Wie wichtig ist Technologie im modernen Motorsport und welche Rolle spielen die Renningenieure im Hinblick auf den Erfolg eines Rennfahrers?
Marco Melandri: Im Rennsport ist es entscheidend, sämtliche Technologiedaten sofort nach jedem Rennen auszuwerten und anhand dieser Verbesserungen für den nächsten Lauf vorzunehmen. Falls du damit erst im Anschluss an die Saison anfängst, wirst du niemals als Erster über die Ziellinie fahren. Die Arbeit der Renningenieure ist also essentiell, nicht nur für Verbesserungen und Entwicklungen vor der Saison, sondern vor allem während der Saison. Doch nicht nur die Arbeit mit den aktuellen technologischen Standards ist wichtig. Die Ingenieure sind permanent dabei, neue und noch effizientere Technologien in das Motorrad zu integrieren.

Elektronische Systeme spielen im Motorsport eine entscheidende und durchaus komplexe Rolle. Wobei helfen diese Ihnen am meisten?
Marco Melandri: Grob gesagt: bei allem, was ein ausgeglichenes Fahrverhalten ermöglicht. Viele Leute denken immer noch, dass mit elektronischen Systemen immer nur die Traktionskontrolle gemeint ist. Dies ist definitiv eine veraltete Denke, denn die Traktionskontrolle verhindert lediglich das Durchdrehen der Reifen bei der Beschleunigung. Die Wahrheit ist jedoch, dass das Managen eines Rennablaufes insgesamt nur aufgrund elektronischer Features am Motorrad möglich ist. Ganz wichtig sind diese in den Bereichen der Energiebereitstellung, des motorenunterstützten Bremsens, sowie bei Schaltvorgängen. Manchmal ist es sogar möglich, Probleme am Chassis mit Hilfe elektronischer Systeme zu lösen. Auf Superbike-Level ist ein Fahren ohne diese Hilfen kaum möglich- zumindest aus meiner Sicht.

Manche behaupten, die elektronischen Hilfen machen das Fahren für die Piloten zu einfach. Wie sehen Sie das?
Marco Melandri: Ich bin da definitiv anderer Meinung. Hauptsächlich ermöglichen diese elektronischen Hilfen den Fahrern, sich an neue Maschinen schneller und leichter zu gewöhnen. Durch die ständigen Optimierungen an den Maschinen verändert sich natürlich auch das Fahrverhalten, an das man sich wieder neu anpassen muss. Durch den gesteigerten Einsatz an elektronischen Fahrhilfen musst du zudem alles bis ins kleinste Detail über sie wissen, um sie bestmöglich zu nutzen und umzusetzen - und das ist wirklich ein herausfordernder und zeitraubender Job.

Ist der Fortschritt im Bereich der elektronischen Hilfen ein Beweis für das hervorragende Niveau der Sicherheitsstandards?
Marco Melandri: Absolut. Neben höheren Geschwindigkeiten wurden die elektronischen Systeme vor allem deshalb eingeführt, um einen höheren Sicherheitsstandard zu gewährleisten. Ich erinnere mich an viele Situationen, in denen ich über dem Limit war und nur noch auf den Crash gewartet habe - jedoch haben die Hilfssysteme sofort die Situation realisiert und quasi eingegriffen, was es mir ermöglichte, das Motorrad noch abzufangen.

Welche zukünftigen technischen Neuerungen könnten Sie sich als Fahrer vorstellen?
Marco Melandri: Ich glaube, dass die Entwicklung elektronischer Hilfen nahezu am Limit ist. Andererseits haben wir es schon oft erlebt, dass quasi unvorhergesehen Entwicklungsschübe eingetreten sind und nahezu ungeahnt neue Technologien eingeführt wurden. Vor zehn Jahren hätte ich mir viele der Technologien von heute einfach nicht vorstellen können. Vor diesem Hintergrund freue ich mich jetzt schon darauf, herauszufinden, was die kommenden zehn Jahre an technologischen Innovationen bringen werden.