Eigentlich war am Sonntag alles für eine große Francesco-Bagnaia-Party angerichtet. Der Lokalmatador, der das bisherige Rennwochenende in Misano bestimmt hatte, überstand die Startphase des Hauptrennens diesmal schadlos und führte im Emilia-Romagna-Grand-Prix nach den ersten Kurven noch. Ducatis 100. MotoGP-Sieg in Bagnaias 100. MotoGP-Start schien eingetütet. Doch wer nun damit rechnete, dass der Italiener vor heimischen Fans einfach in der Ferne verschwinden und zu einem ungefährdeten Triumph stürmen würde, wurde massiv getäuscht.
Denn Bagnaia konnte sich nicht absetzen, im Gegenteil: Er geriet stattdessen sofort wieder unter Druck von WM-Rivale Jorge Martin. Dieser probierte es im dritten Umlauf erstmals, eine Runde später konnte er das Überholmanöver dann komplettieren. Enea Bastianini drückte sich nur eine Umrundung des Misano World Circuits später ebenfalls vorbei. Ein Konter Bagnaias folgte nicht, vielmehr viel er immer weiter ab. Zu Beginn des 14. Umlaufs fehlten schon 3,5 Sekunden auf den Führenden Martin. Dann konnte der Titelverteidiger das Tempo plötzlich steigern und nochmal heranfahren, doch dann das endgültige Desaster: Sieben Runden vor Schluss landete Bagnaia in Turn 8 plötzlich im Kiesbett, nachdem ihm Front beim Anbremsen eingeklappt war.
Francesco Bagnaia rätselt über Crash: Eigentlich unmöglich zu Stürzen
Nicht nur auf den TV-Bildern ein überraschender und merkwürdiger Abflug. "Ich weiß nicht, was heute normal war. Von heute Morgen an war alles komisch. Ich hatte 32 Grad Reifentemperatur. Damit kannst du im Trockenen normalerweise nicht stürzen. Ich habe nicht hart gebremst, sondern sogar 18 Meter früher als in meiner schnellsten Runde. Trotzdem habe ich die Front verloren, als wäre ich über eine Bodenwelle gefahren, die es da aber gar nicht gibt. Sehr merkwürdig, aber das war seit dem Start so", rätselte der 27-jährige Turiner am Sonntagabend in seiner Medienrunde.
Anschließend verriet er, warum in der ersten Rennhälfte nichts zusammenlief: "Ich habe das Heck schon während der Warm-Up-Lap in der letzten Kurve verloren, dann wieder in der ersten Kurve, in Turn 13 und T14 auch wieder. Ich habe hart gepusht und bin 1:31.7er-Zeiten gefahren." Damit war Bagnaia im Schnitt zwei bis drei Zehntel langsamer als das Führungsduo, die Vermutung eines defekten Hinterreifens liegt nahe. Er habe sich stark an das Gefühl aus dem Katalonien GP 2023 erinnert, als er in Kurve zwei per Highsider abgeworfen wurde, bestätigte Bagnaia diese Vermutung.
Doch eine Sache war anders als üblich, denn ab Runde 15 lief es plötzlich. "Dann konnte ich meine Rundenzeit vom einen auf den anderen Moment um sechs bis sieben Zehntel reduzieren, ohne irgendetwas anders zu machen", wundert sich der Ducati-Star und rätselt: "Ich habe noch nie gehört, dass sich Fahrer darüber beschwert haben, dass ihr Hinterreifen erst nach 15 Runden angefangen hat, zu funktionieren. Das ist etwas Neues für alle. Ich kann euch nichts dazu sagen, weil wir einfach nicht wissen, was passiert ist."
Francesco Bagnaia: WM wird durch Michelin zum Glücksspiel
Mit "wir" meint Bagnaia an dieser Stelle auch MotoGP-Einheitsreifenlieferant Michelin, der sich damit einmal mehr im Zentrum eines Reifendramas wiederfindet. "Ich weiß zu 100 Prozent, dass Michelin nicht weiß, was passiert ist", flucht er und meint: "Das ist ein Problem, denn sie wollen uns zwar jedes Mal die gleichen Chancen geben, aus irgendeinem Grund funktioniert es manchmal aber nicht. Das ist schade, weil ich zuvor ein perfektes Wochenende hatte. Ich habe mich körperlich gut gefühlt und konnte pushen, alles war vorbereitet. Ich habe nach dem Start geführt, musste dann aber Tempo rausnehmen, weil die Reifen nicht bereit waren."
Ein herber Rückschlag im Titelkampf, liegt Bagnaia in der Fahrer-WM doch nun wieder ganze 24 Punkte hinter Jorge Martin. Die Weltmeisterschaft werde dadurch zu einer Art 'Glücksspiel' [Originallaut: "This is problem that's making the championship not balanced", Anm.], kommentiert der zweimalige MotoGP-Champion, was einer Rennserie von diesem Format natürlich nicht gerecht wird. "Ich bin in den letzten zwei Grand Prix zweimal in eine Situation geraten, die ich selbst nicht beeinflussen konnte", hadert Bagnaia. "Ich habe in den zwei Misano-Events nur fünf Punkte verloren, es hätte aber auch viel besser sein können. Die Möglichkeit, hier als WM-Leader abzureisen, war sehr groß. Aber ich habe die Chance dazu nicht bekommen."
Immerhin: Dank des späten Sieges von Teamkollege Enea Bastianini verlor der Titelverteidiger 'nur' 20 Punkte auf Martin und keine 25 Zähler. Mit dem kontroversen Überholmanöver der 'Bestie' hatte Bagnaia - anders als sein WM-Rivale - derweil kein Problem. "Ich denke, dass das ein normales Rennmanöver war", kommentierte er und erinnert: "Das ist nichts anderes, wie es Jorge in der Vergangenheit schon mit mir gemacht hat, letzte Saison in Katar oder Indien zum Beispiel."
Wie Jorge Martin selbst den Zwischenfall einordnete, erfahrt ihr hier:
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