Der Erfolg in der Formel 1 hängt nicht nur von der Leistung der Motoren ab. Auch die Bremsen entscheiden auf vielen Strecken über eine gute Performance. Beim Großen Preis von Kanada auf dem Circuit Gilles Villeneuve spielen sie eine Schlüsselrolle. "Nur wer sich auf seine Bremsen verlassen kann", so Frank Dernie vom BMW Williams Team, "ist in der Lage, das Leistungspotenzial seines Boliden voll auszuschöpfen."

In den Gründerjahren der Formel 1 waren die Bremsen aus Stahl. Seit 1982 werden sie aus Karbon gefertigt, dem Kohlefaserverbundwerkstoff, der nur rund ein Viertel so schwer ist wie Stahl. Weil es auf der Jagd nach Hundertstelsekunden auf jedes Gramm ankommt, ist das ein entscheidender Vorteil.

Wie funktioniert eine F1-Bremsscheibe? Lesen Sie es nach..., Foto: Allianz
Wie funktioniert eine F1-Bremsscheibe? Lesen Sie es nach..., Foto: Allianz

Dazu kommen die guten Reibungseigenschaften von Karbon, die promptere und kürzere Bremsungen ermöglichen. Die Herstellung der Scheiben und Beläge aus dem High-Tech-Material ist allerdings äußerst aufwändig und teuer. Mehrere Monate werden die Rohlinge bei Temperaturen von bis zu 2500 Grad Celsius unter hohem Druck im Autoklaven gebacken und dabei mit Methan begast. Dieser Aufwand hat seinen Preis: Ein Satz Bremsen kostet rund 7.000 Euro, hält im günstigsten Fall aber gerade mal 350 Kilometer.

Aus Sicherheitsgründen schreibt das Technische Reglement der Formel 1 zwei getrennte Bremskreise für die Vorder- und Hinterbremsen vor, um beim Versagen des einen auf den zweiten Bremskreis zurückgreifen zu können. Die Bremsscheiben dürfen 28 Millimeter dick sein und im Durchmesser 278 Millimeter nicht überschreiten. Die Größe der Bremse ist für ihre Leistungsfähigkeit aber nicht annähernd so wichtig wie die Temperatur. Steigen die Piloten aus hoher Geschwindigkeit voll in die Eisen, erhitzen sich die Bremsen in weniger als einer Sekunde auf 1.000 Grad. Die Karbonbremsen verzögern unter 400 Grad kaum, den optimalen Zug entwickeln sie bei 650 Grad. Erst in diesem Bereich werden die spektakulären Bremsmanöver möglich, die auf Strecken mit extrem hohem Bremsenverschleiß wie zum Beispiel Montreal oder Monza ausschlaggebend sind für eine gute Performance.

Auch bei den Roten sind die Bremsen ein wichtiger Bestandteil., Foto: Sutton
Auch bei den Roten sind die Bremsen ein wichtiger Bestandteil., Foto: Sutton

Der Grat ist allerdings schmal. Werden die Bremsen zu weit heruntergekühlt, greifen sie nicht richtig, sind sie zu lange extremen Temperaturen ausgesetzt, stehen sie die Renndistanz nicht durch. Diese Gefahr ist gerade auf dem Circuit Gilles Villeneuve mit seinen zahlreichen schnellen Geraden und langsamen Kurven besonders groß: Auf den Geraden beschleunigen die Piloten bis auf Tempo 320, um dann vor einer Schikane, noch bevor sich die Bremsen von den Belastungen der vorangegangenen Kurve abkühlen konnten, schon wieder hart abzubremsen.

"Die große Herausforderung in Kanada", so Frank Dernie, "besteht darin, die Bremsen zwischen den Kurven so kühl zu halten, dass sie ihre optimale Leistung bringen." Weil flüssige Kühlmittel in der Formel 1 verboten sind, sorgt allein die durch die Bremskühlöffnungen strömende Luft für Abkühlung. Dabei wird über Löcher in den Bremsscheiben, die so genannte Lochung, Luft auf Scheiben und Beläge geleitet. Je größer die Löcher, desto besser die Kühlung – desto schlechter aber auch die Aerodynamik. Der Wechsel von der kleinsten zur größten Öffnung, die in Montreal verwendet wird, kostet 1,5 Prozent an aerodynamischer Effizienz oder einen Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit. Aerodynamik ist aber nicht alles.

Die Ingenieure, die den Durchmesser der Löcher je nach Rennstrecke variieren, müssen eine möglichst optimale Balance finden zwischen hoher Bremsleistung und akzeptabler Abnutzung. "Der Bremsvorgang bei einem Auto ist äußerst komplex", sagt Gavin Fisher, Chefdesigner von WilliamsF1. "Erst das Zusammenspiel von Bremsen, Reifen und aerodynamisch erzeugtem Abtrieb garantiert eine optimale Verzögerung."

Die Bremsen arbeiten erst ab 650 Grad optimal., Foto: adrivo Sportpresse
Die Bremsen arbeiten erst ab 650 Grad optimal., Foto: adrivo Sportpresse

Für Formel-1-Piloten ist das Bremsen trotz aller High Tech immer noch reine Gefühlssache, denn ABS, das ein Blockieren der Räder verhindert, ist nicht erlaubt. Über einen Drehknopf am Lenkrad können sie aber die Bremskraft auf Vorder- und Hinterachse verteilen und durch diese Einstellung der Bremsbalance zumindest das typische Eintauchen der Vorderräder beim Anbremsen verhindern.

In der Regel liegen 60 Prozent auf der Vorderachse, 40 Prozent auf der Hinterachse. Sollten die Räder trotzdem blockieren, werden die Reifen durch die punktuelle Belastung ungleichmäßig abgenutzt – in diesem Fall spricht man von einem Bremsplatten. Die Folge: Die Reifen laufen nicht mehr rund, die Rundenzeiten werden langsamer. Durch das neue Reglement, das in dieser Saison einen Reifenwechsel nur noch bei einem offensichtlichen Defekt erlaubt, kann so ein Fehler das ganze Rennen ruinieren.

Wussten Sie schon...

... dass bei einer Vollbremsung das Bremspedal mit einem Kraftaufwand von 80 Kilogramm betätigt werden muss? Das erfordert eine gut trainierte Beinmuskulatur, denn beim Rennen in Monza zum Beispiel müssen die Fahrer 212 Mal voll in die Eisen steigen. Dabei werden Verzögerungswerte von bis zu 5 g gemessen. Das bedeutet, ein sechs Kilogramm schwerer Kopf und ein 1,5 Kilogramm schwerer Helm wiegen für einen kurzen Moment das Fünffache – die Nackenmuskeln müssen somit 37,5 Kilogramm halten. Bremskraftverstärker sind in der Formel 1 übrigens nicht zugelassen.