Die MotoGP-Weltmeisterschaft zieht die Massen in ihren Bann: Der WM-Lauf am Sachsenring am 31. Juli 2005 wird mit rund 200.000 Fans vermutlich wieder das am besten besuchte Rennen der Saison werden. Nach dem 75-jährigen Jubiläum von Assen und der in Laguna Seca gefeierten Rückkehr des US-Grand Prix wird damit auch die deutsche MotoGP-Runde ein echtes Highlight setzen. Grund genug, auf einige Meilensteine in der über 30-jährigen Historie von Michelin in der Königsklasse zurückzuschauen.

Die großartigen Erfolge von Superstars wie Barry Sheene, Eddie Lawson, Freddie Spencer, Kevin Schwantz, Mick Doohan oder Valentino Rossi sind untrennbar mit dem Reifenspezialisten verbunden. Und da Michelin nicht nur wegen des Gewinnens, sondern wegen der technischen Herausforderung Motorsport betreibt, waren die drei Jahrzehnte Spitzenleistung immer auch von bahnbrechenden Innovationen begleitet: von den ersten Slick-Reifen im GP-Sport über die Einführung der Radial-Technologie bis zu den heutigen MotoGP-Walzen, welche die unbändige Kraft der 250-PS-Bikes sicher auf den Boden bringen und dabei das kontrollierte, aber spektakuläre Sliden ermöglichen.

Als Anfang der 70er Jahre die ersten Motorrad-Rennfahrer den Straßenreifen Michelin PZ auf ihre Grand Prix-Bikes zogen, gingen so manchem Gegner die Augen über: Das Serienprodukt stellte wegen seiner größeren Kontaktfläche so viel mehr Grip zur Verfügung, dass Michelin-Piloten in der Motorrad-Weltmeisterschaft ab sofort einen klaren Vorteil besaßen. Die ersten WM-Titel in der 125-ccm-Klasse durch Kent Andersson (Yamaha, 1974) und Paolo Pileri (Morbidelli, 1975) waren die logische Folge.

Für noch mehr Aufsehen sorgte Michelin mit dem Einstieg in die Königsklasse: Jack Findlay sorgte 1973 auf der Isle of Man nicht nur für den ersten Grand Prix-Sieg des Herstellers, der Australier war es auch, der vor 30 Jahren für Michelin die ersten profillosen Slicks im Rennen einsetzte. Was diese Innovation für die Zukunft des Motorradrennsports bedeuten sollte, erkannten zu diesem Zeitpunkt die Wenigsten – nicht einmal der unvergessene Barry Sheene, dessen Aufstieg eng mit der Einführung der Slicks verbunden ist.

"Dass hier eine Revolution stattfand, war uns anfangs nicht klar. Wir wussten noch nicht, wie wir das Beste aus diesen Reifen herausholen", erinnerte sich der 2003 verstorbene Brite. "Ich weiß noch, dass ich dachte, ‚Wären die mit schönen Rillen nicht viel besser?‘. Von Parametern wie Reifentemperatur und dergleichen hatten wir keinen Schimmer. Aber eines stand bald fest: Hier begann eine neue Ära." Im Jahr darauf schien er die profillosen Reifen schon besser zu verstehen, denn 1976 wurde Barry Sheene auf Suzuki erster 500-ccm-Weltmeister mit Michelin.

Zehn Jahre nach dem ersten Slick: Michelin siegt erstmals mit Radialreifen

Dieser Titel war der Auftakt zu einer wahren Michelin-Dominanz in der Königsklasse: Nach Sheenes zweiter WM-Krone 1977 holten die Italiener Marco Lucchinelli (1981) und Franco Uncini jeweils auf Suzuki-Michelin den 500er-Titel. 1983 schlug erstmals die Stunde von Freddie Spencer, der auf seiner Honda NSR 500 das Zeitalter der US-Amerikaner und Australier in der Königsklasse einläutete.

Spencers zweiter Titelgewinn 1985 ging maßgeblich auf die Einführung des Radialreifen zurück, mit dem Michelin bereits 1983 die WM-Titel in den Klassen 50 ccm (Stefan Dörflinger), 125 ccm (Fausto Gresini) und 250 ccm (Freddie Spencer) gewonnen hatte .1984 holte "Fast Freddie" mit dem neuen Karkassenaufbau den ersten GP-Sieg in der 500er-Kategorie. "Mit dem neuen Radial-Hinterreifen bekamen wir deutlich mehr Grip und das Bike fühlte sich in Highspeed-Kurven erheblich stabiler an", beschreibt Spencer den Unterschied. "Das beeindruckte mich sofort. Sobald wir die hintere Schwinge verstärkt hatten, arbeitete der Radialreifen perfekt. Wir verbrachten dann die erste Hälfte der Saison 1985 mit der Entwicklung des Radial-Vorderreifens, der mich schließlich um zwei Sekunden pro Runde schneller machte. Nie zuvor hatte ich eine solche Stabilität bei hartem Bremsen erlebt." Der Erfolg: 1985 holte "Fast Freddie" sowohl die 250er- als auch die 500er-Krone für Honda und Michelin.

"Die Diagonal-Konstruktionen waren der Leistungsexplosion der aufkommenden ‚Big Bikes´ nicht mehr gewachsen", betont der heute 69-jährige Jack Findlay, der auch maßgeblich an der Entwicklung der Radialreifen für Straßenmotorräder beteiligt war. "Sie brachten bei hohen Geschwindigkeiten Unruhe ins Fahrwerk. Als Michelin den Radialreifen präsentierte, war der gleich ein Riesenerfolg – kein Wunder, denn dieses Ding funktionierte einfach großartig."

Zugleich erlaubten die Radialpneus den Zweitakt-Akrobaten nun das kontrollierte Sliden, das für rund ein Jahrzehnt Markenzeichen und Erfolgsgeheimnis der US-Boys und Australier bleiben sollte. Wie gut Michelin die Technologie im Griff hatte, belegten die folgenden WM-Titel der legendären Big-Bike-Bändiger Eddie Lawson, Wayne Gardner, Wayne Rainey, Kevin Schwantz und Mick Doohan. Gerade den fünfmaligen Weltmeister aus "Down Under" verband eine enge Partnerschaft mit der Mannschaft von Michelin Motorrad-Rennchef Nicolas Goubert: "Kein anderer Hersteller außer Michelin kann dieses hohe Niveau an Konstanz und Qualität bieten", erklärte Doohan, der 1996 auch den 200. Grand Prix-Sieg in der Top-Kategorie für die Franzosen holte.

Neue Herausforderungen durch die Viertakt-Formel

Mit dem Beginn des neuen Jahrtausends begleitete Michelin einen doppelten Wachwechsel in der Motorrad-Königsklasse: Zum einen übernahm nun der begnadete Italiener Valentino Rossi das Zepter in der Königsklasse, zum anderen wurden die giftigen 500-ccm-Zweitakter von den bulligen 990-ccm-Viertakt-Kraftpaketen abgelöst. Schon in ihrer Debütsaison leisteten die MotoGP-Prototypen über 230 PS, heute gelten 250 PS bei den großen Werksteams als Standard. Mit dieser Leistungsexplosion, dem ganz anderen Drehmomentverlauf, aber auch dem erforderlichen Wechsel des Fahrstils kamen auf Michelin völlig neue Herausforderungen zu.

"Als die Viertakter aufkamen, konnten sie den härtesten 500er-Reifen innerhalb von fünf Runden aufreiben", beschreibt Rossi den Unterschied. "Aber Michelin hat genau verstanden, worauf es uns Fahrern bei den neuen Motorrädern ankam und konstruierte für die MotoGP-Bikes eine komplett neue Reifenfamilie." Erstmals in der Fertigung von Motorrad-Rennreifen verwendete Michelin die innovative C3M-Technologie.

Hatte Michelin 2000 und 2001 in den letzten beiden Zweitakter-Jahren den Wechsel von 17- auf 16,5-Zoll-Hinterreifen vollzogen, so stand 2002 der gleiche Schritt am Vorderrad an. Der kleinere Pneu erleichtert durch sein geringeres Gewicht das Handling und beschleunigt das Umlegen der MotoGP-Bikes. Zudem besitzt er eine geringere Massenträgheit, eine etwas größere Kontaktfläche und er vermindert die ungefederte Masse. Wie bei den anderen Innovationen im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte zogen die Wettbewerber auch diesmal nach – wie so oft, ohne die Michelin-Partner in der MotoGP-Weltmeisterschaft ernsthaft herausfordern zu können.

Gewinnen auch bei den bevorstehenden Läufen in Donington und am Sachsenring Partner des erfolgreichsten Reifenherstellers der letzten 30 Jahre, erreicht Michelin bei der deutschen WM-Runde die Schnapszahl von 333 Siegen in der Motorrad-Königsklasse – eine einmalige Bilanz und doch nur ein Zwischenspiel auf dem Weg zu weiteren Triumphen.