In der MotoGP ist es fast wie beim Krieg der Sterne. Es gibt die Guten und die Bösen. Manche werden geliebt, andere bestenfalls geduldet. Verständlich, auch der MotoGP-Fan liebt strahlende Helden und die guten Seiten der Macht. Siehe Marc Marquez. Vor der Spielzeit 2015 war er der einzige, der genannt wurde, wenn es um die Besetzung des Zweiradthrons ging. Bis der ehemalige Herrscher mit der 46 auf der Verkleidung seine kleine Revouotion startete und zwei der ersten drei Rennen gewann. Hurra, ein Kampf der Generationen! Italien gegen Spanien. Yamaha gegen Honda. 46 gegen 93. Rossi gegen Marquez.

Vergessen haben dabei aber fast alle, dass es in einem Königreich manchmal auch andere Entwicklungen geben kann. Logischerweise werden 2013 und 2014 als die Marquez-Jahre in die Geschichtsbücher eingehen, aber dieser Umstand hatte auch ein wenig mit Glück zu tun. Die, die das sehr wohl bemerkt haben, sind die cleveren Entscheidungsträger des Yamaha-Imperiums. Denn es wäre einfach gewesen, die Flinte gegen die Übermacht Honda/Marquez ins Korn zu werfen. Haben sie aber trotz 13 Marquez-Siegen im Jahr 2014 nicht.

Yamaha vertraut seinem Darth Vader

Denn sie scheinen genau zu wissen, warum der von fast allen vergessene Jorge Lorenzo viermaliger Weltmeister ist. Und im Gegensatz zu großen Teilen der MotoGP-Welt glauben sie an ihn, den Mann mit der 99. Klar ist nämlich spätestens seit Le Mans, dass die Rollenverteilung für das MotoGP-Epos 2015 noch einmal überdacht werden sollte. Logischerweise ist der immer lächelnde Marc Marquez Luke Skywalker. Rossi kann zwischen der von allen geliebten Prinzessin Leia oder dem altersweisen Obi-Wan Kenobi wählen. Und Jorge Lorenzo? Für ihn bleibt nur das Kostüm des Bösewichts: also Darth Vader.

Jorge Lorenzo 2015: So fokussiert wie nie zuvor, Foto: Yamaha
Jorge Lorenzo 2015: So fokussiert wie nie zuvor, Foto: Yamaha

Er ist eben nicht Everybody's Darling wie Marc Marquez. Oder ein als Sonnenkönig geborener, wie Il Dottore Rossi. Lorenzo ist Lorenzo. Ein stolzer junger Mann aus Mallorca, der seinen eigenen Weg in der MotoGP geht und immer gegangen ist. So lange er fährt, kann und darf man ihn nicht abschreiben. Das Imperium Yamaha weiß das. Im Kampf gegen die übermächtigen Herrscher aus dem Hause Honda braucht es clevere Strategien, um wieder an die Macht zu kommen.

Honda glaubt - siehe Absage Casey Stoner - es reicht, Marc Marquez mit dem Laserschwert Honda auszustatten, um die MotoGP-Welt zu beherschen. Yamaha hat seine Waffen klüger gewählt. Denn Lin Jarvis und Co wissen, und haben im Gegensatz zu vielen anderen nicht vergessen, dass Jorge Lorenzo 2013 acht, Marc Marquez dagegen nur sechs Rennen gewonnen hat. Bei seinen vielen Stürzen hatte die 93 einfach mehr Glück als die 99, blieb unversehrt. Lorenzo stürzte zweimal und brach sich jeweils das Schlüsselbein. Aber jeder der Jorge nicht mehr auf dem Zettel hatte, scheint Assen 2013 vergessen zu haben. Sturz im freien Training, keine Operationsmöglichkeit in den Niederlanden weil auch für den vierfachen Weltmeister kein Operationssaal zur sofortigen Verfügung stand. Also per Privatflieger nach Barcelona, Blitz-OP, Rückreise. Und dann tatsächlich der Rennstart unter Schmerzen.

Unbändiger Kampfgeist

Jeder der Jorge Lorenzo mangelnde Motivation unterstellt, sollte sich die Bilder nach dem Rennen ins Gedächtnis rufen. Ein heldenhafter fünfter Platz, tränenüberströmt musste Lorenzo von seinem MotoGP-Raumgleiter gehoben werden. Bei Yamaha scheint man analysiert zu haben, dass Lorenzo 2013 Unmenschliches zu leisten versuchte um den neuen König Marc Marquez aufzuhalten. 2014 zahlte Lorenzo dann die Zeche für seine Anstrengungen des Vorjahres. Operationen im Winter, mangelhaftes Training. Der wenig vorteilhafte Hüftgürtel bei den ersten Tests - eines Weltmeisters unwürdig.

Weder mental noch körperlich war Lorenzo 2014 auf normalem Niveau. Oder glaubt irgendjemand, dass ein Blackout-Frühstart wie in Austin einem Lorenzo in Normallform passiert wäre? Natürlich nicht. Trotzdem gewann er noch zwei Rennen - gleich viele wie Rossi. Deshalb glaubt man bei Yamaha an ihn und hat seinen Vertrag verlängert. Lorenzo braucht Vertrauen. Er nimmt auch gerne die Rolle des Bösewichts an, um zurück zu schlagen und damit dann vielleicht auch endlich ein Held der Herzen zu werden. Wie Rossi oder eben Marquez.

Edgar Mielke begleitete Lorenzo sechs Jahre lang, Foto: Ozan Kutay
Edgar Mielke begleitete Lorenzo sechs Jahre lang, Foto: Ozan Kutay

Er hat alles umgestellt: Sein Training, seine Vorbereitung, seine Einstellung. Das Ergebnis: Er ist körperlich fit wie nie und jetzt wieder in der Lage permanent seinen berühmten Hammer auszupacken. Das ist seine Stärke, denn damit kennt er sich aus. Einfach hatte er es nie, für ihn wurde beim Start in die WM nicht das Reglement geändert. Er musste zwei Rennen und einen Trainingsfreitag warten um endlich mit 15 Jahren in die WM einzusteigen. Er musste sich auf Druck seines Managers Daniel Armitrain vom Vater lossagen um weiter um Titel kämpfen zu dürfen.

Und genau von diesem Manager musste er sich dann trennen, als dieser, in Drogengeschichten verwickelt, Lorenzos Haus mit Schusswaffen verunstaltete, nur um weiter Manager zu bleiben. Der junge Mann hat also viel erlebt und gelernt. Über sich selbst und sein Image sagt Lorenzo heute: "Ich war ein ganz schönes Arschloch!" Stimmt. Aber er war in der Lage, das zu ändern mit neuen Beratern und neuem Umfeld. Mit seinem Vater hat er sich ausgesöhnt. Um seinen Ex-Manager hat er sich bemüht, konnte ihm wieder auf die Füße helfen.

Eine Karriere ohne roten Teppich

Kein leichter Weg, kein roter Repsol-Honda-Teppich, um in die MotoGP einzuschweben. Aber sein Weg, der charakterbildend ist. Und das braucht ein Champion. Siehe die ehemalige Feindschaft zu Valentino Rossi: Der forderte nämlich einst eine Trennwand in der Box, um seine Geheimnisse nicht an den jungen Emporkömmling Lorenzo weiter zu geben. Heute im Jahr 2015 möchte Lorenzo zusammen mit Valentino Rossi in der Offseason ein Autorennen fahren. Von einer Trennwand redet bei Yamaha schon lange keiner mehr.

Bei Honda gibt es nur einen Helden namens Marquez. Selbst ein Casey Stoner hat da keine Chance auf die Kronjuwelen. Bei Yamaha dagegen ist es gelungen, ein Team aus zwei Superstars zu bilden. Rossi und Lorenzo jagen Honda und Marquez. Zwei gegen einen. Unfair? Nein. Honda hat es so gewollt. Und am Ende wird es, mit der Stärke der letzten beiden Rennen, König Jorge sein, der den entscheidenden Schlag ausüben wird.

Die nächsten Jahre werden kein langweiliger Durchmarsch von Honda und der Startnummer 93. Danke Yamaha. Danke Valentino Rossi. Danke Jorge Lorenzo. Das Yamaha-Imperium schlägt zurück. Schließlich gibt es in Hollywood vom epischen Krieg der Sterne auch mehrere Teile. Fortsetzung folgt.