Auf dem permanenten IndyCar-Kurs von Portland hatte das Fahrerlager der Formel E im Vorfeld das extremste Rennen des Jahres erwartet - und sollte nicht enttäuscht werden. Das fünftletzte Saisonrennen artete zu einer irrwitzigen Energiespar-Schlacht aus mit Rundenzeitenunterschieden von bis zu 14 (vierzehn) Sekunden!

Um nur einen Eindruck davon zu erhalten, wie langsam der Portland ePrix tatsächlich geführt wurde: Pole-Setter Jake Dennis fuhr in der ersten Runde an der Spitze eine Rundenzeit von 1:25.946 Minuten - das waren lockere 17 (siebzehn) Sekunden langsamer als seine vorangegangene Pole-Zeit (1:08.931).

Auch noch in Runde 4 schlich das Feld nur so über die Strecke, der zwischenzeitlich Führende Norman Nato brachte es auf eine Zeit von 1:19.992 Minuten.

Zwischen den Runden 17 und 19 betrug die Rundendifferenz bis zu 4 Sekunden, bevor der Sprint erst im 22. Umlauf startete: Innerhalb nur einer Runde zog die Pace an der Spitze um ziemlich genau 6 Sekunden an: In Runde 21 brauchte der Führende und spätere Rennsieger Nick Cassidy 1:18.205 Minuten für seine schnellste Runde, und nur einen Umlauf später fuhr der neue Spitzenreiter Antonio Felix da Costa bereits eine 1:12.257!

Beim dritten Saisonsieg von Envision-Pilot Cassidy sicherte sich der Viertplatzierte Mitch Evans (Jaguar, von P20 gestartet) den Extrapunkt für die schnellste Rennrunde mit einer Zeit von 1:11.216 Minuten in Runde 27.

Formel E in Portland: Verlauf der Rundenzeiten

RundeRundenzeit des FührendenFahrer
11:25.946Jake Dennis
21:20.797Jake Dennis
81:16.699Norman Nato
91:19.714Norman Nato
191:21.074Nick Cassidy
201:17.841Nick Cassidy
211:18.205Nick Cassidy
221:12.257Antonio Felix da Costa
321:11.806Nick Cassidy

Formel E feiert sich für 403 Überholmanöver in Portland

Das ausartende Energie-Sparen auf der permanenten Rennstrecke im US-Bundesstaat Oregon führte auf die kaum vorhandenen Möglichkeiten zurück, verbrauchte Energie in die Batterie zurückzuführen. So, wie es die Formel E schon bei zahlreichen Rennen in der ersten Saison mit dem neuen Gen3-Auto erlebt hat. Ein Beleg für den flüssigen Streckencharakter: In Portland erlebte die Formel E die höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten und Topspeeds ihrer Geschichte.

Die Schleichfart am Samstag führte zu einem extrem zusammengestauchten Feld, wo es vor allem im Mittelfeld immer wieder schepperte. Die Formel E verkündete am Ende "403 Überholmanöver", wobei es sich in Wahrheit in den meisten Fällen um reine Positionswechsel ohne echten Kampf handelte.

Rene Rast: "War das überhaupt ein Rennen?"

Mittendrin im Getümmel war Rene Rast (McLaren), der das Rennen vom vierten Startplatz - sein bestes Resultat in der Saison 2023 - aufgenommen hatte. Eine alles andere als optimale Teamstrategie mit den Attack Modes warf den dreifachen DTM-Champion am Ende bis auf den 14. Platz zurück. Vom Rennverlauf zeigte sich Rast nicht unbedingt begeistert. "War das überhaupt ein Rennen", fragte er Motorsport-Magazin.com. "Also ich bin in den ersten drei Runden kein einziges Mal Vollgas auf der Geraden gefahren..."

Diese einmalige Art des Racings in der Formel E - bei denen einen geliebt, bei den anderen verhasst - ist offenbar nicht unbedingt nach Rasts Geschmack. "Das ist nicht so, wie man es haben möchte oder braucht in der Formel E", meinte der McLaren-Pilot. "Man muss sich mit allen Beteiligten zusammensetzen und überlegen, in welche Richtung die Rennen gehen sollen."

Bei der Formel E in Portland ging es extrem eng zu, Foto: DPPI/Hankook
Bei der Formel E in Portland ging es extrem eng zu, Foto: DPPI/Hankook

Rast klagt an: "Das ist brandgefährlich!"

Zwar sahen diesmal nur drei Fahrer nicht die Zieldurchfahrt, doch im Mittelfeld rummste es munter. Verantwortlich waren das enge Feld wegen der langsamen Pace an der Spitze sowie teilweise enorme Geschwindigkeitsunterschiede im Falle von 'Ausreißern'.

Rast: "Das ist brandgefährlich! Wenn hier auf der Gegengeraden niemand Vollgas fährt, dann gehst du auch irgendwann vom Gas und rollst rum. Aber von hinten kommen Autos, die das gar nicht sehen. Das ist wie im Stau, wenn vorne alles steht und von hinten plötzlich fünf Autos mit Vollgas angefahren kommen. Die sehen das doch gar nicht!"

Abt-Ass Müller: "Das kann in die Hose gehen..."

Ins gleiche Horn blies Rasts früherer Audi-Markenkollege Nico Müller. Der Abt-Pilot verunfallte früh im Rennen mit gut 200 km/h Geschwindigkeit, blieb aber unverletzt. Zu Motorsport-Magazin.com sagte der zweimalige DTM-Vizemeister: "So extrem wie hier war es noch nie. Wir wussten, dass es so kommen würde. Die strategische Komponente kann schon spannend sein. Wenn du das Rennen richtig liest, können der Fahrer und das Team einen Unterschied ausmachen. Wenn sich aber ein Fahrer entscheidet, zu liften, und ein anderer kommt mit Vollgas angeflogen, hat der locker 80 km/h mehr auf der Uhr. Das kann dann in die Hose gehen..."

In der Formel-E-Gemeinde scheiden sich weiter die Geister über die Attraktivität derartiger Taktik-Rennen. Einig ist man sich nur in einer Sache: Eine solche Art von Motorsport gibt es nirgendwo anders auf der Welt zu sehen.

Andretti-Pilot Andre Lotterer, der nach Start von P8 wegen eines abgerissenen Frontflügels nur auf dem 19. Platz landete, sagte zu Motorsport-Magazin.com: "Die Action kann für die Zuschauer schon interessant sein. Solche Rennen bekommt man nirgendwo anders zu sehen. Es ist unvorhersehbar, einfach ein anderes Spiel. Wenn man es im Griff hat und vorne ist, macht es Spaß. Aber es ist umso frustrierender, wenn es nicht klappt. Man weiß, dass man schneller fahren kann. Aber in dem Moment geht es nur ums Taktieren und darum, irgendwie durchzukommen."

Formel E 2023 Portland: Highlights und Zusammenfassung (04:54 Min.)