Die ersten Wogen nach dem überraschenden Abgang von Maverick Vinales haben sich geglättet und bei Yamaha wird fieberhaft nach einer Besetzung für das vakante MotoGP-Bike für 2022 gesucht. Das "Beben von Assen" bietet dem japanischen Hersteller eine große Chance, dient im besten Fall sogar als Augenöffner für die Ausrichtung der künftigen MotoGP-Strategie. Eine Chance, die Yamaha nicht einfach so verstreichen lassen sollte.

MotoGP-Talk: Warum warf Maverick Vinales bei Yamaha hin?: (37:56 Min.)

Am 22. Juni erschien der Kommentar "Ist Yamaha noch ganz bei Trost?" hier bei Motorsport-Magazin.com in Reaktion auf einige strategische und operative Vorgänge im Team der vorangegangenen Wochen. Neben der unverständlichen Strategie bezüglich des Testteams wurde darin vor allem der Umgang mit den eigenen Fahrern und dem Kundenteam kritisiert. Dass es der meistgelesene Artikel der zweiten Junihälfte war, zeigt, dass wir mit unserer Kritik in ein Wespennest gestochen hatten.

Einige der damaligen Kritikpunkte könnte Yamaha in der Sommerpause aufgrund des Vinales-Abschieds aus dem Weg räumen. Da wäre zunächst einmal die mangelnde Wertschätzung für die Leistungen des amtierenden Vizeweltmeisters Franco Morbidelli. Auf die Frage nach dem direkten Nachfolger für Vinales im Werksteam darf eigentlich nur sein Name als Antwort fallen. Alles andere wäre eine völlige Verhöhnung des dreifachen GP-Siegers.

Morbidelli befördern - jetzt!

Dass Yamaha zuletzt bei Miguel Oliveira bezüglich dessen Verfügbarkeit für 2022 angefragt hat, lässt aber bereits Böses erahnen und legt vor allem die Frage nahe: Bei wem haben die Japaner noch angeklingelt? Morbidelli ist zwar direkt beim Petronas-Team angestellt, doch da diese beiden Parteien ohnehin miteinander weitermachen wollen, sollte sich eine Lösung finden lassen. Es gab bereits im Vorjahr ohnehin Gerüchte über eine Ausstiegsklausel für den Fall, dass ein Werksteam anklopft.

Offiziell unterzeichnet ist bislang aber weder die Beförderung Morbidellis, noch die Kooperation zwischen Yamaha und Petronas über 2021 hinaus. In den Verhandlungen wäre der japanische Hersteller gut beraten, seinem malaysischen Partner Zugeständnisse zu machen. Greift Yamaha Petronas hier nicht unter die Arme, läuft man Gefahr, dass die Malaysier für 2022 mit begrenzten Mitteln ihr eigenes Ding durchziehen.

Dass Privatteams ihre Fahrer selbst verpflichten, ist mittlerweile sogar unüblich geworden. Team-Direktor Johan Stigefelt ließ bereits anklingen, dass man auch mit Xavi Vierge und Jake Dixon im MotoGP-Team zufrieden wäre, da man beide seit dem Vorjahr aus der Moto2 kennt. Doch um ganz ehrlich zu sein: Weder eine MotoGP-Teilnahme von Vierge (4 Podestplätze in fünfeinhalb WM-Jahren), noch eine von Jake Dixon (0 Podien in zweieinhalb Jahren) kann wirklich im Sinne von Yamaha sein.

Petronas endlich als Junior-Team platzieren

Hoffnung gibt der Umstand, dass der spontane Einsatz von Garrett Gerloff in Assen so etwas wie ein erster Härtetest war, ob der Texaner das Zeug zum MotoGP-Fahrer hat. Petronas-Team-Manager Wilco Zeelenberg plauderte nach dem Rennwochenende aus, dass Gerloff auf Wunsch von Yamaha die Morbidelli-Maschine übernehmen durfte.

Vielleicht hat Yamaha nun doch die Zeichen der Zeit erkannt und gesehen, dass ein Junior-Team samt enger Bindung seiner Satellitenteams in der modernen MotoGP Sinn macht. Das wäre gemeinsam mit Morbidellis Aufstieg ins Werksteam die zweite wichtige Chance, die man in den Wirren des Vinales-Debakels nutzen sollte.

Denn Quartararo und Morbidelli sind Yamaha zufällig in die Hände gefallen, als die "Diamantsucher" Zeelenberg und Stigefelt sie auf eigene Faust und Kosten ausgegraben haben. Solche Geschenke gibt es wohl nicht jedes Jahrzehnt. Seit Pol Espargaro 2014 hat Yamaha keinen Rookie-Fahrer mehr direkt auf einem Werksvertrag verpflichtet.