Sehnsüchtig erwarten Fahrer und Fans das Ende der Sommerpause. Traditionell kehrt die Königsklasse in Spa zurück in ihren Rhythmus. Nach vier Wochen Pause stellt sich erneut die Frage: Welche neuen Teile bringen die Teams mit und wie hat sich das Kräfteverhältnis verschoben? Obwohl die Fabriken zwei Wochen komplett geschlossen werden mussten, sind einige Neuerungen zu erwarten. Anders als noch in Ungarn ist in den Ardennen mit allem anderen als einem Hitzerennen zu rechnen. Zudem geht es von einer der kürzesten Rennstrecke im Kalender auf die längste. Nicht nur die Länge der beiden Kurse unterscheidet sie dramatisch voneinander, vor allem die Charakteristik ist es, das die Teams vor ein neues Rätsel stellt.

Nach einer absoluten High-Downforce-Strecke geht es auf die Ardennenachterbahn, die mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 230 Stundenkilometern zu den schnellsten Strecken überhaupt gehört. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Neben langen Geraden und Vollgas-Passagen finden sich auf der sieben Kilometer langen Strecke auch zahlreiche High-Speed-Kurven, in denen ausreichend Abtrieb gefragt ist. Es gilt also den richtigen Kompromiss zu finden. Die Charakteristik ähnelt noch am ehesten jener von Silverstone, wo Nico Rosberg seinen zweiten Saisonsieg feiern konnte.

Damals profitierte er allerdings vom Reifenschaden an Lewis Hamiltons Mercedes und dem Defekt an Sebastian Vettels Red Bull. Reifenschäden sind am kommenden Wochenende zumindest nicht mehr zu erwarten, änderte Pirelli deshalb erst kürzlich die Hinterreifen. Auch deshalb lassen sich nur schwer Vergleiche mit Silverstone ziehen. Im Gegensatz zum vergangenen Rennen in Ungarn müssen die Pneus deutlich mehr laterale Kräfte aufnehmen. Heißt: Auch wenn die Temperaturen nicht so hoch sind, steigt die Reifenkerntemperatur an, weil die Kräfte bei schnellen Kurvenfahrten enorm sind. "Es könnte in Spa, bei anderen Temperaturen, bei einem anderen Belag, bei einer anderen Streckencharakteristik wieder ganz anders sein", erklärte Toto Wolff nach dem Sieg auf dem Hungaroring.

"Dann findet man den Sweet-Spot wieder, oder man findet ihn nicht", musste er ernüchternd zugeben. Das Problem: Eine strukturelle Erwärmung des Reifens durch laterale Kräfte ist eine gänzlich andere Belastung als hohe Asphalttemperaturen. Waren die Reifen in Ungarn noch kein großes Thema, könnte sich das in Spa wieder erheblich ändern, die Mercedes-Reifen-Probleme könnten erneut in voller Tragweite zum Vorschein kommen. Weil mit der aktuellen Reifengeneration noch keine Rennen unter ähnlichen Bedingungen ausgetragen wurden, bleibt ein großes Fragezeichen hinter dem schwarzen Gold. Sollten die Pirelli-Reifen aber erneut Zünglein an der Waage sein, gibt es mit Lotus und Ferrari zwei Teams, die Mercedes und Red Bull gehörig in die Suppe spucken können.

Doch Lotus und Ferrari dürfen und wollen sich nicht auf Reifen-Probleme verlassen. Deshalb wurde die Zeit in der Sommerpause - trotz des zweiwöchigen Shutdowns - dazu genutzt, letzte größere Pakete mit an die Strecke zu bringen. "Es werden ein paar Updates kommen - sowohl mechanische als auch aerodynamische -, weshalb wir zuversichtlich sind, dass wir einen weiteren Schritt machen können", gab zum Beispiel Alan Permane, Leitender Renningenieur bei Lotus, zu Protokoll. Im Konkreten heißt das, dass das Drag Reduction Device wieder am E21 angebracht wird. Endgültig ist diese Entscheidung noch nicht, aber "die Chance ist groß, dass wir es sehen werden", gab er zu.

Während Lotus DRD als einziges Team bisher zum Renneinsatz brachte, tüftelt Mercedes schon seit längerer Zeit daran, mehr als ein Kurzeinsatz im Freien Training war allerdings noch nicht drin. Gut möglich, dass es in Spa zu weiteren Testfahrten und vielleicht zum ersten Renneinsatz kommt. Doch auch unabhängig von DRD gibt es bei Lotus viel Optimismus vor dem Europa-Schlussspurt: "Die Strecke sollte unserem Auto ziemlich gut liegen. Die zweite Saisonhälfte sieht dahingehend überhaupt gut aus, wie die Strecken zum E21 passen", glaubt zumindest Romain Grosjean.

Ferrari und Force India traditionell stark

Kriegen sie die Reifen in den Griff, dürfte aber Mercedes absoluter Favorit auf den Sieg in den Ardennen sein. Nicht nur die Form der letzten Rennen spricht für die Silberpfeile, auch die Charakteristik der Strecke sollte dem F1 W04 entgegenkommen. Power ist gefragt, wenn es durch Eau Rouge auf die lange Kemmel-Gerade geht. Davon hat Mercedes bekanntlich ausreichend und auch die Aerodynamik ist inzwischen so gut, dass Nico Rosberg und Lewis Hamilton als Top-Favoriten ins Rennen gehen. Der Top-Speed könnte in Belgien das große Manko von Red Bull und Lotus sein. Aerodynamische Konzepte in Verbindung mit der Charakteristik des Renault-Motors sprechen nicht wirklich für die Kombination, doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass es eben die Stärke von Red Bull ist, auf keiner Strecke signifikante Schwächen zu haben. Siegfähig wird der RB9 wohl auch in Spa sein.

2009 stand zum ersten und einzigen Mal ein Force-India-Pilot auf dem Podium, Foto: Sutton
2009 stand zum ersten und einzigen Mal ein Force-India-Pilot auf dem Podium, Foto: Sutton

Bei Ferrari sieht das schon etwas anders aus. Nicht nur, dass der F138 seit einigen Rennen nur noch viertschnellstes Auto im Feld ist, auch die neuen Reifen kommen der Scuderia nicht entgegen. Ob da die traditionelle Stärke Ferraris zum Ende der Europa-Saison hilft? Es wäre nicht das erste Mal, dass Ferrari in Spa zu einem fulminanten Schlusssprint ansetzt. Außenseiterchancen können auch Force India eingeräumt werden. Die Inder zeigten in den letzten Jahren vor allem in Spa starke Leistungen - die Mercedes-Power im Heck dürfte wohl nicht nachteilig wirken. Das ist auch den beiden Piloten nicht entgangen. "Wir schlagen uns für gewöhnlich gut in Belgien", weiß Paul di Resta. Und auch Adrian Sutil hofft darauf: "Die nächsten paar Strecken sollten unserem Auto sehr gut liegen." Allerdings hat Force India mit den gleichen Problemen wie Ferrari zu kämpfen, die neuen Reifen gelten nicht als Force-India-freundlich, beide Teams haben Probleme, die Hinterreifen auf Temperatur zu bekommen.