HRT bleibt seiner Tradition auch im dritten F1-Jahr treu: den offiziellen Rollout erlebt der neue Bolide erst beim Saisonauftakt in Melbourne. Alles sollte mit dem neuen Besitzer Thesan Capital besser werden: Umzug nach Spanien, ein konkurrenzfähigeres Auto und überhaupt bessere Strukturen im Unternehmen. Doch außer einem eingeschobenen Filmtag nach den offiziellen Testfahrten blieb das Team vieles schuldig. Hinter den Kulissen wird sogar gemunkelt, dass Thesan die Mannschaft wieder verkaufen will.

In all dem Dunkel fand zumindest Pedro de la Rosa einen kleinen Lichtblick. "Ich hatte nicht erwartet, überhaupt vor Australien zu fahren, wenn es uns also gelingt, ein paar Kilometer zu fahren, befindet sich HRT in einer viel besseren Situation als jemals zuvor vor dem Saisonstart", sagte der Spanier vor dem Filmtag in Barcelona und gewann der unvollkommenen Vorbereitung zumindest etwas Positives ab.

Das Team: Größer hätte die Umwälzung bei HRT über die Jahreswende kaum sein können. Seitdem Thesan die Zügel in der Hand hält, setzt das Unternehmen stringent auf einen spanischen Kurs. Colin Kolles musste vor Weihnachten nach Zerwürfnissen seinen Hut nehmen, der ehemalige Teamberater Luis Perez-Sala stieg zum Teamchef auf. Zwar wird das Auto nach wie vor im bayerischen Greding und Kolles-Revier konstruiert, doch der Rest des Trosses schlug in Madrid seine Zelte auf.

Perez-Sala hatte vor dem Start der Wintertestfahrten verkündet, dass der F112 wohl zum Beginn in Jerez einsatzbereit sein würde. Das Resultat ist inzwischen bekannt. Stattdessen dienten die großangelegten Umstrukturierungen später als Ausrede für die Verzögerung. Neben Kolles wurden weitere Mitarbeiter vor die Tür gesetzt, die am Aufbau des F112 beteiligt waren: die Verträge von Technikdirektor Jacky Eeckelaert, Chef-Designer Jean-Claude Martens sowie Produktionsleiter Simon Jenkins wurden nicht verlängert.

Es ist noch Platz für Sponsoren, Foto: HRT
Es ist noch Platz für Sponsoren, Foto: HRT

Trotzdem war Narain Karthikeyan der Ansicht, dass bei HRT im Vergleich zum Vorjahr ein Aufwärtstrend zu erkennen sei. "Das ist kein Micky-Maus-Team", betonte der Inder. "Wir haben viele erfahrene Leute im Team und jeder weiß, was er tut. Wir befinden uns definitiv in einer besseren Position als im vergangenen Jahr."

Die Fahrer: Ein alter Bekannter und ein neuer Älterer. Nach ewigem Hin und Her musste sich Vitantonio Liuzzi von seinem Cockpit verabschieden und wurde durch Karthikeyan ersetzt. Jener Inder, der in der Vorsaison seinerseits seinen Platz für Daniel Ricciardo räumen musste. Der junge Australier kehrte in die Red-Bull-Familie zu Toro Rosso zurück, stattdessen schnappte sich HRT mit de la Rosa einen Spanier. Stichwort: Image stärken.

In Sachen Alter verfügt HRT damit über die erfahrenste Fahrerpaarung, zusammen kommen de la Rosa und Karthikeyan immerhin auf stolze 76 Lebensjahre - bei zusammengerechnet 113 GP-Starts. Ersatzfahrer Dani Clos, der von einem erfüllten Lebenstraum sprach, senkt den Altersdurchschnitt merklich. HRTs Personalentscheidungen sorgten für das eine oder andere Stirnrunzeln, doch Karthikeyan wollte sich nicht als Paydriver abstempeln lassen: "Die Leute können sagen, dass ich hier bin, um das Starterfeld aufzufüllen und sich fragen, warum das so ist - für mich ist das aber nicht der Fall. Wann immer ich ins Auto steige, greife ich voll an."

In der Box war es lange Zeit leer, Foto: Sutton
In der Box war es lange Zeit leer, Foto: Sutton

Das Auto: Ein Auto suchte man während der abschließenden Tests in Barcelona vergeblich in der HRT-Box samt neuem Teamlogo. Nur ein paar Reifen standen einsam in der Ecke, weil es der Truppe nicht gelang, den F112 rechtzeitig zum letzten Tag auf dem Circuit de Catalunya an die Strecke zu verfrachten. Wie der 2012er Bolide mit den neuen Pirelli-Mischungen zurechtkommt, zeigt sich erst in Australien, denn in Jerez tauchte HRT mit dem alten Auto auf und beim Filmtag durften nur Demo-Reifen aufgezogen werden.

Immerhin schaffte es die spanische Truppe, das Auto am Montagnachmittag auf die Strecke zu schicken. Der F112 weist eine ähnliche Stufennase an der Front auf wie der große Rest des F1-Feldes, wenn auch nicht mit einem starken Knick. Getreu dem neuen Logo erstrahlt der Bolide in den Farben weiß, gold und rot - und auffallend viel Freiraum für weitere Sponsoren-Sticker. Karthikeyan kam die Ehre des Shakedowns zuteil. "Die ersten Eindrücke sind ziemlich gut", so der Inder nach ein paar Runden."Im Vergleich zum Vorjahr ist es definitiv ein Schritt nach vorn. Wir konnten keine Setuparbeiten oder ähnliches vornehmen, aber alles scheint in Ordnung zu sein und es gibt keine großartigen Probleme."

Saisonziel: Mit Marussia um den vorletzten Platz kämpfen

Pro: Sicher hat die Wintervorbereitung von HRT nicht viel besser ausgesehen als in den vergangenen beiden Jahren, aber immerhin hat das Team einen Filmtag untergebracht, bevor es nach Melbourne geht - rein mathematisch betrachtet ist das eine enorme Steigerung gegenüber null. Ist dann der Teamumzug nach Spanien endlich komplett unter Dach und Fach, sollte es auch wirklich einmal nach vorne gehen. Denn Pedro de la Rosa mag zwar nicht mehr der Jüngste sein, er weiß aber ganz genau, wie man ein Auto schneller macht. Dank Narain Karthikeyan hat man zudem nicht nur einen Fahrer, der gutes Geld mitbringt, sondern beim Indien Grand Prix wohl auch die höchste Aufmerksamkeit genießt. Falko Schoklitsch

Contra: Murmeltiere müssen sich bei HRT verdammt wohl fühlen - jedes Jahr grüßen sie wieder aus dem Cockpit eines unvollendeten Autos, das beim ersten Rennen seine ersten offiziellen Runden dreht. Zwar rühmt sich das Team, einen Filmtag absolviert zu haben, wirklich gebracht hat es HRT allerdings nichts - die Vorbereitung war abermals verkorkst, die meisten Mitarbeiter sind mit Teamchef Colin Kolles abgezogen und der Umzug nach Spanien kostete vor allem Zeit und Energie - so kehrt keine Ruhe ein. Das wäre jedoch nötig, um endlich einmal Fortschritte zu erzielen und nicht jedes Jahr von vorne anzufangen. Einzig die ebenso vermasselte Vorbereitung von Marussia lässt den Spaniern wenigstens ein kleines Fünkchen Hoffnung, nicht Letzter zu werden. Stephan Heublein