Die DTM gastiert zum vierten Rennwochenende der Saison 2022 auf dem Norisring (01.-03. Juli 2022). Der einzige Stadtkurs im Rennkalender bildet jährlich das Highlight der deutschen Traditionsserie und produziert immer wieder Schlagzeilen - so wie das viel diskutierte Saisonfinale 2021, in dem sich Maximilian Götz dank der Clashes zwischen Kelvin van der Linde und Liam Lawson sowie Unterstützung von Mercedes-AMG-Markenkollegen überraschend zum Meister kürte. Auch die diesjährige Ausgabe des Norisring Speedweekend bietet schon im Vorfeld reichlich Gesprächsstoff.

Brennpunkt 1: Der DTM-Champion strauchelt

Der amtierende DTM-Meister Maxi Götz konnte bisher nicht an seine konstant starken Leistungen aus der Vorsaison anknüpfen. Nur 13 Punkte aus sechs Rennen - zu wenig für seinen Geschmack. Götz: "Ich habe zwar ein paar Punkte, das ist aber nicht genug für einen Champion." Winward-Mercedes-Teamkollege Lucas Auer hat bereits 60 Zähler auf dem Konto und zählt als bestplatzierter AMG-Fahrer zu den Titelanwärtern.

Götz' Problem nach dem Teamwechsel von HRT zu Winward ist das Qualifying. In den letzten vier Rennen schaffte es der 36-Jährige nicht in die Top-10 der Startaufstellung. "Die Rennpace ist sehr gut, aber wenn man von hinten startet, wird es schwierig", sagt Götz. Gelingt ausgerechnet beim Heimspiel auf dem Norisring die Trendwende? Mercedes eroberte 2021 auf dem Stadtkurs mit Götz einen Dreifachsieg sowie einen Doppelsieg, das gibt Hoffnung: "Das Auto war letztes Jahr sehr konkurrenzfähig, die BoP ist gut und das Team motiviert."

Lokalmatadore am Norisring: Marco Wittmann und Maximilian Götz, Foto: DTM
Lokalmatadore am Norisring: Marco Wittmann und Maximilian Götz, Foto: DTM

Brennpunkt 2: Alarm in der Boxengasse

Nach dem Sonntagsrennen in Imola und mehreren Vorfällen in der wilden Boxenstopp-Phase während des Safety Car herrscht Gesprächsbedarf in der DTM, wie wir ausführlich berichtet hatten. Gerade am Norisring ist die Boxengasse ein Thema: Zwar wurde sie aufgrund des großen Starterfeldes um 50 Meter auf 170 Meter verlängert, doch die Breite blieb unverändert. Sollte es wieder zu einer frühen Safety-Car-Phase kommen - seit 2015 rückte das Neutralisationsfahrzeug sieben Mal in zwölf Rennen aus - ist Alarm in der Box programmiert!

Vorsorglich wurde die Höchstgeschwindigkeit von üblicherweise 60 auf 40 km/h in der Boxengasse reduziert. "Bei einem Safety Car werden alle in die Box wollen, das wird ein Chaos geben", prognostiziert Imola-Sieger Ricardo Feller (Abt-Audi).

Marco Wittmann (Walkenhorst-BMW) sagt vor seinem Heimspiel: "Die Pitlane am Norisring ist sehr eng, aber der Motorsport Club Nürnberg hat alles getan, um sie zu verbessern. Es geht aber nicht um uns Fahrer, im Auto zu crashen ist nicht so schlimm. Gefährlich kann es aber für die Mechaniker werden. In Imola gab es viele Unsafe Releases. Vielleicht braucht es neue Regeln."

Brennpunkt 3: Neue Qualifying-Regeln

Erstmals in der Geschichte der DTM wird das Qualifying aufgrund der Größe des Starterfeldes mit 27 Autos in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Gruppen (14 Fahrer in Gruppe A, 13 Fahrer in Gruppe B) werden nach dem Stand in der Meisterschaft getrennt (P1 in Gruppe A, P2 in Gruppe B, usw.) und haben jeweils 20 Minuten Streckenzeit. Die Startaufstellung erfolgt dabei nicht nach Rundenzeiten, sondern nach der Reihung in der Qualifying-Gruppe. Demnach hat der Fahrer mit der absoluten Bestzeit die Pole Position. Ihm folgt der Schnellste der anderen Gruppe, und so weiter.

Im Vorfeld des Qualifying-Novums, das mit Blick auf wechselhaftes Wetter und veränderte Streckenbedingungen für möglichst faire Verhältnisse sorgen soll, herrscht gute Stimmung. Der zweifache DTM-Champion Marco Wittmann freut sich, dass auch die Fahrer angehört wurden: "Toll, dass die DTM so offen ist. Die Zusammenarbeit ist viel besser als in der Vergangenheit."

Mercedes-Fahrer Maximilian Götz meint angesichts der Grid-Aufteilung nach Gruppen-Performance: "Ich finde es gut, dass man nur in seiner Gruppe schnell sein muss. Es spielt keine Rolle, in welcher Gruppe du bist." Am Samstag ist die Gruppe A vor der Gruppe B dran, am Sonntag wird gewechselt. "Es ist gut, dass man nur in seiner Gruppe kämpft und die Zeiten aus der anderen Gruppe keinen Einfluss haben", sagt Dev Gore (Rosberg-Audi), der in Imola durch Safety-Car-Glück und eine tadellose Performance seinen ersten Podestplatz und überhaupt seine ersten Punkte in der DTM erzielte.

Brennpunkt 4: Das Wetter

Am Samstag und Sonntag wird es traditionell heiß am Norisring: Sonnenschein pur und bis zu 30 Grad sind vorhergesagt. Am Freitag während der einzigen Freien Trainings könnte es allerdings regnen, Höchstwerte von 20 Grad werden erwartet. Heißt: Bei nassen Bedingungen gesammelte Daten sind praktisch für die Tonne! Das könnte sich besonders auf Teams und Fahrer auswirken, die keine oder wenig Erfahrung auf dem 2,3 Kilometer langen Stadtkurs mit all seinen Tücken aufweisen.

So wie das Lamborghini-Team GRT, das mit Mirko Bortolotti als Meisterschaftszweitem anreist. Teamchef Gottfried Grasser: "Wir haben auf dem Norisring keinerlei Erfahrung und müssen uns in der Vorbereitung mit dem besonderen Charakter des Kurses beschäftigen, um den Lamborghini Huracan GT3 EVO optimal darauf abzustimmen. Es kommt mit dem Stop-and-Go-Layout auf gute Traktion und Stabilität auf der Bremse an."

Mit Lamborghini-Werksfahrer Franck Perera, der kurzfristig den erkrankten Rolf Ineichen ersetzt, steht zumindest ein Fahrer mit Norisring-Erfahrung (F3 Euro Series 2004 und 2005) im Aufgebot des österreichischen Rennstalls.

Ähnlich sieht es bei Schubert-BMW aus, wobei das Team auf die Erfahrungen von DTM-Spitzenreiter Sheldon van der Linde und Teamkollege Philipp Eng zurückgreifen kann. "Der Norisring ist für uns die große Unbekannte im Kalender", sagt Teammanager Marcel Schmidt. "Für uns werden die Trainings am Freitag enorm wichtig sein, um den BMW M4 GT3 auf diese Aufgabe abzustimmen."

Brennpunkt 5: Stören Klima-Aktivisten den Ablauf?

Klimaaktivisten der Gruppierung 'Extinction Rebellion' hatten im Vorfeld des Norisring-Wochenendes eine Absage des Rennens gefordert und sich mit einem offenen Brief (u.a. "immer kritischer werdende Klimakrise") an Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König gewandt.

Eine Absage des bei Fans beliebten DTM-Events auf dem Norisring ist kein Thema. Laut Nürnberger Nachrichten plant 'Extinction Rebellion' am Sonntag, 03. Juli, also dem zweiten Renntag, eine Mahnwache am und eine Rad-Demo um den Norisring, während einer Rennpause laut dem Bericht sogar womöglich auf der Rennstrecke.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Mitglieder von 'Extinction Rebellion' den Ablauf einer Motorsport-Veranstaltung stören. 2020 hatten sich einige Personen beim Formel-1-Rennen in Silverstone unerlaubt Zugang zur Strecke verschafft und ein Plakat während der Einführungsrunde an der Streckenbegrenzung aufgehängt. 2021 riefen die Aktivisten zu einer Fahrrad-Demo während des Zandvoort-Rennens auf.

Am Rande der IAA Mobility 2021 in München - die ganz im Zeichen der Elektromobilität stand - legten Mitglieder von 'Extinction Rebellion' mit ihren Protesten zeitweise den Verkehr rund um die Stadt lahm, blockierten Autobahnen mit in der Öffentlichkeit viel diskutierten Abseilaktionen und sorgten für einen Großeinsatz der Sicherheitskräfte.

Brennpunkt 6: Game-Changer für Porsche?

Porsche erlebt ein schwieriges Debütjahr in der DTM mit seinen beiden Kundenteams SSR Performance und KÜS Team Bernhard - obwohl die drei 911er im Starterfeld längst an der Leistungsgrenze der Balance of Performance angelangt sind und mit 1.275 Kilogramm das Mindestgewicht fahren. Porsche ist die einzige der sechs Marken in der DTM, die noch keinen Podestplatz erzielen konnte.

Zuletzt in Imola sorgte Porsche-Werksfahrer Thomas Preining (KÜS Team Bernhard) mit Startplatz drei und P4 im Samstagsrennen für ein Ausrufezeichen - ansonsten gab es kaum Highlights. SSR-Pilot Laurens Vanthoor punktete in den ersten vier Rennen, kommt mit 18 Zählern aber nicht über Platz 14 in der Gesamtwertung als bestplatzierter der drei 911er-Piloten hinaus. An einem DTM-Einstieg interessierte Porsche-Kundenteams werden sich die kommenden Rennen ganz genau anschauen...

Vanthoor-Teamkollege Dennis Olsen hofft beim Heimspiel des Münchner Rennstalls SSR Performance auf die Eigenheiten des Norisrings, der den Stärken des Porsche 911 GT3 R entgegenkommen könnte: "Der Stadtkurs kann ein Game-Changer sein - es gibt enge Kurven und das sollte unserem Auto liegen. Ich hoffe natürlich, dass wir eine starke Performance abliefern können. Wir glauben weiterhin an unser Team und werden pushen."

Brennpunkt 7: Der Ferrari-Pechvogel

Felipe Fraga ist nichts anderes als der große Seuchenvogel der bisherigen DTM-Saison 2022. Der Brasilianer von AF-Corse-Ferrari überraschte immer wieder mit starken Qualifying-Resultaten - viermal qualifizierte er sich in den Top-5 - doch in den Rennen ging mit Ausnahme eines Podestplatzes in Portimao kaum etwas. Mehrfach wurde der DTM-Rookie abgeschossen oder fiel wegen Reifenschäden aus. Am Lausitzring fackelte sogar sein Ferrari 488 GT3 im Qualifying ab - Fraga erhielt ein neuaufgebautes Modell.

"Jedes Mal, wenn wir einen guten Job im Qualifying machen, passiert etwas im Rennen, das ist sehr frustrierend", sagte Fraga in Imola zu Motorsport-Magazin.com: "Ich habe es satt zu sagen, dass beim nächsten Rennen alles besser wird. Das fühlt sich schrecklich an." Immerhin: Beim IMSA-Rennen in Watkins Glen am vergangenen Wochenende feierte er einen Klassensieg in der LMP3-Kategorie.

AF-Corse-Teamkollege Nick Cassidy, der den Saisonauftakt sowie das Norisring-Wochenende wegen Überschneidungen mit der Formel E verpasst, sammelte in seinen vier Rennen erst drei Punkte - Fraga hat 22 Zähler auf dem Konto. In Nürnberg erhält er mit Cassidy-Ersatz Ayhancan 'Can' Güven einen neuen Teamkollegen, der aktuell im ADAC GT Masters für Furore sorgt und im Joos-Porsche den zweiten Platz in der Meisterschaft belegt.