Die Formel 1 ist Silber. Im dritten Jahr in Folge dominiert Mercedes die Königsklasse des Motorsports. Zum dritten Mal hintereinander gehen beide WM-Titel an die Silberpfeile, zum dritten Mal gewinnen Nico Rosberg und Lewis Hamilton die meisten Rennen der Saison, zum dritten Mal in der neuen Ära der Hybrid-Power-Units stellt die Marke mit dem Stern den besten Motor. Aber das ist noch nicht alles. Auch abseits des Werksteams platziert sich Mercedes immer mehr in der F1.

Mit Pascal Wehrlein und Esteban Ocon fahren seit dieser Saison auch beide Mercedes-Junioren in der Beletage des Automobilrennsports. Ocon gelang dabei sogar nach nur einem halben Jahr in der Formel 1 der Sprung von Manor zu Force India, wo er ab 2017 an der Seite von Sergio Perez an den Start gehen wird. Der DTM-Champion des Jahres 2015, Pascal Wehrlein, hofft derweil auf einen F1-Verbleib bei Manor. Für Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff gilt es also nicht nur den Titelkampf im eigenen Team zu lenken, sondern auch die Karrieren seiner Nachwuchspiloten zu steuern. Keine einfache Aufgabe...

Hätten Sie vor einem Jahr geglaubt, dass wir heute mit Pascal Wehrlein und Esteban Ocon zwei Mercedes-Junioren in der Formel 1 haben?
Toto Wolff: Nein. Aber wenn wir nicht vorsichtig sind, dann verlieren wir sie auch wieder schnell. Es ist ein super-konkurrenzfähiges Umfeld und die Fahrer müssen einen guten Job machen, um in die Formel 1 zu kommen. Und sie müssen einen noch besseren Job machen, um sich in der Formel 1 weiterzuentwickeln und Leistungen zu bringen. Deshalb brauchen wir uns nicht selbst auf die Schulter klopfen, dass wir zwei Junioren in der Formel 1 haben. Die Herausforderung geht ständig weiter: Es geht darum, im Team zu bleiben oder zu einem besseren Team aufzusteigen.

Esteban hat sich in der DTM relativ schwer getan. War es für ihn dann wichtig, den Sprung in die Formel 1 schnell zu schaffen, damit aus dem Wunderkind nicht DTM-Mittelmaß wird?
Toto Wolff: Nein! Ich glaube, dass Esteban bei uns in der DTM ein Titelkandidat geworden wäre. Aber er ist ein Ausnahmetalent im Formel-Auto. Er hat jede Serie gewonnen, in der er angetreten ist - und das im ersten Jahr. Vielleicht liegt ihm das Fahren im Single-Seater, speziell die GP3 mit Pirelli-Reifen. In der DTM muss man sich anpassen. Es hat bei Pascal einige Jahre gedauert, bis er vorne an der Spitze gefahren ist. Insofern hatte ich diese Sorge nicht. Aber die Möglichkeit bei Manor hat sich ergeben und darauf mussten wir springen.

Ist es für Pascal eine schwierige Situation? Die Erwartungshaltung ist klar: Er hat den Erfahrungsvorsprung mit Manor, er muss Esteban schlagen. Schlägt er ihn nicht, sieht er schlecht aus...
Toto Wolff: Es ist für beide eine schwierige Situation. Sie wissen, sie werden beide aneinander gemessen und sind unter Druck. Das ist genau die Situation, die wir auch herstellen wollten. Sie müssen sich einfach durchsetzen und sie müssen trotzdem mit beiden Füßen auf der Erde bleiben, um weiter Karriere zu machen. Wenn sich jemand dafür qualifizieren will, in Zukunft mit einem Silberpfeil zu fahren, dann ist diese Situation Kindergarten.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Manor und Mercedes und welche Daten bekommen Sie?
Toto Wolff: Manor hat einen Mercedes-Motor und wir helfen ihnen manchmal mit einigen unserer Jungs bei der Strategie aus. Aber sonst gibt es darüber hinaus keine Kooperation, da ist jeder auf sich alleine gestellt. Auch bei den Fahrern gibt es keinen Datenaustausch. Die Fahrer testeten zwar bei uns, wissen also, wie sich der Mercedes fährt, haben aber sonst weitergehend keine Daten, die sie austauschen.

Zwei Mercedes-Junioren mischen die Formel 1 auf, Foto: Sutton
Zwei Mercedes-Junioren mischen die Formel 1 auf, Foto: Sutton

Nach welchen Kriterien wird entschieden, welcher der beiden Piloten Priorität hat?
Toto Wolff: Es gibt Schwankungen, es wechselt ständig und da muss man ins Detail schauen, warum das so ist. Am Jahresende werden wir eine Datenauswertung bekommen, in der wir sehen, wer wann und wie performt hat. Zwischenzeitlich sprechen wir natürlich mit Manor und anderen Teams, um zu sehen, was wir im nächsten Jahr mit ihnen tun können.

Welche Optionen können Sie ihren Junioren bieten? Haben sie eine sichere Formel-1-Zukunft, wenn sie sich gut anstellen?
Toto Wolff: Das charmante an der Geschichte ist, dass sie sich selbst die Optionen eröffnen. Durch ihre Leistungen eröffnen sich Möglichkeiten. Wenn die Leistung nicht kommt, eröffnen sich diese Möglichkeiten nicht. Wir sind Hilfesteller und Vermittler - mehr nicht.

Braucht man dafür das richtige Umfeld, sprich eine gesunde Formel 1, damit das so funktioniert?
Toto Wolff: Ja, aber das funktioniert ja bereits. Wir haben viele junge Piloten, die vor allem aufgrund ihrer Leistungen in der Formel 1 fahren. Nicht nur unsere beiden Fahrer, sondern auch Stoffel Vandoorne, Max Verstappen und einige andere. Wir haben bei den Jungen im Moment kaum Paydriver.

Direktes Duell bei Manor: Wehrlein gegen Ocon, Foto: Sutton
Direktes Duell bei Manor: Wehrlein gegen Ocon, Foto: Sutton

Was hat Mercedes - außer den Fahrern - den Teams zu bieten?
Toto Wolff: Nichts. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es in erster Linie, Rennen und im besten Fall Meisterschaften zu gewinnen. Das ist unser Hauptziel. Alles andere spielt keine Rolle.

Also bekommt ein Team, das einen ihrer beiden Fahrer gerne unter Vertrag nehmen würde, keinen Discount beim Motor oder mögliche Hilfe auf technischer Seite?
Toto Wolff: Das sind unterschiedliche Dinge. Wir leben in einer modernen Welt. Es muss für einen Dritten, also ein anderes Team, auch Sinn machen, einen Mercedes-Fahrer zu nehmen. Das heißt, er muss erstens Mal schnell sein und zweitens vielleicht noch ein bisschen finanzielle Unterstützung haben. Und generell muss dahinter eine Strategie stecken. In Zeiten, in denen es so hart zugeht, gibt es nicht viel Potential, dass es hier zu einem großen Technologietransfer kommen kann. Das ist nicht realistisch.

Was wäre denn Ihr Lieblingsteam für die Junioren?
Toto Wolff: Es gibt kein Lieblingsteam. Es geht darum, dass sie sich weiterentwickeln. Wir sind wirklich glücklich darüber, wie es bei Manor läuft. Nicht nur, wie die beiden gegeneinander kämpfen, sondern auch mit der Unterstützung, die ihnen Manor gibt. Das ist eine Truppe von Racern. Falls es eine Weiterentwicklung gibt, steht es noch in den Sternen, was die nächste Stufe ist. Jedes Team, das aktuell in der Formel 1 mitfährt, hat sich den Platz verdient. Mir gefallen viele Teams.

Pascal Wehrlein: Deutschlands nächster Formel-1-Star?, Foto: Sutton
Pascal Wehrlein: Deutschlands nächster Formel-1-Star?, Foto: Sutton

Sie haben bereits gesagt, dass es kein Problem wäre, ihre Fahrer an Teams abzugeben, die keinen Mercedes-Motor im Heck haben. Würden sie in diesem Fall Mercedes-Junioren bleiben? Etwa wenn Esteban eines Tages doch zu Renault ginge?
Toto Wolff: In dem Moment wird er eher zu einem Renault-Junior als zu einem Mercedes-Junior. Er bleibt natürlich auch dann langfristig bei uns unter Vertrag. Wenn sich ein Hersteller dazu entscheidet, einen Junior unter Vertrag zu nehmen, dann ist es eine mutige Entscheidung und dann muss man auch Rechte abtreten. Das wäre auch so geplant, wenn es passiert. Wir würden keinem der Fahrer Steine in den Weg legen. Es geht um ihre Entwicklung und die Möglichkeit, dass wir langfristig auf die Fahrer Zugriff haben. Wir sind im Moment richtig glücklich mit Nico und Lewis und das wird auch noch einige Jahre so gehen. Wenn sich die beiden dazu entscheiden, etwas anderes zu machen, dann ist es gut, Optionen zu haben. Dazu zählen die eigenen Jungs genauso wie andere, die sich draußen gut entwickeln.

Müsste ein Werksteam denn Ablöse an Mercedes zahlen, sollten sie einen Fahrer haben wollen?
Toto Wolff: Nein, da gibt es viele Spielvarianten. In erster Linie geht es uns um eine langfristige Entwicklung. So ins Detail will ich hier aber nicht gehen.

Gilt es auch für Pascal Wehrlein, dass es nicht unbedingt ein Mercedes-Motor im kommenden Jahr sein muss?
Toto Wolff: Das gilt genauso für Pascal. Beide sind absolut gleichgestellt. Auf der Strecke stehen sie sich übrigens ebenfalls in nichts nach. Im Moment hat Pascal etwas die Oberhand, aber für mich sind sie absolut ident.

Wehrlein oder Ocon: Wer hat die besseren Zukunftschancen?, Foto: Sutton
Wehrlein oder Ocon: Wer hat die besseren Zukunftschancen?, Foto: Sutton

Red Bull hat für die Junioren ein eigenes Formel-1-Team, sponsert zudem viele Fahrer in weiteren Kategorien. Das kostet unglaublich viel Geld. Wie wirtschaftlich verträglich ist das Mercedes Programm?
Toto Wolff: Das Red-Bull-Programm ist beeindruckend. Es läuft schon über viele Jahre und immer wieder wurden Spitzen-Fahrer dadurch hervorgebracht. Sebastian Vettel ist das beste Beispiel. Aber auch Daniel Ricciardo und Max Verstappen zeigen, dass das Modell funktioniert. Es ist natürlich sehr breit aufgestellt, aber das muss man vielleicht auch machen, um dann den Superstar herauszufiltern. Wir stecken mit unserem Junior-Programm noch in den Kinderschuhen und sind anders aufgestellt. Wir besitzen kein eigenes Junior-Team, weil unsere Priorität eine andere ist - und die liegt auf dem Werksteam. Aber bei Red Bull - und ich möchte hier nicht für Red Bull sprechen - ist die Junior-Förderung ein Teil des gesamten Motorsportkonzepts und passt vielleicht zum Marketing. Insofern ist es eine ganz andere Situation. Aber es liegt nicht an mir, hier über andere zu sprechen.

War Max Verstappen die Initialzündung, dass man bei Mercedes gesagt hat: Wir brauchen auch etwas! Es ist kein Geheimnis, dass Mercedes auch Interesse an Max gezeigt hat.
Toto Wolff: Ich weiß nicht, ob es eine Initialzündung war, aber Fakt ist, dass wir Max keine Entwicklung bieten konnten, wie sie ihm Red Bull bieten konnte. Weil sie viel besser für ein Juniorförderungsprogramm aufgestellt waren. Insofern hat uns das schon einen Gedankenanstoß gegeben, ob wir hier Verbesserungspotential haben.

Sie haben gesagt, das Programm steckt noch in den Kinderschuhen. Gibt es Pläne, das Junior-Programm auszubauen, möglicherweise noch weitere Fahrer zu fördern?
Toto Wolff: Alles ist möglich. Jedes Jahr bewerten wir uns kritisch, ob das Programm Sinn macht oder nicht. Das geht von 'es macht keinen Sinn, weil wir immer den besten Fahrer nehmen werden, der verfügbar ist und nicht unbedingt einen Junior, wenn er sich nicht so entwickelt' bis hin zu einer Ausweitung des Programms. All das steht unter einer jährlichen Prüfung, der wir uns unterziehen. Insofern haben wir hier noch kein institutionalisiertes Programm, von dem wir wissen, dass es über die nächsten Jahre so geht.

Wer ist eigentlich der Dr. Marko des Mercedes Juniorprogramms?
Toto Wolff: Niemand, den gibt es nicht - Dr. Marko ist einmalig. Gwen Lagrue managt unser Juniorprogramm. Gwen hat zuvor das Juniorprogramm von Gravity geleitet, das sehr umfangreich war. Er ist jemand, der vom Kartsport an jeden Fahrer verfolgt und für unser Team eine wichtige Stütze geworden ist. Er verfolgt die Entwicklung von Pascal und Esteban.