Das Duopol in der Formel 1 ist durchbrochen. Nachdem sich Lewis Hamilton und Sebastian Vettel in den ersten drei Rennen bei den Siegen abwechselten und sich bereits nach dieser kurzen Zeit alle auf einen Zweikampf in der WM einstellten, meldete sich nun Valtteri Bottas mit einem Knalleffekt im Titelrennen an. Überlegener Sieg in Sochi! Gegen die wütenden Angriffe eines Sebastian Vettel, dazu Lewis Hamilton am gesamten Wochenende distanziert.

Dabei schien der Finne bereits in der Rolle als Wasserträger angekommen zu sein. In allen drei Rennen zuvor musste er teils selbstverschuldet, teils aus technischen Gründen am Sonntag abreißen lassen. In Bahrain musste er sogar erstmals eine Teamorder über sich ergehen lassen. Im Vorfeld des Rennens in Russland bestätigte Mercedes, dass man in Zukunft häufiger auf dieses Mittel zurückgreifen werde, sollte einer der beiden Fahrer klar schneller sein als der jeweils andere und der Sieg in Gefahr sein. Dies gelte sowohl für Hamilton, als auch für Bottas.

Nach den ersten Rennen in diesem Jahr fehlte allerdings ein wenig die Fantasie, wie Bottas jemals in die Situation kommen sollte, deutlich schneller zu sein als der dreimalige Weltmeister. Inzwischen ist klar: Die Wahrscheinlichkeit ist gar nicht einmal so gering. Während Hamilton mit reichlich Fragezeichen über dem Kopf aus Russland abreist, hat Bottas in seinem 81. Rennen endlich seinen ersten Sieg eingefahren, und das in erstaunlicher Manier. Nach der Zieldurchfahrt gratulierte Hamilton artig seinem neuen Teamkollegen. Die Frage ist jedoch, wie lange das so bleibt.

Valtteri Bottas hat seine Rolle als Schattenmann abgelegt, Foto: Sutton
Valtteri Bottas hat seine Rolle als Schattenmann abgelegt, Foto: Sutton

Kein Spielraum für interne Unstimmigkeiten

In den vergangenen drei Jahren dominierte Mercedes die WM nach Belieben, den einzigen Spannungsmoment lieferten die Duelle zwischen Hamilton und seinem damaligen Teamkollegen Nico Rosberg. Beide wuchsen in Monaco auf, beide fuhren bereits als Kinder in diversen Nachwuchsklassen gegeneinander. Und beide verband eine Art Freundschaft. Diese jedoch zerbrach immer mehr, mit dem Höhepunkt 2016, als es gleich mehrfach schepperte und beide sich fast nichts mehr zu sagen hatten. Dem Team gefiel es zwar nicht, wenn wie in Spanien der Sieg flöten ging oder in Österreich unnötig Punkte verschenkt wurden. Am Jahresende aber waren von 2014 bis 2016 alle Titel in silberner Hand.

Dies ist 2017 augenscheinlich anders. Ferrari ist absolut gleichwertig, die Königsklasse erfreut sich am ersten direkten Kampf zweier Teams seit einer gefühlten Ewigkeit. Bleibt es so eng, werden am Ende Kleinigkeiten darüber entscheiden, wer sich die WM-Krone aufsetzen darf. Ein teaminterner Fehler in Form einer Kollision oder eines nicht ausgeführten Positionswechsels könnte exakt solch eine Kleinigkeit sein. Eigentlich hatte man sich bei Mercedes mit der Verpflichtung von Valtteri Bottas Ruhe erhofft nach drei intensiven Jahren, auch für das Team. Hat Bottas nun aber Blut geleckt?

"Wenn du nicht an deine Fähigkeiten glaubst, brauchst du gar nicht erst hier zu sein", sagte der Finne nach seinem Premierensieg. Immer wieder betonte er in diesem Jahr, dass das Wohlergehen des Teams Vorrang habe. Eigene Ansprüche hegt er aber dennoch. Fast schon beiläufig formulierte Bottas auf dem Podium sein eigentliches Ziel, als ihn Eddie Jordan fragte, ob er der nächste Weltmeister werden kann. "Das ist mein einziges Ziel in der Karriere, dafür pushe ich", stellte er klar.

Wolff: Kein Vergleich zum Vorjahr

Bottas selbst weiß, dass es nicht allzu viele Teams gibt, mit denen er dieses Ziel erreichen kann. Der Wechsel zu Mercedes ist seine große, möglicherweise aber auch einzige Chance. Ein Jahr läuft sein Vertrag. Eine Verlängerung steht auch nach dem Sieg noch in den Sternen. Argumente sammeln kann er nur mit Leistung. Das Streben nach dem perfekten Resultat bedeutet zwangsläufig jedoch auch, Lewis Hamilton dauerhaft herauszufordern. Das wiederum könnte zu neuen Reibereien führen, die Mercedes nicht sehen will. Ein Dilemma für Bottas.

Lewis Hamilton sah seinen Teamkollegen in Russland nur mit dem Fernglas, Foto: Sutton
Lewis Hamilton sah seinen Teamkollegen in Russland nur mit dem Fernglas, Foto: Sutton

Noch aber sei man im Team ohnehin noch nicht einmal im Ansatz in einer Situation, die mit der jüngeren Vergangenheit vergleichbar wäre, merkt Wolff an. "Die Beziehung zwischen beiden ist intakt, Lewis war einer der ersten Gratulanten. Und ich denke, das zeigt den Respekt, den sie untereinander haben", so Wolff, der aber um die Ambitionen beider Fahrer weiß. "Nichtsdestotrotz sind beide Wettkämpfer, die Rennen gewinnen wollen und um die WM kämpfen. Ich glaube aber nicht, dass es einen Einfluss auf die Beziehung der beiden haben wird wie zwischen Nico und Lewis letztes Jahr. Das ist eine komplett andere Beziehung", meint der Österreicher.

Ähnlich sieht es auch sein Landsmann Niki Lauda. "Es gibt keine Verbitterung wie im letzten Jahr. Lewis ist Profi, der andere auch. Da sehe ich keine Probleme. Sie respektieren sich, und das ist das Wichtigste", so Lauda. Ohnehin müsse Bottas erst unter Beweis stellen, auch dauerhaft auf dem Niveau von Lewis Hamilton fahren zu können. "Lewis ist ein außergewöhnliches Talent, Weltmeister. Es hängt also von den Bedingungen und vom Rennen ab. Diesmal hat Bottas gewonnen und Lewis gewinnt vielleicht die nächsten drei Rennen", will Lauda noch keine Trendwende herbeireden.

Bottas-Sieg Chance oder Risiko?

Noch schrillen bei Mercedes keine Alarmglocken, zumal es ja nicht nur Nachteile haben muss, einen teaminternen Wettbewerb zu haben. Hamilton etwa weiß spätestens jetzt, dass sein Teamkollege doch kein Barrichello in Silber ist, der sich als Nummer zwei sieht. "All die Fragen, die Spekulationen, Nummer-2-Fahrer und so weiter, das lasse ich nicht an mich heran, das ist mir egal", stellte Bottas klar.

Zerbricht auch die gute Beziehung zwischen Lewis Hamilton und Valtteri Bottas?, Foto: Sutton
Zerbricht auch die gute Beziehung zwischen Lewis Hamilton und Valtteri Bottas?, Foto: Sutton

Dass Hamilton ihm gleich nach dem Rennen gratulierte, nahm Bottas zur Kenntnis. "Wenn er vor mir steht, sage ich ihm, dass er einen guten Job gemacht hat, das gleiche gilt umgekehrt. Es ist schön, das von einem dreifachen Weltmeister zu sehen", so Bottas. Doch er selbst kündigt bereits an, dass eine Veränderung der Beziehung eintreten könnte. "Sollte es zu einem WM-Kampf kommen, könnte es durchaus sein, dass weniger geredet und mehr gekämpft wird", stellt er klar.

Hamilton dürfte gewarnt sein und versuchen, seinen Status als Nummer eins im Team sportlich zu untermauern. Dieser positive Wettkampf war einer der Schlüssel zum Erfolg für Mercedes in den letzten Jahren, beide Fahrer trieben sich ans absolute Limit. Bleiben teaminterne Zwischenfälle aus, könnte der Bottas-Sieg in Russland daher auch ein Meilenstein im Kampf gegen Ferrari gewesen sein. Denn dort ist die Hackordnung ziemlich klar und ein Teamduell quasi nicht vorhanden. Sollte den Teambossen von Mercedes die Situation aber wieder ähnlich entgleiten wie 2016, dürfte man sich in Maranello vor Freude die Hände reiben.