Brachiale Rennwagen, fette Reifen und ein tendenziell enger zusammenliegendes Startfeld: Die Zutaten für die Formel-1-Saison 2017 klingen erst einmal spannend. Doch ein Fragezeichen schwingt vor dem Saisonstart in Australien mit: Bekommen die Fans wegen des neuen Reglements kaum noch Überholmanöver zu sehen? Eine Sorge, die der neue F1-Sportchef Ross Brawn offenbar teilt - und vorbaut. Er will eine Überhol-Gruppe gründen, die sich mit genau dieser Problematik auseinandersetzt.

"Wenn es so eintritt, wird es zu einer Suche nach Lösungen führen", sagte Brawn zu Autohebdo mit Blick auf die kommende Saison. "Gibt es eine Lösung? Ja, aber wir müssen die richtigen Leute zusammenbringen und ihnen eineinhalb Jahre geben, um die Antwort zu finden." Schnellschüsse haben in Brawns Plänen keinen Platz - das frühere Superhirn von Michael Schumacher weiß nur zu gut, dass kurzfristig getroffene Regeländerungen oftmals zu einem schlechtes Ergebnis führten.

Das Salz in der Suppe

Überholmanöver sind das Salz in der Suppe des Motorsports - doch alles andere als einfach umzusetzen. 2017 besteht die Gefahr, dass wegen der höheren Downforce der Autos und gleichzeitig geringerem Reifenverschleiß die Überholrate arg zurückgeht. Ein-Stopp-Rennen sollten die Norm sein, gravierender ist jedoch der Effekt des stärkeren Abtriebs. Wegen der stark verwirbelten Luft könnte es für einen Fahrer schwierig werden, seinem Vordermann dicht zu folgen.

Zwar soll das Ärgernis überhitzender Reifen durch die neuen Pirelli-Mischungen abnehmen, doch unter echten Rennbedingungen konnte dieser Plan noch nicht getestet werden. Hinter dem Auftakt in Melbourne stehen so einige Fragezeichen - und auch hinter der Zukunft des Sports in Sachen Überholmanöver. "Das ist ein schwieriges Problem", bestätigte Brawn. "Denn wir wollen ja Autos haben, die schnell sind, ihren Gegnern aber auch auf der Strecke folgen können."

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Zauberwort CFD

Die Antwort könnte in der hochentwickelten Technologie liegen. CFD heißt das Zauberwort, auch genannt: Computational Fluid Dynamics. Mittels der Computer-Simulation könnte eine neue Überhol-Gruppe bessere Rückschlüsse ziehen als es bisher der Fall war. Davon war zumindest Brawn überzeugt. "Früher haben wir Experimente in Windkanälen durchgeführt", erklärte der Brite. "Das war aber ein Kompromiss, weil es nicht die Nutzung von zwei Autos beinhaltete."

Deshalb sei es schwierig gewesen, den Luftfluss zweier hintereinander herfahrender Autos zu simulieren. Doch die Zeiten haben sich geändert. Brawn: "CFD bietet jetzt neue Möglichkeiten." Ob mit einem Computer auch Wunderdinge möglich sind? So einfach lässt sich die Naturphysik schließlich nicht austricksen. Dirty Air ist ein ständiger Begleiter der Aerodynamik.

Doch davon ließ sich ein Ross Brawn nicht einschüchtern. "Wir müssen ein Auto mit einem hohen Level an aerodynamischem Grip bauen, das keine starken Turbulenzen fabriziert", rechnete Brawn vor. "Viele sagen, das sei unmöglich. Ich bin aber vom Gegenteil überzeugt."

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Brawns Checkliste

Sollte es tatsächlich in den kommenden Jahren zu Veränderungen kommen, um die Show zu verbessern, wollen diese mit Bedacht gewählt sein. Brawns Checkliste: "Erstens, wie kommt es bei den Fans an? Zweitens, was wird es kosten? Und drittens: Wissen wir, wie es sich aufs Racing auswirkt?" Deshalb kommt für Brawn nur eine überschaubare Expertenrunde als strategische Überhol-Gruppe in Frage. Er selbst war in den letzten Jahren selbst Ausschuss des kleinen Komitees, das sich mit dem tödlichen Unfall von Jules Bianchi auseinandersetzte.

Brawns bedachte Herangehensweise erhielt Zuspruch von einem langjährigen Weggefährten: Adrian Newey. "Zu oft ändern wir die Regeln, ohne dass wir es ausreichend analysieren und uns fragen, warum wir etwas verändern", kritisierte der Star-Designer. "Worunter wir zuletzt gelitten haben: Niemand schaut zurück und fragt, was wir überhaupt mit den Regeländerungen erreichen wollten."