Die Vorgabe war klar: Nach vier Jahren Durststrecke sollten die WM-Pokale endlich wieder ihren Weg nach Maranello finden. Doch schon der Auftakt in die neue Saison verlief alles andere als reibungslos, denn wegen starken Schneefalls musste Ferrari auf eine pompöse Vorstellung des neuen Boliden verzichten. Das extravagante Design der neuen roten Göttin sorgte schon vor den ersten Tests für Hohn und Spott, da Ferrari das neue Reglement nicht so elegant zu nutzen wusste wie Erzrivale McLaren.

Als auch noch die Testfahrten katastrophal verliefen, glaubte selbst der sonst so optimistische Luca di Montezemolo kaum an eine wundersame Verwandlung des hässlichen Entleins in eine rote Göttin. "Wir werden zu Beginn leiden", sagte Fernando Alonso noch vor dem ersten Rennen - und ganz Italien war alarmiert. Beim Saisonauftakt konnte zumindest Alonso konkurrenzfähige Zeiten fahren und die Kohlen aus dem Feuer holen. Aber was in Malaysia und den nachfolgenden Rennen passierte, damit rechnete wohl niemand. Alonso fuhr im zweiten Rennen den ersten Sieg ein und entpuppte sich im weiteren Saisonverlauf als Titelfavorit.

Witterungsbedingt fiel die Präsenation aus, Foto: Ferrari
Witterungsbedingt fiel die Präsenation aus, Foto: Ferrari

Das Team: Die Ferrari-Familie drohte 2012 zu zerbröckeln. Nach den Testergebnissen spekulierte die italienische Presse schon, wer seinen Hut als erster nehmen muss. Pat Fry? Stefano Domenicali? Luca di Montezemolo zeigte sich in der Vergangenheit nicht zimperlich mit Personalentscheidungen, jüngstes Beispiel Aldo Costa. Der Italiener musste noch während der Saison seinen Platz für Pat Fry räumen, der erstmals zusammen mit Nikolas Tombazis hauptverantwortlich für den neuen Boliden der Scuderia war.

Bei den Piloten führte Ferrari seine Tradition mit einer klaren Hierarchie fort und degradierte Felipe Massa zum Wasserträger. Wie sehr Ferrari den Titel wollte, zeigte sich auch in der Tatsache, dass man bis zuletzt versuchte, Vettel die Weltmeisterschaft doch noch zu entreißen. Selbst als Vettel die Ziellinie des Brasilien GP schon längst überfahren hatte, gaben die Roten aus Maranello nicht auf und haderten mit ihrem Schicksal. Weil auf einer TV-Aufzeichnung zu sehen war, dass Vettel beim Saisonfinale unter Gelb einen Konkurrenten überholt hatte, bat man die FIA im Nachhinein, die Situation klarzustellen - erfolglos.

Das Auto: Selten gab es über ein Fahrzeug im Vorhinein schon so viele negative Schlagzeilen. Damit, dass der F2012 keinen Designpreis gewinnen würde, konnte sich Ferrari noch recht gut abfinden. Als sich aber bei den ersten Testfahrten herauskristallisierte, dass die neue rote Göttin weder schön, noch schnell war, wurde es in Maranello hektisch. Unter Pat Fry ging Ferrari das Design aggressiver an als in den Jahren zuvor.

Erstmals wurden Pull-Rods, also Zugstreben statt Druckstreben, bei der Aufhängung verbaut, womit der Hauptgrund für den fehlenden Speed schnell gefunden war. Weil die Druckstreben wegen des hohen Chassis fast waagrecht lagen, erwies sich die Feinabstimmung als äußerst schwierig. Eine Rückrüstung auf Push-Rods kam deshalb nicht in Frage, weil dafür Änderungen am Monocoque notwendig gewesen wären, wofür es allerdings der Zustimmung der anderen Teams bedurft hätte.

Wegen der gewöhnungsbedürftigen Optik musste Ferrari viel Spott ertragen, Foto: Ferrari
Wegen der gewöhnungsbedürftigen Optik musste Ferrari viel Spott ertragen, Foto: Ferrari

Tatsächlich erwies sich der F2012 zu Beginn als nicht siegfähig. In der Qualifikation chancenlos, war zumindest der Rennspeed auf einem guten Niveau. Doch den Ingenieuren gelang es, den Boliden rapide weiterzuentwickeln, und so saß Alonso zur Saisonmitte in einem Top-Auto. Zwar war Ferrari nie dominant und zum Ende hin überholte Red Bull die Scuderia ganz klar, doch im Hinblick auf die Vorbereitung und die vorausgesagten Szenarien war der F2012 ein Erfolg. Seine größte Schwäche blieb jedoch immer die Qualifikation. Zu den großen Stärken des Fahrzeugs zählte zweifelsfrei die Zuverlässigkeit. Alonso hatte in der ganzen Saison keinen einzigen technikbedingten Ausfall zu beklagen, lediglich beim Qualifying in Monza quittierte der Stabilisator seinen Dienst.

Die Fahrer: In der ersten Saisonhälfte wuchs Alonso in einem strauchelnden Ferrari über sich hinaus und konnte um die WM-Führung kämpfen, während Massa mehr mit dem Auto als mit den Gegner zu kämpfen hatte. Alonso fuhr bis auf wenige Ausnahmen eine perfekte Saison und holte das Maximum aus dem Auto heraus. Dass es am Ende nicht zum großen Ziel gereicht hat, kann man sicher nicht an ihm festmachen. Wenn überhaupt, darf kritisiert werden, dass er in den letzten Rennen den Ferrari überfuhr und teilweise langsamer als Massa war.

Für den Brasilianer war 2012 eine schwierige Saison. Nach desolatem Start steigerte er sich aber im Saisonverlauf kontinuierlich und war am Ende sogar schneller als Alonso. Massa hatte oft unter seinem Nr. 2-Status zu leiden. Der Gipfel wurde in Austin erreicht, als er eine Strafe von fünf Startplätzen auf sich nehmen musste, damit Alonso eine Position nach vorne rutschte und von der sauberen Seite startete.

Ferraris größte Stärke: der Teamgeist, Foto: Sutton
Ferraris größte Stärke: der Teamgeist, Foto: Sutton

Pro: Im Gegensatz zum Märchen entpuppte sich das hässliche Entlein am Ende als rote Göttin. Auch wenn Ferrari nicht von Beginn an konkurrenzfähig war, so schafften sie es dennoch, bis zum letzten Rennen um die Weltmeisterschaft mitzufahren. Niemand - und da schließe ich mich mit ein - hätte wohl nach den Wintertests auch nur einen Groschen auf die Scuderia gesetzt. Das Auto war teilweise siegfähig, standhaft war es im Gegensatz zur Konkurrenz immer. Mit Alonso hatten sie den besten Fahrer der Saison und mit Massa einen perfekten Teamplayer. Dass die Mythos-Marke erneut so knapp am Triumph vorbeischrammte, ist zwar bitter, aber in Anbetracht der Vorgeschichte ein wahrer Erfolg. Christian Menath

Contra: Allein der Fakt, dass der F2012 zum Auftakt zwei Sekunden hinter der Spitze lag, kann die Saison der Scuderia 2012 nicht mehr gänzlich in gutem Licht erscheinen lassen. Mit einem Alonso in dieser Form muss eine derart erfahrene und über die nötigen Mittel verfügende Truppe wie Ferrari ganz einfach den Titel einfahren. Die Entwicklungsrate war heuer für den großen Wurf jedoch zu langsam, die technischen Ideen waren zu konservativ. Massas starker Schlussspurt sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er die meiste Zeit des Jahres für einen Piloten im Top-Team unterdurchschnittlich unterwegs war. Dass sich die Roten aus Maranello mit der Getriebesiegel-Aktion und der Nachbehandlung der Flaggencausa in Sao Paulo zudem wenig neue Freunde in der Branche gemacht haben, rundet den Teameindruck mit einem faden Beigeschmack ab. Frederik Hackbarth