Der nächtliche Highspeed-Unfall zwischen Robert Kubica im #83 AF-Corse-Ferrari 499 P und Dries Vanthoors #15 BMW M Hybrid V8 zählte zu den größten Aufregern bei den 24 Stunden von Le Mans 2024. Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen: BMW-Werksfahrer Vanthoor unterstellt dem polnischen Ex-Formel-1-Fahrer eine Absicht dahinter, wie er im gemeinsamen Podcast 'Over The Limit' mit seinem älteren Bruder Laurens vermutet.

"Ich persönlich denke, er hat es mit Absicht gemacht", mutmaßte Dries Vanthoor in der am Dienstagabend veröffentlichten Folge. "Wie er sich verteidigt hat, war falsch. Wie er sich nach dem Crash nicht um mich kümmerte, keinen Respekt zeigte, einfach menschlich mir gegenüber war, zeigte mir, dass es Absicht war."

Die Absichts-Vermutung nach dem Unfall, in dessen Folge Vanthoors BMW einen Totalschaden erlitt und er selbst ins Medical Center zum Routine-Check eingeliefert wurde, wiederholte er in dem rund einstündigen Podcast mehrfach. Der Belgier über Kubica: "Er hat sich nicht mal den Aufwand gemacht, eine Nachricht zu schreiben, oder wissen zu wollen, wie es mir geht. Wenn ich einen Crash mit jemandem hätte und wüsste, dass er verletzt ist oder ins Medical Center muss, dann wäre ich einfach respektvoll."

Wäre es im Nachgang des Unfalls bei knapp 300 km/h am Ende der Hunaidieres-Geraden anders abgelaufen, wäre die Sache laut Vanthoor erledigt gewesen: "Wenn er nach dem Stint zu mir gekommen wäre oder angerufen hätte, um alles zu klären, dann wäre er der netteste Kerl. Dann hätte ich das direkt vergessen. (...) Aber nicht mal das hat er gemacht."

24h Le Mans - Rennen: Unfall von Dries Vanthoor im #15 BMW (01:33 Min.)

Robert Kubica wehrt sich gegen Vanthoor-Vorwürfe

In einem kurzen YouTube-Videoausschnitt des polnischen Senders 'Motowizja' argumentierte Kubica unter anderem: "Ich bin niemand, der mit 300 km/h in ein anderes Auto lenken würde, wenn er das Rennen anführt, noch 18 Stunden zu fahren sind und riskieren würde, dass ich in den Leitplanken enden könnte." Das vollständige Interview mit Kubica soll am Donnerstagabend erscheinen.

Vanthoor kündigte an, bei nächster Gelegenheit das Gespräch mit der Rennleitung suchen zu wollen. Nicht, um Kubica eine nachträgliche Strafe anhängen zu wollen, sondern, um das Strafmaß zu verstehen. Die Unfall-Strafe für den Ferrari-Piloten - eine 30-Sekunden-Stop-And-Go-Strafe, die rund 1:15 Minuten Zeit kostete - bezeichnete Vanthoor als "ein bisschen einen Witz, nicht nur für mich, sondern auch für andere. Es ist mir wichtig, dass sich da etwas verbessert".

Vanthoor verließ das Medial Center nach der Routine-Untersuchung laut eigener Aussage mit leichten Kopfschmerzen und "etwas Kleinem" an seinem Fuß. Im Nachgang sei er in den sozialen Medien von Kubica-Anhängern angegangen worden, was Vanthoor so beschrieb: "Ich erhielt viel Hass von seinen Fans. Das ist nicht schön, aber ich verstehe, dass sie ihn unterstützen. Aber die verstehen das Gesamtbild des Motorsports nicht."

Dries Vanthoor verteidigt sich trotz blauer Flaggen

Auch über dieses "Gesamtbild" sprechen die Vanthoor-Brüder ausführlich miteinander. Unterm Strich geht es darum, dass Dries während seiner Outlap (Runde 103) mit kalten Slick-Reifen gegen den zu diesem Zeitpunkt Gesamtführenden Kubica verteidigte, um nicht aus der Führungsrunde zu geraten. Er habe von seinem WRT-BMW-Team die Ansage bekommen, es sei "entscheidend, das andere Auto hinter mir zu halten".

Schon bei der Boxenausfahrt und auch auf den folgenden Kilometern wurden Vanthoor mehrfach blaue Flaggen per LED-Licht am Streckenrand signalisiert, wie es üblich ist bei Fahrzeugen, die vor einer Überrundung stehen. Vanthoor kämpfte allerdings weiter gegen den mit Lichthupe drängelnden Kubica und wollte laut eigenen Angaben auch einen Ford Mustang GT3 zwischen sich und dem Ferrari positionieren, um sich etwas Luft zu verschaffen.

"Ich weiß, dass Dries gesagt wurde, er solle in der Führungsrunde bleiben", sagte Kubica, der fehlenden Respekt im Langstrecken-Sport bemängelte. "Andererseits: Wenn mein Ingenieur mir sagen würde, dass ich aus dem 8. Stock springen soll, würde ich das nicht machen. Es sieht aber danach aus, als ob andere Fahrer so etwas tun würden."

#83 AF Corse Ferrari mit Kubica, Shwartzman, Ye
Robert Kubica im gelben AF-Corse-Ferrari 499 P bei den 24h Le Mans, Foto: LAT Images

Vanthoor: "Er hat sich entschieden, es gefährlicher zu machen"

Zum Ende der rund 6 Kilometer langen Hunaidieres-Geraden lief das Hypercar-Duo dann auf einen GT3-Porsche von Manthey auf, der links am Fahrbahnrand fuhr und seine Linie hielt. Vanthoor aus seiner Sicht: "Ich wollte den Porsche nutzen, um ihn (Kubica) zu verlangsamen. Das hat aber nicht geklappt, weil er einen guten Run hatte. Ich war fair und machte Platz, damit er auch am Porsche vorbeikommt und es nicht zu gefährlich wird. Aber leider denke ich, dass er sich entschieden hat, es gefährlicher zu machen und er drängte mich ab."

Vanthoor weiter: "Er lenkte einfach nach rechts, als ob da niemand wäre, und ich fuhr komplett geradeaus." Die Stewards schilderten die Szene ebenfalls in ihrem Urteil und merkten an, dass Kubica leicht nach rechts gelenkt und den BMW während des Überholvorgangs am linken Vorderrad getroffen habe.

Stewards berücksichtigen Umstände bei Kubica-Strafe

Während der Anhörung habe der Teammanager von AF Corse erklärt, dass sich der BMW auf seiner Outlap befand, eine Runde hinter Kubica lag und laut eigener Meinung keinen Grund gehabt hätte, um die Position zu kämpfen. Vanthoor habe zudem in der Schikane abgekürzt und vor dem Zwischenfall seien ihm blaue Flaggen angezeigt worden.

"Die Rennkommissare erkennen an, dass all dies zutrifft und haben es als mildernde Umstände berücksichtigt", hieß es dazu. "Dennoch ändert es nichts an der Tatsache, dass der Vorfall ein Fehler war, der vollständig durch das Fahrzeug 83 (Kubica) verursacht wurde, das nach rechts zog, während die Fahrzeuge mit sehr hoher Geschwindigkeit unterwegs waren und Fahrzeug 83 sich noch neben Fahrzeug 15 (Vanthoor) befand." Kubica erhielt bekanntermaßen eine 30-Sekunden-Boxenstopp-Strafe sowie zwei FIA-Strafpunkte.

"An der Stelle eine Kollision zu haben, ist sehr gefährlich", sagte BMW-Motorsportchef Andreas Roos zu Motorsport-Magazin.com, ohne öffentlich das Strafmaß beurteilen zu wollen. "Das war ein Unfall mit 280 bis 300 km/h, das Auto ist ein Totalschaden." Kubica konnte die Fahrt fortsetzen und trotz der Strafe später weiter um die Spitze kämpfen, bis ein Antriebsproblem dem #83 Ferrari den technischen K.o. versetzte.

Vanthoor: Erlaubt, aber Regeln nicht vollständig respektiert

Im Podcast wollte Vanthoor nicht einräumen, die blauen Flaggen - aus den Onboards heraus deutlich und mehrfach sichtbar - im intensiven Duell mit Kubica gesehen zu haben. Andernfalls hätte er laut eigener Aussage aber nicht anders gehandelt. Und: "Ich habe die Regeln nicht vollständig respektiert, aber die Regeln besagen: Ich habe zwei Sektoren Zeit, um jemanden vorbeizulassen."

Nach unserem Verständnis ist der 13,626 Kilometer lange Circuit de la Sarthe in nur drei Sektoren unterteilt. Die ersten beiden Sektoren umfassen den Weg von Start/Ziel bis zum Ende der Hunaidieres-Geraden inklusive der beiden Schikanen bis zur Mulsanne-Kurve. Nach Vanthoors Aussage hätte er also regelkonform trotz angezeigter blauer Flaggen rund 8 Kilometer lang Kubica hinter sich halten dürfen.

Was im Detail zur Flaggen-Regelung in der Fahrerbesprechung gesagt wurde, ist öffentlich nicht bekannt. In den Notizen aus den Teammanager- und Fahrer-Briefings ist zu lesen: "Blaue Flaggen (Anhang H ISC Artikel 2.5.5.e) müssen zu jeder Zeit respektiert werden." In diesem Anhang des International Sporting Code (ISC) steht: Wenn blaue Flaggen gezeigt werden, muss der betroffene Fahrer das folgende Auto bei der "frühesten Gelegenheit" vorbeilassen.

Dass Kubica ("Es gibt Meisterschaften, in denen Dries offenbar fährt, wo sich niemand um blaue Flaggen oder die Regeln schert") es sicherlich nicht gefiel, hinter Vanthoors BMW mit dessen kalten Slick-Reifen Zeit zu verlieren, konnten beide Vanthoor-Brüder im Gespräch nachvollziehen. Als diskutabel beschrieb Laurens die Situation, und Dries stimmte ein: "Das ist diskutabel, mir würde das auch nicht gefallen. Man wird verärgert. Das ist aber nie ein Grund, jemanden abzudrängen. So funktioniert Racing nicht. Es geht um den Kontakt und um nichts anderes."