Alter schützt vor Titeln nicht: Gabriele Tarquini wurde bei einer Gala des Automobil-Weltverbandes FIA an diesem Wochenende in Sankt Petersburg als erster Gewinner des neu geschaffenen Tourenwagen-Weltcups (WTCR) geehrt. Das Besondere: Mit dem Erfolg brach der am 2. März 1962 geborene Italiener den von ihm selbst vor neun Jahren aufgestellten Altersrekord als ältester Champion einer FIA-Meisterschaft!

Tarquini reichte am geschichtsträchtigen Datum (18.11.18) und im Alter von 56 Jahren und 261 Tagen im letzten Saisonrennen in Macau ein zehnter Platz, um sich den Titel vor seinem Hyundai-Markenkollegen Yvan Muller zu sichern. Dem Franzosen, der als Vierter ins Ziel kam, fehlten am Ende lediglich vier Punkte (303:306) zum Triumph.

"Dass ich in meinem hohen Alter noch einen Titel gewinne, ist einfach grandios. Man wird ja schließlich nicht jünger", meinte Tarquini gegenüber ‚Motorsport-Magazin.com‘ und mit einem Augenzwinkern.

Die WTCR-Bilanz 2018 des Oldies mit dem BRC Racing Team und mit dem Hyundai i30 N TCR kann sich sehen lassen:

  • Starts: 29
  • Siege: 5
  • Pole Position: 2
  • Schnellste Rennrunden: 5
  • Führungsrunden: 73

Schon einmal war Macau für Gabriele Tarquini ein gutes Pflaster: Im berühmten Spielerparadies vor den Toren Hongkongs genügten dem Seat-Piloten 2009 beim Saisonfinale der Tourenwagen-WM (WTCC) ein zweiter und ein fünfter Platz, um sich auch damals vor seinem französischen Markenkollegen Yvan Muller die WM-Krone zu sichern – mit lediglich vier Punkten Vorsprung.

Mit diesem Erfolg löste Tarquini im Alter von 47 Jahren und 265 Tagen die 1995 verstorbene Formel-1-Legende Juan Manuel Fangio als ältesten FIA-Champion ab. Der Argentinier war 1957 bei seinem fünften und letzten Formel-1-Titel 46 Jahre und 41 Tage alt war.

Im Gegensatz zur Königsklasse, in denen er keine Erfolge erzielte, entwickelte sich Gabriele Tarquini im Tourenwagen zu einer festen Größe. Bereits während seiner Formel-1-Karriere fuhr er 1989 und 1992 in der italienischen Supertourenwagen-Meisterschaft und belegte jeweils den fünften Gesamtrang.

Gabriele Tarquini sicherte sich den ersten WTCR-Titel, Foto: WTCR
Gabriele Tarquini sicherte sich den ersten WTCR-Titel, Foto: WTCR

Über einen Zeitraum von 24 Jahren (1993 bis 2016) gelang dem Italiener mit Ausnahme von 2002 und 2015 in jeder Saison mindestens ein Rennsieg in einer nationalen oder internationalen Tourenwagen-Meisterschaft! Herausragend sind hierbei die Meistertitel in der Britischen Tourenwagen-Meisterschaft (BTCC) 1994, in der Tourenwagen-EM (ETCC) 2003 und in der Tourenwagen-WM 2009. In der WTCC war Tarquini seit dem Comeback der Serie 2005 als Werksfahrer für Alfa Romeo (2005/2006), Seat (2007-2012), Honda (2013-2015) und zuletzt Lada (2016) im Einsatz.

In der Formel 1, in der Tarquini zwischen 1987 und 1995 für die kaum konkurrenzfähigen Teams Osella, Coloni, AGS, Fondmetal und Tyrell insgesamt 38 Rennen fuhr und dabei lediglich einen Punkt holte, hält er zwei unrühmliche Rekorde: Insgesamt 40 Mal konnte er sich im Training nicht für das Rennen qualifizieren, 25 Mal scheiterte Tarquini bereits in der Vorqualifikation für das eigentliche Qualifying.

In einem FIA-Interview erklärt Gabriele Tarquini u.a., warum er in seinem biblischen Alter immer noch auf Punktejagd geht und was er zukünftig plant.

Stimmt es, dass Sie nach dem WM-Titel 2009 geplant hatten, den Helm an den Nagel zu hängen?
"Ich erinnere mich daran, dass ich vor neun Jahren nach dem Titelgewinn in Macau in die Pressekonferenz gegangen bin und überlegt habe, aufzuhören. Was will man mehr erreichen als einen WM-Titel? Es ist wohl der beste Augenblick, um Schluss zu machen. Aber schon auf der Heimreise dachte ich: Warum soll ich aufhören? Ich will Rennen fahren. Ich habe noch das Adrenalin, ich bin nicht langsam, ich bin konkurrenzfähig. Weil SEAT sich aus der WTCC zurückgezogen hat, habe ich entschieden, 2010 mit einem Privatteam anzugreifen. Es war eine schwierige Zeit, aber neun Jahre später habe ich wieder um den Titel gekämpft. Es ist schon merkwürdig, aber teilweise ist das Leben eben merkwürdig."

Wie fühlt es sich an, der erste FIA World Touring Car Cup Champion zu sein?
"Ich wollte unbedingt den Titel in der ersten WTCR-Saison holen, in der ich zu 90 Prozent die Gesamtwertung angeführt habe. Ich muss mich bei Hyundai bedanken, dass sie mir das Vertrauen geschenkt haben und ich für sie fahren durfte. Mein Dank gebührt auch dem BRC Racing Team, den Mechanikern und meinem Teamkollegen Norbert Michelisz. Und Yvan (Muller) möchte ich zu einer super Saison gratulieren, er war ein harter und fairer Gegner. Bedanken möchte ich mich auch bei meiner Familie, meiner Frau, meiner Tochter und meinem Sohn."

Selbst den jüngeren Teamkollegen war Tarquini überlegen, Foto: WTCR
Selbst den jüngeren Teamkollegen war Tarquini überlegen, Foto: WTCR

Haben Sie zu Saisonbeginn erwartet, den Titel gewinnen zu können?
"Ehrlich gesagt habe ich schon geglaubt, um den Titel kämpfen zu können, denn ich wusste, dass wir ein gutes Auto haben würden. Die vier Hyundais waren auf einem Niveau und die Konkurrenz hat sich nicht lumpen lassen. Norbi (Michelisz), Yvan (Muller) und Thed (Björk) sind klasse Rennfahrer. Für mich war klar: Es wird bei 30 Rennen nicht der schnellste Fahrer Champion, sondern der cleverste und glücklichste."

Haben Sie nach dem Ausfall im vorletzten Rennen geglaubt, dass Sie noch eine Chance auf den Titel haben würden?
"Ich habe den Titel auf die harte Tour geholt, indem ich selbst einen Fehler gemacht habe. Dafür kann ich niemandem die Schuld in die Schuhe schieben. Ohne den Fehler im Qualifying wäre es einfacher gewesen, aber so musste ich im zweiten und dritten Rennen von Position 14 starten. Ich wusste aber, dass gerade in Macau immer etwas passieren kann – und so ist es dann ja auch gekommen."

Wo ordnen Sie den FIA WTCR-Titel im Vergleich zu ihrem in der FIA WTCC 2009 ein?
"Ganz oben, weil das Niveau wohl höher war als 2009, als mehr oder weniger nur SEAT-Fahrer die Chance auf die Krone hatten. Diesmal haben viele Fahrer um den Titel gekämpft. Mit der BoP (Balance of Performance) ist man manchmal oben auf und manchmal hinten dran. Es ist für jeden Fahrer verdammt hart, Punkte zu holen."

Ihr Titelgewinn muss doppelt wertvoll sein, weil sie stark in die Entwicklung des Hyundai i30 N TCR eingebunden waren …
"Ich habe mich bei der Vorbereitung sehr ins Zeug gelegt, aber auch Hyundai, die Ingenieure, die Mechaniker und das Team haben hart für den Erfolg gearbeitet. Von Beginn an war alles gut vorbereitet, unser Plan ist aufgegangen. Ich bin sehr stolz auf unsere Leistung."

Wollen Sie ihren Titel 2019 verteidigen?
"Ehrlich gesagt, weiß ich es noch nicht. Eigentlich will ich zur Ruhe kommen, denn ich bin 56 Jahre alt - aber immer noch ziemlich schnell und wahrscheinlich cleverer als zu den Zeiten, in denen ich jünger war. Wenn Hyundai mich fragt, werde ich wohl weitermachen."