Kann das noch Zufall sein? DTM-Spitzenreiter Kelvin van der Linde hat innerhalb nur eines Monats dreimal in drei unterschiedlichen Audi R8 LMS GT3 das gleiche technische Problem erlitten - und bei zwei Gelegenheiten in der DTM sowie beim berühmten 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps möglicherweise den Sieg verloren.

Beim fünften Saisonrennen der GT World Challenge in Misano (04.07.2021 mit einem WRT-Audi), beim Sonntagsrennen der DTM auf dem Lausitzring (25.07.2021 mit einem Abt-Audi) sowie beim 24h-Rennen auf dem belgischen Traditionskurs (31.07.2021 mit einem Audi R8 LMS des Werksteams Audi Sport customer Racing) verlor van der Linde im laufenden Rennbetrieb plötzlich den Vortrieb und musste seinen Audi jeweils neustarten.

Audi-Leiter erklärt: Datenmenge reduziert

Das Phänomen rund um den GT3-erfahrenen Südafrikaner konnten sich die Verantwortlichen erst nicht erklären. "Wir sind zunächst von einem Hard- oder Softwareproblem ausgegangen, konnten für den Moment aber nichts ausfindig machen", erklärte Chris Reinke, Leiter Audi Sport customer racing, im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com.

Und weiter: "Auffällig war allerdings die hohe Last, die der Zentralprozessor CPU (Central Processing Unit) gefahren hat. Wir haben daraufhin die Datenmenge reduziert, indem wir alte Datenstände, die nicht mehr benötigt werden, eliminiert haben." Zur Erklärung: Die als 'Gehirn' des Computers fungierende CPU ist die zentrale Recheneinheit im Computer, die alle Rechen- und Steueroperationen übernimmt.

"Wir glauben, dass es dieses Problem gewesen ist", vermutete Reinke vor dem Beginn des vierten Rennwochenendes der DTM-Saison 2021 auf dem Nürburgring (20.-22. August). Van der Linde reist als Gesamtführender in der Meisterschaft mit seinem Audi-Kundenteam Team Abt Sportsline in die Eifel. Der Rennstall aus Kempten setzt in der DTM drei Audi R8 LMS GT3 für van der Linde, den früheren DTM-Champion Mike Rockenfeller sowie Sophia Flörsch ein, die wegen einer Terminüberschneidung mit den 24 Stunden von Le Mans durch Audi-Ass Markus Winkelhock ersetzt wird.

Van der Linde muss hoffen, dass ihn das Motoren-Phänomen nicht noch einmal ereilt. Zuletzt in Zolder blieb er verschont und errang seinen zweiten Start/Ziel-Sieg nach dem Auftakterfolg in Monza.

Van der Linde: Kritischer Moment am Lausitzring

Kritisch war es davor vor allem beim DTM-Wochenende auf dem Lausitzring, wo ihm in Führung liegend ausgerechnet in der schnellen und überhöhten Turn-1-Kurve plötzlich die Leistung ausging. Van der Linde im Glück: Weil sein Wagen in der schnellen Ecke, in der GT3-Autos bis zu 240 km/h erreichen, noch rollte, verlor er durch den eiligen Reset 'nur' zwei Positionen.

"Mitten in der Ovalkurve hatte ich ohne Vorwarnung abrupt keine Leistung mehr", schilderte der ältere der beiden van-der-Linde-Brüder im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Der Motor ging einfach aus. Eigentlich hatte ich Glück im Unglück. Ich habe die Zündung abgestellt und fünf Sekunden gewartet. Dann habe ich resettet und zum Glück ist das Auto noch gerollt."

Ein vergleichbares Problem ereilte den 25-Jährigen schon zwei Wochen zuvor bei seinem Einsatz für das frühere DTM-Team WRT bei der GT World Challenge in Misano. Auf Platz zehn liegend hatte van der Linde in der letzten Runde die ECU resetten müssen und das Rennen nur auf dem 23. Rang beendet. Ein ähnliches Schicksal hätte ihm wohl auch in der Lausitz geblüht, hätte er nicht auf seine Vor-Erfahrung bauen können.

DTM-Wahnsinn am Lausitzring: Van der Linde stoppt in Ovalkurve! (03:22 Min.)

24h Spa: Vorerfahrung hilft van der Linde

Der Vorfall in Spa nur sechs Tage nach dem Lausitzring-Problem musste van der Linde schon fast wie Routine vorgekommen sein. In der ersten Rennstunde verlor van der Linde ausgangs der Kurve La Source einmal mehr den Vortrieb. Laut WRT-Sportdirektor Kurt Mollekens sei es ein glücklicher Umstand gewesen, dass van der Linde zu diesem Zeitpunkt den Audi R8 steuerte.

"Immerhin konnte er auf seine Erfahrung mit dieser Sache zurückgreifen", so Mollekens. "Das hat ihm am Lausitzring und auch hier gerettet. Wir haben einen Kontrollraum und Audi-Ingenieure, die ihn hätten anleiten können, wenn er ein unerfahrener Pilot gewesen wäre. Aber es war gut, dass er im Auto saß."

In Spa fehlte dem WRT-Trio, das unter anderem mit van der Linde von Position 54 gestartet war, nach 556 Runden (3.894,224 km) lediglich 3.978 Sekunden. Entsprechend groß war vor allem der Frust beim Südafrikaner, der nicht glauben wollte, dass er nun schon zum dritten Mal 'Opfer' eines technischen Problems geworden war.

Kelvin van der Linde: Beeindruckendes Debüt in der DTM, Foto: LAT Images
Kelvin van der Linde: Beeindruckendes Debüt in der DTM, Foto: LAT Images

Van der Linde: Das nervt unheimlich

"Die Boxenstopps und die Strategie haben gepasst. Das Team hat alles zusammengebracht. Wir können zufrieden sein, weil wir aus der drittletzten Startreihe noch auf Platz zwei nach vorne gefahren sind", sagte van der Linde nach dem Rennen zu Motorsport-Magazin.com.

Das Wort "sehr" vor "zufrieden" hat der DTM-Spitzenreiter bewusst unterschlagen, denn er haderte erneut mit dem Technik-Pech: "Dieses Problem verfolgt mich fast schon auf Schritt und Tritt und nervt unheimlich. Hoffentlich hat das Trauma bald ein Ende..."

Nächste DTM-Station: Nürburgring

Diese Hoffnung könnte sich schon am kommenden Wochenende erfüllen, wenn van der Linde im ABT-Audi R8 LMS auf dem Sprintkurs des Nürburgrings an seine gute Ausgangsposition denkt. "Wenn man die Tabelle anführt, hat man am meisten zu verlieren. Mein Ziel ist ein Platz unter den Top fünf", schätzte er in einer DTM-Telefonkonferenz seine Erfolgsaussichten ein.

Mit denen könnte er womöglich auch den inoffiziellen Titel 'Halbzeit-Meister' der DTM 2021 in Anspruch nehmen. Van der Linde: "Das ist allenfalls schön für ein Instagram-Post am Sonntagabend, aber mehr auch nicht. Wer erinnert sich schließlich noch daran, wer letztes Jahr Halbzeitmeister war?"