Wieder einmal waren in den zurückliegenden sieben Tagen die Reifen in aller Munde. So wurde in den Gerüchteküchen dieser Formel 1 Welt über potenzielle Neukunden von Bridgestone (etwa Red Bull, Toyota oder sogar Williams) spekuliert, wurden die Reifenprobleme von Ferrari analysiert oder darauf hingewiesen, dass Bridgestone eine erfolgreiche Titelverteidigung noch immer nicht aufgegeben habe.

Das alles beherrschende Reifenthema war allerdings erwartungsgemäß der Reifen- respektive Aufhängungsschaden von Kimi Räikkönen, welcher den Finnen beim Europa GP auf dem Nürburgring in der letzten Runde eines verdienten Sieges beraubte und zugleich eine enorme Sicherheitsdiskussion auslöste.

Kimis Unfall war der Auslöser für die Reifendiskussionen., Foto: Sutton
Kimis Unfall war der Auslöser für die Reifendiskussionen., Foto: Sutton

So forderte McLaren-CEO Martin Whitmarsh schon kurz nach Rennende, dass die Reifenregel geändert werden müsse, da diese viel zu gefährlich sei. Und dies ausgerechnet nachdem viele Experten und Verantwortliche das neue Reifenreglement in ihrer ersten Saisonbilanz als "positiv" bezeichnet hatten. Schließlich wurden solche Szenen wie sie sich in den letzten beiden Rennen häuften schon zu Saisonbeginn in Massen erwartet.

Während motorsport-magazin.com-Kolumnist Sven Heidfeld die Zunahme an Reifenzwischenfällen darin begründet sieht, dass mittlerweile auch die Reifenhersteller mehr Risiko eingehen und nicht mehr mit erzkonservativen Reifenmischungen anrücken, sieht McLaren-Tester Alex Wurz noch einen ganz anderen Sündenbock: "Im Prinzip entscheidet die FIA, ob du gewinnst oder nicht. Du bist ihr letztendlich ausgeliefert."

Damit spielt der Österreicher darauf an, dass im Reglement nicht explizit geregelt ist, wann ein Reifen wirklich derart beschädigt ist, dass er ausgetauscht werden darf. Und während man seitens der FIA kontert, dass Kimis Pneu gewechselt werden hätte dürfen, bleibt zumindest zweifelhaft warum McLaren sich bewusst für das Risiko entschied und dies nachträglich - wie wohl jeder in der F1 - auch "immer wieder" tun würde, sie aber dennoch die Schuld andernorts suchen und die Regeln verdammen. Denn auch wenn man den Reifen hochoffiziell hätte wechseln dürfen, hätte man damit den Sieg aufgeben müssen...

Flavio hat kein Mitleid, nur den Pokal., Foto: Renault
Flavio hat kein Mitleid, nur den Pokal., Foto: Renault

Da Mitleid für einen eingangs der letzten Runde verlorenen Sieg das letzte ist, was ein Rennfahrer gebrauchen kann, weigerte Flavio Briatore sich den Mitleidsbekundungen der Fahrer, Teamverantwortlichen und Experten anzuschließen. Stattdessen fragte er in Anlehnung an die Renault-Hinterreifenprobleme von Monaco: "Wer hatte denn vor einer Woche mit uns Mitleid?"

Die FIA möchte zukünftig jedenfalls keinerlei Mitleid haben oder Erbarmen zeigen. Im Gegenteil: Sollten die Teams sichtbar beschädigte Reifen in Zukunft nicht aus eigenem Antrieb wechseln, wolle man den entsprechenden Fahrer mittels der schwarzen Flagge wegen Gefährdung der anderen Teilnehmer aus dem Verkehr ziehen.

In einem seiner vielen Schreiben appellierte FIA-Präsident Max Mosley deshalb in der vergangenen Woche an die Vernunft und Eigenverantwortlichkeit der Teams: "Wenn Sie auch nur die geringsten Zweifel über die Sicherheit Ihres Fahrzeugs haben", schreibt er, "sollten Sie es immer an die Box holen. Und wenn diese Zweifel auch nach dem Boxenstopp bestehen, sollten Sie das Rennen aufgeben."

Die Fahrer und Teamverantwortlichen sollen also alles wofür sie Tage und Nächte lang geschuftet, getestet, Daten analysiert und Setups feingetunt haben hinschmeißen und einen möglichen Sieg, Podestplatz oder überlebenswichtige WM-Punkte hinschmeißen?

Erklärt Max hier Ron dessen Verantwortlichkeiten?, Foto: Sutton
Erklärt Max hier Ron dessen Verantwortlichkeiten?, Foto: Sutton

Aus logischer Sichtweise: Ja, klar! Denn noch überlebenswichtiger als WM-Zähler ist es das Rennen auch lebend zu beenden und nicht von einem umher fliegenden Reifen am Helm getroffen zu werden oder einen Zuschauer damit zu erschlagen. Doch welcher Vollblutracer, wie sich zuletzt Michael Schumacher nach seinem Bruder-Angriff in den letzten Metern des Monaco GP zu Recht nannte, würde das tatsächlich ohne Gewissensbisse gegenüber dem Team, seinen Fans und sich selbst machen?

Entsprechend appelierte Max auch noch an die Reifenhersteller zukünftig "bei der Jagd nach der optimalen Performance keine Risiken bei der Haltbarkeit" einzugehen. Doch auch hier stellt sich die Frage: Werden die Reifenhersteller wirklich aus Angst vor einem Reifenplatzer eine konservative Mischung mit an die Rennstrecke bringen und damit das Risiko eingehen dort nicht nur der Konkurrenz vollkommen unterlegen zu sein, sondern auch den eigenen Ruf - wie bei Bridgestone in den ersten sieben Rennen dieser Saison nachweisbar geschehen - zu gefährden und schlimmstenfalls zu schädigen?

Mosleys Aufruf an die Eigenverantwortlichkeit der Teams und Reifenlieferanten erinnert auf eine gewisse Weise an seine anfangs des Jahres getätigten Aussagen, wonach niemand das Motorenschlupfloch ausnutzen und sein Auto ohne Defekt am Streckenrand abstellen würde, nur um beim nächsten Rennen mit einem frischen Motor antreten zu dürfen.

Wie uns die in dieser Hinsicht 'wunderBARen' Ereignisse von Melbourne lehrten, lag der FIA-Präsident mit dieser Vorhersage - wieder einmal - falsch und bedurfte die Eigenverantwortung des Sportgeistes einer Nachbesserung. Brauchen nun vielleicht auch die Reifenregeln eine Nachbesserung?