Stefano Domenicali ist mit Herz und Seele Ferraristo. Nicht nur, dass das Wohl "seines" Rennstalls ihm persönlich am Herzen liegt - Ferraris Teamchef lebt die Mentalität des italienischen Formel-1-Urgesteins mit jedem Atemzug. Teil des Mythos Ferrari ist zweifelsohne das Streben nach dem Maximum: hier zählen nur Siege und Titel; Aufgeben wird nicht geduldet. Doch wie das Leben so spielt, könnte nun ausgerechnet ein Bruch mit dieser Maxime Ferrari aus einer langen Durststrecke befreien.

Grund hierfür sind die radikalen Änderungen, die der Formel 1 durch den Wechsel auf V6-Turbomotoren im nächsten Jahr ins Haus stehen. Durch die veränderten Antriebsaggregate sowie die zugehörigen notwendigen Adaptionen im Bereich von Chassis und Aerodynamik steht den Teams ein wahrer Entwicklungsmarathon über den Winter bevor. Eins scheint dabei gesichert: Je früher die Entwicklung beginnt, desto erfolgsversprechender das Ergebnis. Wäre es für den Rennstall aus Maranello also ein Segen, sich frühzeitig aus dem Kampf um die WM 2013 zu verabschieden?

"Alle Topteams wissen, dass sie sich rechtzeitig um die nächste Saison kümmern müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen", verrät Domenicali auf der offiziellen Formel-1-Webseite. "Die Änderungen für 2014 werden massiv sein - die größten an die ich mich überhaupt erinnern kann - und wenn du sie nicht auf den Punkt hinbekommst, bist du verloren. Ich denke, wir werden große Verschiebungen in den Kräfteverhältnissen 2014 sehen."

Wer daraus nun jedoch ein Aufgeben Ferraris schließt, liegt falsch - zumindest für den Moment. Denn noch macht sich das Ego bei Domenicali und Ferrari bemerkbar. Die Mentalität des Strebens nach dem Maximum eben. "Wir geben erst auf, wenn wir mathematisch geschlagen sind. Um das neue Auto kümmern wir uns erst ab September. Sollten wir Ende September tatsächlich aussichtslos in beiden Weltmeisterschaften zurückliegen, werden wir alle Ressourcen auf 2014 konzentrieren."

Stefano Domenicali ist seit November 2007 Teamchef bei Ferrari, gewann 2008 den Konstrukteurstitel., Foto: Sutton
Stefano Domenicali ist seit November 2007 Teamchef bei Ferrari, gewann 2008 den Konstrukteurstitel., Foto: Sutton

Wie wichtig jedoch ein Entwicklungsvorsprung auf die Rivalen Red Bull, Mercedes und Lotus sein könnte, zeigte sich dieses Jahr: Nach missglückten Updates für das Rennen in Kanada fuhr Ferrari der Konkurrenz buchstäblich hinterher - nur Alonsos Klasse gebot dem Fall beim vergangenen Rennen in Spa Einhalt. Das Hauptproblem ist für Domenicali schnell ausgemacht: Pirellis neue, alte Reifen. "Es ist kein Geheimnis, dass uns der neue Reifen extrem geschadet hat", erklärt Domenicali, bevor er direkt wieder Luft rausnimmt: "Allerdings werde ich hierzu nicht mehr sagen, denn es gibt nichts zu diskutieren. Es ist einfach eine Tatsache."

Ebenfalls eine Tatsache ist jedoch, dass Alonsos Magie die deutlichen Nachteile Ferraris im Qualifying und im Umgang mit den Reifen nicht auf Dauer wird kaschieren können. Und da Felipe Massa weiterhin weit von seiner Bestform entfernt ist, wird auch ein Angriff auf die Konstrukteurs-WM selbst für den kühnsten Optimisten nicht mehr als ein Wunschtraum bleiben.

Selbst Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo, der nach dem enttäuschenden Juli mächtig die Ohren seiner Angestellten klingeln ließ, dürfte eingesehen haben, dass Red Bull und wohl auch Mercedes derzeit außer Reichweite seiner "Roten Göttinnen" liegt. Sollte Ferrari also tatsächlich bereits frühzeitig auf die Saison 2014 schielen, stellt sich zudem die Frage nach der Fahrerpaarung. Aktuelle Gerüchte besagen, dass di Montezemolos schützende Hand über Felipe Massa immer weiter weicht.

Mit Kimi Räikkönen wurde sogar schon ein möglicher Partner Alonsos für ein rotes Dream-Team durch die Medienwelt posaunt. Und auch Domenicali sieht ein: "Wir brauchen zwei gute Fahrer, wenn wir den Konstrukteurstitel gewinnen wollen, haben uns aber für den Moment noch nicht festgelegt." Zwar sei Massa sein Favorit, jedoch wisse dieser, dass er sich extrem steigern müsse.

Ist dies nun ein versteckter Hinweis auf eine mögliche Rückholaktion Räikkönens, seines Zeichens letzter Weltmeister mit Ferrari 2007? "Kimi ist ein sehr schneller Fahrer und jeder weiß, was ich von ihm halte. Aber wenn ich jetzt etwas dazu sage, wird es von der Presse als direkte Antwort gewertet", weicht Domenicali geschickt aus. Denn dass er für die laufende Saison keinen Unfrieden stiften darf, will er den letzten Erfolgs-Strohhalm doch noch greifen, ist dem Formel-1-Urgestein nur zu gut bewusst. Vor allem vor dem Heimspiel in Monza - dem wichtigsten Saisonrennen für Ferrari - braucht er beide Fahrer maximal fokussiert und motiviert.

Denn trotz der Sinnhaftigkeit der frühzeitigen Konzentration auf die Saison 2014 gilt bei Ferrari noch immer die Maxime, die Flinte nie frühzeitig ins Korn zu werfen. Das weiß auch Domenicali, wenn er sagt: "Wenn du gewinnst, bist du ein Held, ansonsten ein Versager. Bei Ferrari gibt es realistisch betrachtet nicht viel dazwischen."