Die Reifen leisten nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit in der Formel 1, sondern sollen neuerdings auch zur allgemeinen Kostensenkung beitragen. Nur noch einen Satz Reifen hat jeder Fahrer in dieser Saison für Qualifying und Rennen zur Verfügung – und den muss er optimal nutzen. "Durch die neue Regel", sagt Sam Michael, Technischer Direktor von WilliamsF1, "wechselt ein Teil der Verantwortung von der Box zurück zum Fahrer."

Neben der Kostenreduzierung ging es den Regelwächtern FIA vor allem darum, die Geschwindigkeiten in der Formel 1 zu senken. Die Rundenzeiten wurden in den letzten Jahren immer schneller. Für die Pole Position beim Grand Prix von Malaysia zum Beispiel musste Michael Schumacher 2004 um fast vier Sekunden schneller fahren als Fernando Alonso 2003. Schuld an dieser Entwicklung waren weniger die Motoren und die Aerodynamik der Boliden, sondern in erster Linie die Reifen, deren stark verbesserter Grip immer höhere Kurvengeschwindigkeiten erlaubte.

Dieser Trend wurde durch das neue Reglement erst einmal gestoppt. Um Qualifying und Rennen zu überstehen, sind die neuen Reifen, in denen mehr als 220 Materialien und Substanzen stecken, darunter bis zu 80 verschiedene Kautschukverbindungen, wesentlich härter als ihre Vorgänger. Das bedeutet weniger Grip und dadurch niedrigere Kurvengeschwindigkeiten. Eine große Herausforderung auch für die Reifenhersteller, mussten sie doch Gummis entwickeln, deren Leistungsvermögen nicht nur auf einer schnellen Qualifyingrunde, sondern zusätzlich noch über die gesamte Renndistanz eine optimale Performance ermöglicht. Ausschlaggebend für den Verschleiß ist allerdings nicht allein die Beschaffenheit des Reifens. Auch das Layout und der Belag der Rennstrecke, die Asphalttemperatur, die Einstellmöglichkeiten am Auto und natürlich auch der individuelle Fahrstil des Piloten spielen eine wichtige Rolle.

Eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Beim Luftdruck ändern schon Abweichungen von 0,05 bar das Verhalten des Reifens entscheidend. Um den Druck auch unter extremsten Belastungen konstant zu halten, sind die Gummis nicht mit Luft, sondern mit Stickstoff gefüllt.

"Auch im normalen Straßenverkehr gibt es viele gute Gründe, sorgsam mit den Reifen umzugehen", sagt Dr. Christoph Lauterwasser vom Allianz Zentrum für Technik (AZT). "Wer den Reifendruck regelmäßig kontrolliert, bekommt mehr Sicherheit, geringeren Verschleiß und niedrigen Verbrauch zum Nulltarif. Ein falsch eingestelltes Fahrwerk oder ein verletzter Reifen – etwa durch Bordsteinparken – können die Lebensdauer des Reifens erheblich verringern. Abgefahrene Reifen verschlechtern bei Nässe und Schnee den Grip und damit das Fahrzeughandling erheblich."

Auch wenn die Fahrer in der Formel 1 bei der Auswahl der Reifen nicht mehr aus dem Vollen schöpfen können, macht das die Entscheidung nicht wirklich leichter. Sie müssen im freien Training am Freitag aussortieren, welche der beiden Reifenspezifikation (weiche oder harte Mischung) am besten zur Strecke, zum Auto und zur geplanten Strategie passt. Haben sie ihre Wahl getroffen ist, gibt es kein Zurück mehr: Getauscht werden dürfen die Gummis während des Rennens nur bei einem offensichtlichen Defekt oder wenn der Zustand eines Reifens als gefährlich eingestuft wird. Die Sicherheit hat also weiterhin Vorfahrt. Dass sich alle Teams an diese Regel halten, dafür sorgen die FIA-Kommissare, die jeden ersetzten Reifen genau unter die Lupe nehmen und für den Fall, dass ohne zwingenden Grund gewechselt wurde, drastische Strafen bis hin zur Disqualifikation verhängen können. Kommt ein Auto zum Reifenwechsel an die Box, darf nicht getankt werden. Keine Regel ohne Ausnahme: Die Rennleitung kann den Teams aus Sicherheitsgründen einen Reifenwechsel freistellen, zum Beispiel, wenn das Starterfeld nach einem Unfall über die auf der Strecke verstreuten Trümmerteile gefahren ist. Auch wenn es anfängt zu regnen, darf logischerweise auf Regenreifen gewechselt werden – und das ganz ohne Strafe. Bei diesem Boxenstopp ist sogar das Nachtanken erlaubt.

Durch die neue Regel sind Formel-1-Rennen nicht länger eine Reihe von kurzen Sprints von einem Reifenwechsel zum nächsten. Von den Piloten wird wieder vorsichtiges Wirtschaften verlangt. Wer sich seine Reifen falsch einteilt, gerät über kurz oder lang in ernsthafte Schwierigkeiten. "Die Fahrer müssen genau wissen, wie sie das Potenzial ihrer Reifen optimal nutzen, wo sie attackieren können und wo sie besser vom Gas gehen", sagt Sam Michael vom BMW WilliamsF1 Team. "Nur wer da möglichst schnell die richtige Balance findet, hat eine echte Chance."

Wussten Sie schon...

...dass ein Formel-1-Auto für die Beschleunigung von 0 auf 200 km/h aus dem Stand nur 4,9 Sekunden und 140 Meter benötigt? Eine Vollbremsung aus 200 km/h in den Stand dauert dagegen nur 1,9 Sekunden und 55 Meter. Die Reifen müssen dabei enorme Kräfte aushalten, wie auch in den Kurven, wo etwa bei Tempo 150 Fliehkräfte von bis zu 3,2 g auf die Gummis wirken. "Dabei", so Dr. Christoph Lauterwasser vom Allianz Zentrum für Technik (AZT), "zerren an den Reifen extreme Seitenführungskräfte von rund 2,2 Tonnen."