Van der Linde vor van der Linde! Das wegen Nebels mit vier Stunden Verspätung gestartete Samstagsrennen der DTM auf dem Nürburgring wird in die Geschichtsbücher der deutschen Traditionsserie eingehen. Im zwar späten (Rennstart um 17:15 Uhr statt 13:30 Uhr), aber wohl spannendsten Rennen der bisherigen Saison 2022 siegte völlig überraschend Sheldon van der Linde vor Bruder Kelvin.
Nie zuvor war einem Brüderpaar ein Doppelsieg in der DTM gelungen. Überraschend, weil Kelvin in seinem Abt-Audi das Rennen vom 13. Startplatz aufgenommen hatte und nach dem Start sogar auf die 20. Position durchgereicht worden war. Überraschend auch, weil eigentlich Felipe Fraga (AF-Corse-Ferrari) und Mirko Bortolotti (GRT-Lamborghini) wie die sicheren Sieger aussahen. Erst eine späte Kollision zehn Minuten vor dem Rennende zwischen dem Ferrari- und dem Lamborghini-Piloten brachte Sheldon in die Position für den Sieg.
Sheldon van der Linde, der große Profiteur des Crashs der beiden italienischen Sportwagen: Nicht nur schnappte sich der 23-Jährige in Diensten von Schubert-BMW den dritten Saisonsieg nach dem Doppel-Erfolg am Lausitzring, auch eroberte er die Führung in der Meisterschaft von GRT-Fahrer Bortolotti zurück, der sich schnell bei Unfall-Opfer Fraga entschuldigte und für das Sonntagsrennen eine 5-Platz-Strafe kassierte.
Apropos Lausitzring: In der Saison 2021 hatten Sheldon und Kelvin bereits eine 'Doppel-Pole' in der Lausitz erzielt, mit dem doppelten Podium sollte es aber nicht klappen. Kelvin fuhr nach einem Motorenaussetzer auf den vierten Platz, Sheldon wurde nach einer Strafe nur Neunter. Heute am Nürburgring lief hingegen alles für die beiden in der Nähe von Kempten lebenden Brüder - van-der-Linde-Wahnsinn in der Eifel!
Ein Doppelsieg war stets der große Traum der beiden Südafrikaner, die für Audi Sport customer racing (Kelvin) bzw. BMW M Motorsport (Sheldon) starten und seit 2021 in der DTM als Rivalen aufeinandertreffen. Dass es so schnell funktionieren würde, hatten sie sich aber nicht erträumt. Im Jubeltaumel war aber ohnehin erst einmal alles andere nebensächlich. "Der geilste Tag ever", feierte Kelvin. "Nichts kann das toppen! Ich bin so happy. Das werden wir heute vernünftig feiern. Wir haben sowieso Gewicht (Erfolgsballast für P1 und P2) drin für morgen..."
Bruder Sheldon war nach dem Zieleinlauf am Teamfunk schon den Tränen nahe und wurde auch später emotional. "Das war eines der verrücktesten Rennen meines Lebens", sagte er. "Erst haben wir ewig auf den Rennstart warten müssen und jetzt stehe ich zusammen mit meinem Bruder auf dem Podium. Das ist der beste Tag meines Lebens! Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell passiert. Letztes Jahr am Lausitzring hat es nicht geklappt und jetzt an einem Tag, an dem wir es niemals erwartet hätten."
Dass plötzlich und drei Runden vor Schluss erstmals Kelvin mit seinem Audi R8 LMS GT3 im Heck von Sheldons BMW M4 GT3 auftauchte, sorgte zunächst für etwas Verwirrung. Sheldon: "Kelvin war am Anfang auf P20 und plötzlich taucht er in meinem Rückspiegel auf! Ich dachte: Wo zur Hölle kommt der her?! Das war einfach nur krank."
Tatsächlich profitierte Kelvin von einer späten Boxenstopp-Strategie seiner Abt-Truppe. Erst in Runde 25 ließ er als einer der letzten Fahrer im Feld frische Slick-Reifen aufziehen. Während zahlreiche Kontrahenten im früheren Rennverlauf Schwierigkeiten hatten, mit ihren ungeheizten Reifen auf Pace zu kommen, konnte van der Linde mitrollen und später von den verbesserten Streckenbedingungen profitieren.
Dass sich einige Gegner gegenseitig aus dem Rennen nahmen - wie bei Laurens Vanthoor, der Kelvins Abt-Teamkollegen Rene Rast (Platz neun) beim Kampf um Platz vier umdrehte - half van der Linde zusätzlich, durch das Feld zu pflügen. In der Schlussphase musste auch Abt-Teamkollege Ricardo Feller mit seinen älteren Reifen Platz machen und sich mit Platz drei begnügen - dennoch ein doppelter Podesterfolg für den Rennstall aus Kempten.
Bruder Sheldon hatte beim Start zunächst zwei Plätze an Blitz-Starter Fraga (von P6) und Lucas Auer verloren, etablierte sich aber im späteren Rennverlauf auf dem dritten Rang hinter Fraga und Bortolotti. Der Crash der Spitzenreiter war dann ein Geschenk. Sheldon: "Ich habe gesehen, wie sich beide gedreht haben. Ich war nicht sicher, ob ich gerade träume. Ich dachte: Das kann nicht wahr sein! Für die beiden war das nicht toll, aber ich muss jede Chance nutzen, die sich mir bietet."
Es war für Sheldon und Kelvin das erste Mal seit 2018, dass beide auf einem Podium standen - damals allerdings noch als Teamkollegen! 2018 fuhren die Brüder gemeinsam dem Schweizer Jeffrey Schmidt überraschend beim 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps mit Land-Motorsport auf das Podium. Im selben Jahr teilten sich Sheldon und Kelvin einen Land-Audi R8 im ADAC GT Masters und sicherten sich mit nur einem Punkt Rückstand die Vize-Meisterschaft.
Gleichzeitig gewann Sheldon überlegen die Rookie-Wertung in der ADAC-Serie. Vier Jahre später kann sich das BMW-Juwel Hoffnungen auf die DTM-Meisterschaft machen, während sich Bruder Kelvin nach einer bisher schwierigen Saison mit dem ersten Podest-Erfolg des Jahres eindrucksvoll aus der Sommerpause zurückgemeldet hat. "Sheldon hat mich mit seiner Performance heute absolut begeistert", freute sich auch BMW-Motorsportchef Andreas Roos im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com über einen weiteren Sieg des neuen M4 GT3.
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