Alle paar Jahre passieren in der Formel 1 Dinge, die den Sport in seinen Grundfesten erschüttern. Niki Laudas Unfall auf dem Nürburgring 1976 war so ein Tag, der FISA-FOCA-Machtkampf inklusive Fahrerstreik 1982 in Imola, die tragischen Vorfälle von 1994 ebenfalls in Imola oder das Skandalrennen 2002 in Spielberg. Auch nach all diesen Rückschlägen war die Formel 1 immer stark genug, um zwei Wochen später die Show wie bisher weitergehen zu lassen. Bernie Ecclestone hatte dabei die Zügel immer fest in der Hand.

In Indianapolis 2005 sind sie ihm erstmals drastisch entglitten. Die Formel 1 hat vor laufenden Kameras Selbstmord begangen. Ich glaube, er wird diesmal größere Zugeständnisse denn je zuvor machen müssen, wenn er den Sport retten möchte.

Die Anfänge
Bernie Ecclestone war schon früh sehr geschäftstüchtig. Jausenbrote mit – sagen wir mal "geringfügig angepasstem" Ablaufdatum – waren seine erste fixe Einnahmequelle. Über den Gebrauchtwagenhandel arbeitete er sich in die Formel 1 hoch und vereinte alle Teams hinter sich. Er versprach ihnen Milch und Honig, gab ihnen Milch und Honig und das sogar reichlich. So nebenbei übernahm er den gesamten Laden und schuf in kürzester Zeit einen Mikrokosmos, der mittlerweile auf fünf Kontinenten ausschließlich nach seinen Regeln funktioniert. Ähnlich dem Zauberlehrling von Goethe schien seine schöpferische Macht endlos zu sein. Aus Bastelbuden waren innerhalb von zehn Jahren Großkonzerne mit an die 1.000 Mitarbeitern geworden.

Der Super-GAU
Im Zuge der Farce von Indy sind viele Dinge, zum Teil aus verständlicher Enttäuschung, falsch interpretiert worden. Es ist sehr bezeichnend, dass Fans, Presse und Offizielle in Bausch und Bogen die gesamte Formel 1 von Bernie Ecclestone bis zur FIA, von Michael Schumacher bis Ron Dennis verteufeln. Die Formel 1 ist immer ein Haifischbecken gewesen. Sogar in der Stunde einer denkwürdigen Allianz fragt Fernando Alonso am Funk sicherheitshalber noch einmal nach: "Sind wirklich alle in die Box gefahren?". Das ganze erinnerte frappant an 14 hungrige Hunde, die alle das Futter bewachen sollten.

Der Paddock als Kühlschrank
Ich kenne das Formel 1-Fahrerlager seit fast einem Jahrzehnt. Als kleine Randfigur in diesem goldenen Käfig der Eitelkeiten gewöhnt man sich an Änderungen und Trends zwangsläufig sofort, da einem der nötige Abstand fehlt. Ein Kollege, der heuer in Imola zum ersten Mal nach fast drei Jahren wieder das Fahrerlager betrat, war fassungslos, zu welch gefühlskaltem und emotionslosem Biotop der Paddock in dieser Zeit verkommen war. Mit feuchten Augen wünsche ich mir manchmal, früher geboren zu sein. Nicht nur, dass ich vielleicht noch die Beatles live hätte sehen können, nein, ich beneide reifere Kollegen auch nahezu täglich für ihre Abende beim Kartenspielen mit den Fahrern am Pool der Kyalami-Ranch...

Es geht nur ums Geld
Ohne Schwarzmalerei und Verschwörungstheorien möchte ich die Probleme der Formel 1 in wenigen Sätzen zusammenfassen: Es geht ausschließlich um Geld. Kohle, Dollars, Euros, sonst nichts!
Konzerne pumpen jedes Jahr bis zu 300 Mio. $ in diesen Sport. Mit etwas Glück bekommen Sie einen Teil dessen an TV-Geldern und Prämien zurück. Denn Bernie Ecclestone´s Monster lebt vom Fernsehen: 2004 wurden 669 Mio. $ von den TV-Stationen kassiert. Davon behält sich Bernie 53%, die restlichen 47% teilt er unter den Teams auf, je nach Punkteerfolg im Vorjahr. Von Merchandising-Erlösen oder Hospitality-Erträgen (alleine die machten 95 Mio. $ aus) erhalten die Teams rein gar nichts.
Und Ecclestone hat allen Vertragspartnern gegenüber seine grenzenlose Macht jahrelang bis ins letzte Detail mit Genuss ausgeübt. Wer mit diesem Mann einen Vertrag unterschreibt, der hat juristisch schon in diesem Augenblick der Vertragsunterzeichnung in jedem Fall den Kürzeren gezogen. Dass Weltkonzerne im Wettbewerb nicht ewig zusehen würden, wie ein einziger Mann jedes Jahr um dreistellige Millionenbeträge reicher wird, liegt auf der Hand.

Die Rolle von Ferrari
Ferrari ist Ecclestones letzter Trumpf. Die Italiener haben die Formel 1 kaputt gesiegt und geben jetzt Unsummen an Geld aus, das sie eigentlich nicht mehr haben. Denn Ecclestone hat die Zukunft der Formel 1 unabdingbar mit der von Ferrari verknüpft. Darin liegt nun die große Gefahr. Die vermeintliche Bevorzugung von Ferrari hat den Rest der Formel 1 fest zusammengeschweißt. Bis über die eigene Schmerzgrenze hinaus haben sie sich in Indianapolis der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Situation erinnert an eine Schulklasse, in der die Lehrer einen einzelnen Schüler immer bevorzugen, bis der Rest der Klasse sich gegen ihn verbündet.

Der Pate wankt
Ähnlich einem sizilianischen Paten hatte Bernie Ecclestone bis jetzt immer eine Lösung im Ärmel, die die Situation rasch wieder beruhigen konnte. Doch seine Ankündigung, es werden "sicher 20 Autos am Start stehen" und sein wirres Herumgeistern zwischen den Autos in der Startaufstellung verdeutlichten: Der Mann hat die schwerste Niederlage seines Lebens erlitten. Ich hoffe, er deutet die Zeichen der Zeit richtig. Denn weitere Sonntage dieser Art darf sich die Formel in keinem Land der Welt mehr erlauben.