Honda steckt tief in der Krise. Daher gab es große Erwartungen an den neuen Prototypen für die MotoGP-Saison 2024, der in Misano nach dem Rennwochenende getestet wurde. Marc Marquez zeigte sich jedoch enttäuscht vom neuen Bike. Diesem Fazit stimmen aber offenbar nicht alle seiner Fahrerkollegen beim japanischen Werk zu. Vor dem Indien GP wurde so etwas wie eine Lagerbildung bei der Frage bekannt, ob der 2024er Prototyp sogar schon 2023 zum Renneinsatz gebracht werden sollte.

"Im Test stand es zwei gegen zwei. Taka [Nakagami] und ich haben das alte Bike bevorzugt, Stefan [Bradl] und Joan [Mir] hingegen das neue" berichtete Marc Marquez über das unterschiedliche Feedback der Honda-Fahrer nach Misano. Teamkollege Joan Mir bestätigte die Aussage: "Der Prototyp aus dem Test in Misano war etwas besser als das Paket, das wir im Rennen gefahren sind."

Faktor Körpergröße entscheidend für Joan Mir

Schnell wurde jedoch klar, warum das Fazit so unterschiedlich ausfiel. Mir erklärte, was ihm gefiel: "Im Test war ich etwas optimistischer, weil ich komfortabler fahren konnte. Wenn du dich wohler fühlst, besonders mit gebrauchten Reifen, dann spürst du einen Unterschied und meine Pace wurde besser." Und er fügte hinzu, warum dies so war: "Für meine Körpergröße ist es komfortabler. Das bedeutet immer einen Schritt nach vorne." Der 26-Jährige gehört mit seinen 1,81 Metern zu den größten Fahrern im Feld. Für seinen zwölf Zentimeter kleiner gewachsenen Teamkollegen Marquez sah die Lage logischerweise anders aus: "Beim Test in Misano habe ich schon Unterschiede gespürt. Die Position auf dem Bike ist anders, aber die Leistung und Rundenzeit war es nicht."

Dazu warnte der sechsfache MotoGP-Weltmeister vor falschen Schlüssen: "Du fährst ganz anders bei einem Test. Da kannst du den ganzen Gummi auf der Strecke nutzen." Mir konnte dieses Argument nicht von der Hand weisen: "Es stimmt, dass der Test in Misano immer etwas schwierig zu bewerten ist, weil manchmal der fantastische Grip die Probleme verschleiert. Da funktioniert jedes Bike gut." Dennoch war er von seinem Gefühl überzeugt: "Wir haben einen Vergleichstest gefahren und ich sah Verbesserungen und Potential in diesem Bike."

Joan Mir beim Misano-Test
Joan Mir fühlte sich wohl auf der neuen Honda, Foto: LAT Images

Mir will neues Honda-Bike, Marquez nur mit großen Fortschritten zufrieden

Daher forderte der Weltmeister von 2020, dass das neue Bike so schnell wie möglich zum Renneinsatz kommen sollte: "Es ist schade, dass wir es nicht bereits hier in Indien haben, aber ich hoffe in Japan [29.9 bis 1.10] darauf. Wenn ich ein paar Runden mehr fahren kann, dann verstehe ich, ob es in die richtige Richtung geht. Es wäre sehr hilfreich für Honda." Marquez hingegen sah darin keinen Zweck: "Es gibt ein paar interessante Aspekte daran, aber insgesamt war die Leistungsfähigkeit dieselbe oder sogar etwas schlechter. Also werde ich weiter mit dem Bike fahren, das ich kenne. Wenn ich Dinge testen soll, die für die Zukunft sind, werde ich das machen, aber im Moment fokussiere ich mich auf das, was ich habe." Einen Renneinsatz noch in der Saison 2023 schloss er für sich aus: "Ich kann nicht für die anderen Fahrer sprechen, aber bei mir lautet die Antwort: Nein"

Für den MotoGP-Star braucht Honda nicht kleine Schrittchen, sondern einen großen Sprung nach vorne: "Ich würde das neue Bike nehmen, wenn wir oben in der Zeitenliste wären. Aber das ist momentan nicht der Fall. Es ist nicht gut genug, um nächstes Jahr um Spitzenpositionen zu kämpfen. Es kann schon etwas besser sein, aber wir brauchen nicht eine Zehntel. Wir müssen sechs bis sieben Zehntel pro Runde finden. Für mich macht es keinen Unterschied, wenn ein Bike eine Zehntel schneller oder langsamer ist. Wir brauchen viel mehr, das ist mein Standpunkt." In dieser Hinsicht musste Mir seinem Teamkollegen zustimmen: "Obwohl es ein Schritt nach vorne ist, ist es nicht das Bike, das ich nächstes Jahr haben will. Selbst der Motor war noch derselbe, da erwarte ich einen Fortschritt beim Valencia-Test." Honda steht also immer noch eine Menge Arbeit bevor.