicherweise weigerten, mit ihren Autos an den Start zu gehen", sie "sich fälschlicherweise weigerten, mit ihren Autos mit jener Geschwindigkeitsrestriktion anzutreten, welche mit den vorhandenen Reifen für die Sicherheit in der Problemkurve gesorgt hätte", sie "das Image der Formel 1 zerstört haben, indem sie kurz vor dem Start an die Box gefahren sind" und sie schließlich "es unterlassen haben, die Stewards rechtzeitig von ihrer Nichtteilnahme zu informieren".

Schwere Vorwürfe also von Seiten der Motorsportbehörde. Doch auch die FIA selbst steht mittlerweile bei vielen Formel 1-Freunden in einem seltsamen Lichte da. Einige erkennen eine Mitschuld der FIA und manche - wegen der strikten Ablehnung einer Schikane, die von neun der zehn Teams gewünscht wurde - gar die Hauptschuld an dem USA-Debakel. Viele wiederum erkennen einen Machtkampf, in den die FIA verstrickt ist - für eine Sporthoheit nicht gerade die optimale Voraussetzung für das faire Abhalten einer Weltmeisterschaft. Ex-F1-Pilot Heinz Harald Frentzen erklärte gegenüber dem Express: "Die FIA lässt im Kampf gegen die Auto-Hersteller um die Vorherrschaft kaum eine Gelegenheit aus, zu demonstrieren, wer letztlich das Sagen hat." Und Niki Lauda sagt: "Der politische Machtkampf zwingt die Hersteller dazu, eine eigene, von der FIA losgelöste Serie auf die Beine zu stellen – das wäre das Ende der Formel 1."

Niki Lauda glaubt definitiv an einen FIA-Schuldspruch., Foto: Sutton
Niki Lauda glaubt definitiv an einen FIA-Schuldspruch., Foto: Sutton

Doch manche sehen nicht nur eine verstrickte FIA - manche wollen auch eine Verschwörung, eine Achse Ferrari-FIA erkennen. Eine Verschwörung kann Lauda zwar nicht erkennen, aber: "Die Formel 1 ist in zwei Lager gespalten. Ferrari und der Rest. Hätte Ferrari-Boss Jean Todt der Schikane zugestimmt, hätte auch Mosley nachgegeben."

Dass die FIA am Mittwoch nachgeben wird, ist alles andere als sicher. Theoretisch ist alles denkbar - von einem Freispruch zu einer Geldstrafe hin zu einem Punkteabzug bis hin zu einer Sperre oder gar dem Ausschluss aus der Weltmeisterschaft. Max Mosley versprach ein "faires Verfahren". Für Niki Lauda ist bereits jetzt klar: "Die FIA wird die Teams definitiv bestrafen." TV-Kommentator Christian Danner erklärte gegenüber Sport.de: "Die Teams haben mehrere Regelverstöße begangen. Dafür müssen sie jetzt bestraft werden. Es kann ja nicht sein, dass die blanke Anarchie Einzug hält." WM-Leader Fernando Alonso nahm wie einige Piloten die Reifenfirma in Schutz und erinnerte daran, dass es letztlich um die Sicherheit der Fahrer ging - aus dieser Perspektive heraus hat Michelin zumindest offen und seriös agiert. Trotzdem war es natürlich ein Riesenfehler und ein Skandal, dass so etwas überhaupt passieren konnte. Frank Williams befürchtet, dass Max Mosley die Gunst der Stunde nützen wird und dass "wir am Mittwoch nur gedemütigt werden, wir können diesen Kampf nicht gewinnen...".

Michael Schumacher fordert den Freispruch!

Doch wohin würde eine Verurteilung die Formel 1 bringen? Die bislang so spannende WM könnte durch einen Punkteabzug für die Michelin-Teams ihren sportlichen Wert und somit auch ihren Reiz verlieren. Sie wäre dann höchst umstritten und nur noch ein Zankapfel für die verschiedenen Lager unter den F1-Fans. Würden beispielsweise nun wieder Ferrari und Michael Schumacher die Wertungen anführen, wäre es zwar spannend zu sehen, ob die Michelin-Protagonisten den dann entstehenden Vorsprung aufholen können - doch diese Weltmeisterschaft würde für immer einen großen schwarzen Fleck mit sich herumtragen. Viele würden ihr de facto den sportlichen Wert absprechen.

Und auch Weltmeister Michael Schumacher, der Nutznießer einer möglichen Verurteilung, dachte wohl an diesen sportlichen Wert - er möchte offenbar keinesfalls seinen achten Titel auf eine solche Art und Weise einfahren und forderte gegenüber Bild nicht mehr und nicht weniger als den Freispruch!

Denn: "Ich denke, sie sind gestraft genug." Schumacher erinnert damit an jene 18 Punkte, welche die Scuderia in den USA ohnehin abstaubte, bei gleichzeitiger Nullrunde der Erzrivalen. Schon diese Tatsache stößt einigen F1-Freunden säuerlich auf - sollte Schumacher tatsächlich aufholen und noch Weltmeister werden, und würde die Punktedifferenz weniger als die zehn Punkte für den USA-Sieg ausmachen, wäre dieser achte Titel bei manchen wohl heftig umstritten. Und das, obwohl der US-Sieg des Weltmeisters als solcher völlig legal erobert wurde. Aber bekanntlich ist das Herz oft näher als die reine Logik des Verstands.

Dass dieses Motorsportherz bei den FIA-Verantwortlichen am kommenden Mittwoch am rechten Fleck sitzt, wird nun vielerorts gehofft. Selbst wenn die Schuld für das US-Debakel eindeutig und ausschließlich bei Michelin und deren Teams liegen würde - was zudem längst nicht die Meinung aller ist - wäre ein Punkteabzug für die Michelin-Teams ein wenig schlauer Schachzug im Hinblick auf das Image und den sportlichen Wert der Formel 1. Und für die Verschwörungstheoretiker wäre es wohl der letzte große Beweis dafür, dass die FIA die Scuderia Ferrari zum Weltmeister küren möchte. Es wäre ratsam, auf die weisen und sportlichen Worte des erfolgreichsten Rennfahrers aller Zeiten zu hören - alles andere als eine Geldstrafe würde diese F1-WM zur Farce machen.